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Box-Comeback ist keine gute Idee Lass es sein, lieber Wladimir Klitschko

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Wladimir Klitschko stand zuletzt gegen Anthony Joshua im Ring und lieferte dem Engländer einen großen Kampf.

Wladimir Klitschko stand zuletzt gegen Anthony Joshua im Ring und lieferte dem Engländer einen großen Kampf.

(Foto: imago/Eibner)

Wladimir Klitschko kokettiert mit einer Rückkehr in den Ring. Er tut das zwar mit vorsichtigen Worten, in seiner Boxer-Seele lodert aber offenbar noch immer ein Feuer. Und dennoch möchte man ihm zurufen: Lass es sein, Wladimir!

Es hat in diesen fürchterlichen Tagen in Kiew Seltenheitswert, dass sich Waldimir Klitschko zu einem anderen Thema äußert als dem barbarischen Krieg Russlands gegen seine Heimat. Umso mehr Aufmerksamkeit erregten die Sätze, die der langjährige Schwergewichts-Weltmeister im Interview mit "Bild"-Kriegsreporter Paul Ronzheimer sagte. "Wenn ich in guter Form bin und vor allem auch, dass der Krieg in der Ukraine bald zu einem Ende kommt, und dass unsere Grenzen bestehen, ohne jede Invasion, die aus Russland kommt, dann am Ende: Wer weiß?", sinnierte Klitschko. Er wolle zwar keine großen Versprechungen machen, habe aber "auch gelernt, dass man trotz des Krieges das Leben nicht vergessen darf."

Freimütig räumte "Dr. Steelhammer" ein, dass ihn der Rekord von Box-Ikone George Foreman reize. Dieser hatte sich 1994 im zarten Alter von 45 Jahren, 9 Monaten und 25 Tagen noch einmal zum Schwergewichts-Champion gekrönt. Älter war noch kein Meister aller Box-Klassen. "Vielleicht habe ich diesen Traum, den Rekord von George Foreman zu brechen. Das motiviert mich, jeden Tag aufzustehen und Sport zu machen", sagte Klitschko. So schön die Vorstellung auch ist, die Marke von "Big George" zu knacken.

So verlockend die Rückkehr ins Rampenlicht wäre: Wladimir Klitschko sollte es sein lassen. Zwar ist "Dr. Steelhammer" nach wie vor tatsächlich in "guter Form". In der Geschichte des Schwergewichts-Boxens gab es wohl nie einen Kämpfer, der während und nach seiner Karriere durchgängig so fit war, wie Klitschko. Sport machen, in Form sein, und Boxen aber sind zwei Paar Stiefel. So gewaltig ein Klitschko-Comeback auch wäre, möchte man sagen: Lass es sein!

Die Gesundheit steht auf dem Spiel

"You don't play boxing", heißt eine alte Boxer-Weisheit. Im Faustkampf bedeutet jeder Treffer zum Kopf eine kleine Gehirnerschütterung. Boxen spielt man nicht wie Fußball oder Basketball, wie Golf oder Tennis. In anderen Sportarten lässt sich ein Comeback wesentlich einfacher wagen - auch wenn es zur Blamage gerät. Mark Spitz, 1972 siebenmaliger Goldmedaillengewinner bei Olympia, soff bei seiner Rückkehr im Becken geradezu ab, Tennis-Legende Björn Borg wirkte 1991 wie eine Karikatur des großen Spielers, als er den Holzschläger noch einmal schwang. Die Sportikonen kratzten an ihren Denkmälern - gesundheitlich hatten sie wenig zu befürchten.

Im Boxsport ist das anders. Joe Louis und Muhammad Ali, die größten Schwergewichts-Champions der Geschichte, ruinierten ihr physisches Wohlbefinden durch Comeback-Versuche zum Ende ihrer Dreißiger. Beide bezogen furchtbare Prügel, wurden später von der Parkinsonschen Krankheit heimgesucht. Auch George Foreman musste viel einstecken, ehe ihn seine gefürchtete rechte Faust noch einmal zum Champion machte. Ihm geht es heute gut, obwohl er noch boxte, bis er 48 war. Repräsentativ ist "Big" George nicht.

Wladimir Klitschko hatte einen einmaligen Abschied von der großen Box-Bühne. Lieferte dem jungen Anthony Joshua 2017 mit 41 Jahren eine epische Schlacht, wurde trotz Niederlage von 90.000 Briten in Wembley gefeiert. Sein Denkmal bekam keine Risse, im Gegenteil: Klitschko polierte es an diesem Londoner Abend auf, der Sockel wurde höher, obwohl er verlor. Selbst der Makel seiner Punktniederlage gegen Tyson Fury 2015 verblasst, wenn man bedenkt, welche Karriere der "Gypsy King" bis zu seinem jüngsten K.o.-Triumph hingelegt hat.

Gefahr, dass es schief geht ist groß

Jener Fury ist mittlerweile ebenfalls zurückgetreten, auch wenn dem Engländer das viele nicht abkaufen. Klitschko hatte sich über den Sieg seines einstigen Nemesis gefreut. Weil er dessen Karriereende bedeutet oder weil Fury sein eigentlicher Wunschgegner ist? Mit dem 2,06-Meter-Riesen hat er noch eine Rechnung offen, die 2016 geplante Revanche der Rivalen kam nach einem psychischen Zusammenbruch Furys nie zustande.

Wie auch immer: Ob Klitschko für ein einmaliges Spektakel gegen Fury, Joshua oder welches Schwergewicht auch immer die Handschuhe noch einmal schnürt. Die Gefahr, dass es schiefgeht, ist groß, selbst wenn Klitschko fit und in Form ist. Die Reflexe, das Timing - was im Ring (über)lebenswichtig ist, nimmt mit jedem Jahr, oftmals ohne, dass es den Boxern dämmert. Der eine berühmte Schlag kann dann zu viel sein.

Und Geld hat der Ukrainer anders als viele andere gefallene Boxgrößen nicht nötig. Klitschko hat Millionen verdient und angelegt, war bis zum Krieg in der Ukraine ein erfolgreicher Geschäftsmann, tourte als Motivationscoach um die Welt. Der 46-Jährige könnte überall sein, das Leben genießen, steht aber fest an der Seite von Bruder Vitali im belagerten und teils zerbombten Kiew. Dafür bewundert ihn die ganze Welt.

2020 wurde Klitschko, der das Schwergewicht beinahe eine Dekade lang dominiert hatte, in die internationale Hall of Fame des Faustkampfs aufgenommen. Dort gehört er hin, dort wird er für immer bleiben. Neben Joe Louis, neben Muhammad Ali, neben George Foreman, neben Vitali und Lennox Lewis. Wladimir Klitschko hat alles erreicht. Der Kampf um das Überleben einer Nation ist es wert, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Ein Box-Rekord ist es nicht.

Quelle: ntv.de

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