Rad-Star gewinnt krankes Rennen Pogacars WM-Plan geht nicht auf, 135 Fahrer kommen nicht ins Ziel
29.09.2025, 06:23 Uhr
Tadej Pogačar konnte sein Glück im Ziel kaum fassen.
(Foto: IMAGO/Photo News)
Tadej Pogačar ist nicht zu stoppen. Nach dem überlegenen Triumph bei der Tour de France verteidigt der mit Abstand beste Radfahrer der Welt auch seinen WM-Titel. In Ruanda läuft es allerdings anders, als geplant. Auch für den Rest des Feldes.
Primoz Roglic war einfach nur glücklich. Der alte Mann des Radsports hatte bei der Weltmeisterschaft das Ziel erreicht. Das war ein großer Erfolg für den Spitzenfahrer der Red-Bull-Equipe, der schon vier Mal die Vuelta und einmal den Giro d'Italia gewonnen hatte. Dieses Mal fuhr er aber nicht für seinen Rennstall, dieses Mal fuhr er für sein Land, für Slowenien. Dort war ihm indes eine klare Rolle zugeteilt: alle und alles für Tadej Pogačar. Der übermenschliche Superstar war natürlich auserkoren, Gold zu holen. Wie schon im vergangenen Jahr in Zürich. Und natürlich erfüllte der 27-Jährige diesen Auftrag. Er gewann ein völlig krankes WM-Rennen in Kigali über 267,5 Kilometer mit weit über 5000 Höhenmeter als Solist.
"Tadej ist unglaublich, Chapeau an ihn. Auch an die ganze Mannschaft.", lobte Roglic. "Und ich? Ich bin glücklich, dass ich das Rennen beendet habe – auch wenn es eine Weile gedauert hat. Es war eine Tortur, wir sind Vollgas losgefahren und haben eigentlich damit bis zum Finish nicht aufgehört." Es waren seine letzten Worte, danach beendete er höflich das Interview. Der Tag hatte ihn fertiggemacht. Fix und fertig. Als Elfter kam er ins Ziel. Er hatte über neun Minuten Rückstand. Er ließ immerhin noch 19 Fahrer hinter sich. Mehr hatten diesen brutalen Kurs nicht geschafft. Dabei waren 165 an den Start gegangen. In Zahlen bedeutet das: 130 gaben auf.
Pogacar hatten unbedingt was gut zu machen
Die Gründe dafür waren unterschiedlich. Einige waren chancenlos, andere krank. Im Feld hatte sich ein Magen-Darm-Virus breitgemacht. Die an dem Rundkurs aufgestellten Dixi-Klos wurden hoch frequentiert. Das kleine ohnehin schon durch die Absagen der Stars um Florian Lipowitz gebeutelte deutsche Team litt besonders. Georg Zimmermann, Jonas Rutsch und Felix Engelhardt stiegen vor der Hälfte des Rennens aus. Marius Mayrhofer hielt etwas länger durch, aber musste auch vorzeitig aufhören. Krank und ein Kurs aus der Hölle in ohnehin schon über 1500 Meter Höhe hatten ihn und so vielen anderen den Rest gegeben.
Nicht aber Pogacar. Der hatte sich auf diesem Kurs Gold ausgerechnet. Anders als so vielen Rennen zuvor in diesem Jahr ging er aber mit großem Druck an den Start. Im Einzelzeitfahren wenige Tage zuvor war er von Remco Evenepoel gedemütigt worden. Der Belgier hatte den Slowenen überholt. Einer solchen Demonstration der Stärke war Pogacar Monate, Jahre nicht erlegen. Er wollte, er musste sich dafür revanchieren. Das forderte schon sein unersättlicher Radsport-Geist. Wenn Pogacar antritt, geht es nur um den Sieg.
160 Kilometer ließ der Gigant die Konkurrenz gewähren. Am Anfang zeigten sich ein paar afrikanische Fahrer vorn. Schöne Bilder für die Fans, die in großer Zahl an die Strecke gekommen waren. Dann aber übernahm der Superstar. 104 Kilometer vor dem Ziel attackierte er zum ersten Mal. Er wollte das Feld schnell schrumpfen, hatte eine kleine Gruppen mit seinen UAE-Teamkollegen im Sinne, die allerdings für Mexiko und Spanien am Start waren, auf eigene Rechnung fuhren und keine Helferdienste leisten sollten. Anders eben als bei den großen Rundfahrten. "Der Kurs war für so ein Rennen von mir gestaltet", sagte Pogacar. "Ich hatte gehofft, dass sich eine kleine Gruppe mit Juan (Ayuso) und Del Toro bilden würde. Dieser Traum, möglichst lange als Trio zusammenzufahren, ist leider aber nicht aufgegangen."
Evenepoel ist außer sich vor Wut
Am steilen Mont Kigali setzte Pogacar zur Titelverteidigung an. Und tat seinem großen Rivalen Evenepoel weh. Der konnte nicht folgen. Es war ohnehin ein gebrauchter Tag für den Belgier, der immer wieder mit seinem Rad haderte, es mehrfach wechseln musste. "Beim ersten Bike-Wechsel vor dem Mount Kigali rutschte mein Sattel komplett runter. Ich habe ein Schlagloch im Boden mitgenommen und habe dann schnell gemerkt, dass ich an meiner Oberschenkelrückseite Krämpfe bekam", erklärte er später. Nochmal tauschte er die Rennmaschine.
Die Bilder zeigten ihn rasend vor Wut, vor allem als länger auf sein Ersatzrad warten musste. Er trat mit dem Bein in die Luft. Der Ärger über alles musste raus. Im Ziel reichte es für Rang zwei. Mit acht Medaillen bei Weltmeisterschaften hat er nun mehr als alle anderen Radsportler. Die bisherigen Rekordhalter Tony Martin und Fabian Cancellara mit je sieben Medaillen sind überholt.
Glücklich war er trotzdem nicht. Er schüttelte den Kopf und saß hernach lange am Boden und haderte gewaltig. "Ich bin sicher nicht hierhergekommen, um Zweiter zu werden. Ich wollte unbedingt das Double und habe mich auch großartig gefühlt. Aber das Schicksal wollte heute etwas anderes."
Das Schicksal wollte wieder den Solisten Pogacar. Wie im vergangenen Jahr in der Schweiz. Dort war er alleine unterwegs, 50 Kilometer lang. Die Radsportszene konnte es nicht begreifen. Der Slowene machte es anders als so viele vor ihm. Wenn er es in sich spürt, attackiert er ohne Rücksicht auf Etappenlänge oder sonst was. Kurz entwickelte sich nach der bergigen Kopfsteinpflaster-Herausforderung an der Mur de Kigali zunächst ein Team-internes Duell zwischen Pogacar und Jungstar Isaac del Toro. Ayuso war da schon abgehängt. "Juan hatte ziemlich früh Probleme auf dem Pflaster und Del Toro hatte Magenprobleme. So war ich, wie letztes Jahr, früh alleine und musste mit mir alleine kämpfen", erzählte Pogacar später.
"Ein Überlebenskampf bis zum Ziel"
Während es vorne immer langweiliger wurde, wie schon bei der Tour de France, knisterte es hinten im Feld. Evenepoel trotzte allen Rückschlägen und flog der Konkurrenz davon. Ben Healy, der in Frankreich mit seinen mutigen Antritten so viele Fans gewann, kämpfte wieder einmal bemerkenswert und fuhr zu Bronze. Der Kurs nahm das Feld gnadenlos auseinander. Ständig ging es hoch, dann wieder runter. Kaum Zeit, sich an einen Rhythmus zu gewöhnen. Dazu die Höhe der Hauptstadt Ruandas und die hohe Luftfeuchtigkeit.
Tom Pidcock, der zu den Medaillenkandidaten gehörte, war nach Platz zehn restlos bedient: "Das war das am wenigsten zu genießende Radrennen des Jahres! Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich am Start nicht so gut. Dann kam ich ins Rennen und irgendwann war ich total blau. Dann folgte ein Überlebenskampf bis zum Ziel, absolut brutal. Als wir dann zu fünft hinter Tadej in der Gruppe weg waren, dachte ich, alles ist jetzt noch möglich. Aber dann sind die Beine eingeschlafen." Immerhin kam er ins Ziel. Es war ein großer Erfolg.
Quelle: ntv.de