"Hält der Mensch nicht mehr aus" Hitzige "Alarm"-Debatte tobt vor berüchtigter Streif
15.01.2024, 15:49 Uhr
Der Rettungshelikopter ist bei den Weltcup-Rennen in diesem Winter im Dauereinsatz.
(Foto: IMAGO/GEPA pictures)
Der alpine Skisport fasziniert die Menschen. Besonders die Abfahrt sorgt immer für gigantisches Interesse. Auch weil der Ritt auf den großen Pisten immer einer auf der Rasierklinge ist. Nach schweren Stürzen entbrennt eine wütende Debatte. Immer mehr in den Fokus rückt der FIS-Chef.
Kitzbühel, die Streif. Das berühmteste, aber auch das berüchtigtste, das brutalste Abfahrtsrennen im Skizirkus. Hier werden Legenden geboren und Karrieren zerstört. Ausgerechnet an diesen mythischen Ort schleppt sich diese Woche eine zerrissene Szene, in der mal wieder eine Sicherheits- und Belastungsdebatte tobt. Und in der einer anklagend auf den anderen zeigt. "Alarm vor Kitzbühel", hieß es etwa dramatisch in der österreichischen "Krone", die schlimmen Bilder aus Wengen haben die Szene aufgeschreckt. Brutale Stürze, Blut auf der Piste, ramponierte Stars im Krankenhaus: Erste Stimmen fürchten um die Zukunft des Sports.
"Wenn Eltern bei den TV-Übertragungen von Skirennen immer mehr heftige Stürze sehen, werden sie ihren Kindern irgendwann den Gang in die Ski-Klubs und zu den Skirennen verbieten", sagte Christian Höflehner, Rennchef des gigantischen Ski-Ausrüsters Atomic, dem Schweizer Boulevard-Blatt "Blick". Das Programm, sagen die einen, ist zu umfangreich, und verweisen auf die Doppel-Abfahrten in Wengen oder jetzt in Kitzbühel. Das Spektakel, meinen die anderen, werde immer mehr übertrieben.
"Es gibt nicht nur die eine Wahrheit"
"Man muss differenzieren können", sagte der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier. Er warnte vor Populismus, "es gibt nicht nur die eine Wahrheit". Die verhängnisvollen Stürze der Top-Stars Marco Schwarz in Bormio oder aber auch Alexis Pinturault und Aleksander Aamodt Kilde nun in Wengen hätten allesamt individuelle Gründe gehabt, von Überlastung könne hier nicht pauschal die Rede sein.
Das "wirkliche Problem" sieht Maier, und damit steht er nicht allein, in Weltverbandspräsident Johan Eliasch. Der schwedisch-britische Geschäftsmann mische sich zu sehr in die Kalenderplanung ein und habe das Programm etwa mit Abfahrten in kürzester Zeit überladen. Weil in Beaver Creek und bei Eliaschs Prestigeprojekt in Zermatt witterungsbedingt nicht gefahren werden konnte, wurden die Rennen eben neu angesetzt - übrigens unter dem Applaus vieler Athleten, die jede Absage Aufmerksamkeit und Geld kostet.
"Ich hoffe, das ist das letzte Mal, nie wieder!"
Auch die Veranstalter wehrten sich nicht - im Gegenteil! In Kitzbühel ist man froh, anstelle des schlecht vermarktbaren Super-G eine zweite Schussfahrt auf der Streif bieten zu können. Auch wenn der einstige Kitz-Sieger Thomas Dreßen meinte, der Klassiker würde so "entwertet". Wie in Wengen, wo binnen fünf Tagen neben zwei Trainings drei Speed-Rennen gefahren wurden. "Ich hoffe, das ist das letzte Mal, nie wieder!", schimpfte selbst der Schweizer Ski-Held Marco Odermatt, der beide Abfahrten gewann. Wengen sollte "eine Lehre" sein "für jeden Austragungsort, für jeden Verband, für die FIS, dass mehr nicht immer besser ist".
Auch Maier stört sich am "höher, schneller, weiter", an immer mehr Action. So, sagte er, würde "ein attraktiver Sport schwer beschädigt. Das muss ein Ende haben, weil es der Mensch nicht mehr aushält." Renndirektor Markus Waldner gab den Athleten in Wengen ein Versprechen. "In Zukunft werden wir sicherlich keine Rennen mehr nachholen, das ist so, solange ich Renndirektor bin." Aber kann er sich den Zwängen und einem Präsidenten widersetzen, der überall reinregieren möchte? Die Antwort hat Eliasch längst gegeben. Die viel belasteten Rennfahrer, meinte er schulterzuckend, könnten ja auch mal auf einen Start verzichten.
Quelle: ntv.de, tno/sid