
Nach WM-Gold 2017 schien Manyonga die ganze Welt offen zu stehen.
(Foto: imago/Bildbyran)
Vor knapp fünf Jahren wird Luvo Manyonga Weltmeister im Weitsprung und krönt damit seine Geschichte, die aus der Drogensucht zu Höchstleistungen führt. Seitdem aber ist der Leichtathlet tief gefallen. Ein Schicksalsschlag mündet in eine vierjährige Sperre und einen erneuten Kampf.
Luvo Manyonga ist einer der besten Weitspringer, die es je gab. Mit seinem persönlichen Rekord von 8,65 Metern steht der Südafrikaner auf dem 13. Platz der ewigen Weltbestenliste, seit er sich im April 2017 auf eben jene Weite katapultiert hat. Vier Monate später gewinnt er bei den Weltmeisterschaften in London die Goldmedaille. Manyonga lässt sich damals überglücklich in die Grube fallen, um wie ein Kind auf dem Rücken liegend mit Armen und Beinen einen Engel in den Sand zu malen. Es ist der sportliche Höhepunkt in der Geschichte eines Leichtathleten, der auf dem Weg zum Titel erfolgreich gegen seine Drogensucht kämpft - und diese Herausforderung nun erneut bewältigen muss.
"Ich hätte sterben können", sagt Manyonga über seinen Rückfall, "ich habe viele verrückte Sachen gemacht." Gestohlen, Autos aufgebrochen, in Häuser eingebrochen. Die BBC hat den 31-Jährigen in seiner Heimat Südafrika aufgespürt, wo er ohne Social-Media-Accounts lebt, ohne E-Mail-Postfach, ohne einen Agenten, ja sogar ohne Mobiltelefon. Dem britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sagt er nun: "Ich bin froh, dass Gott mir beigestanden hat und glücklich, noch am Leben zu sein", ehe er erzählt, welcher schwere Schicksalsschlag ihn aus der Bahn geworfen hat - und wie ihm das eine vierjährige Dopingsperre eingebracht hat. Dafür braucht es aber zunächst einen Blick in seine Vergangenheit.
Im Jahr 2010 wird Manyonga U20-Weltmeister, springt bei einem Wettkampf im baden-württembergischen Biberach erstmals über die Acht-Meter-Marke, im Jahr darauf gewinnt er Gold bei den Afrikaspielen. Dem knapp 1,90 Meter großen Athleten scheint eine große Zukunft bevorzustehen - bis er mit "Tik" in Berührung kommt, einer Form von Crystal Meth. Laut BBC wird sie mitunter mit anderen Substanzen vermischt verkauft und geraucht. Manyonga wird 2012 positiv getestet, verzichtet auf die Öffnung der B-Probe und akzeptiert eine 18-monatige Sperre.
"Dann ging es bergab für mich"
Er macht erstmals einen Entzug und hartnäckige Förderer setzen sich für den talentierten Weitspringer ein. Der Präsident des südafrikanischen Olympischen Komitees verschafft ihm eine Trainingsmöglichkeit und eine Unterkunft, die es Manyonga ermöglichen, die Sucht vorerst hinter sich zu lassen und sich auf den Sport zu fokussieren. 2016 tritt er erstmals wieder international auf, gewinnt Silber bei den Afrikameisterschaften und führt bei Olympia in Rio de Janeiro bis zum letzten Versuch, ehe ihm der US-Amerikaner die Goldmedaille mit einem Zentimeter Vorsprung doch noch entreißt.
Anders als nach den früheren Erfolgen verliert Manyonga diesmal nicht den Fokus, sondern zeigt sich 2017 noch einmal stärker. Mit 8,65 Metern gelingt ihm der weltweit größte Sprung seit fast acht Jahren, bei der WM in London folgt die Krönung. Danach sitzt er bei der BBC im Interview, sagt über seine Sucht: "Ich bin da durchgegangen und habe das hinter mir gelassen." 2018 gewinnt er Gold bei den Commonwealth Games, 2019 wird er Vierter bei den Weltmeisterschaften. Doch Ende 2020 wird er vorläufig suspendiert, wenig später dann lange gesperrt. Bis Dezember 2024, bis kurz vor seinem 34. Geburtstag.
"Nachdem ich meine Mutter verloren habe", sagt Manyonga nun der BBC, "ging es bergab für mich." Er habe keinen guten Weg gefunden für die Trauer um die Frau, die ihn und seine Geschwister alleine großgezogen hatte, die dem Bericht zufolge ihren kleinen Verdienst so sparsam ausgab, dass für Luvos Ticket zum Training noch etwas übrig blieb. "Ich habe Drogen genommen, um den Schmerz nicht fühlen zu müssen." Täglich, wie er sagt, habe er versucht, "mich so sehr zu betäuben, dass ich nicht einmal mehr wusste, welcher Tag gerade ist".
Fragen von Kindern bestärken Umdenken
Im Rausch habe er immer daran geglaubt, an die Weltspitze zurückkehren zu können. Die krankhafte Sucht nach dem Aufputschmittel habe ihm das vermittelt, ebenso wie das Wissen, diese schon einmal überwunden zu haben. "Ich dachte, ich könnte Drogen nehmen und rausgehen und Leistung zeigen, aber ich habe mich selbst angelogen", sagt Manyonga nun der BBC. Stattdessen hätten die Drogen aus ihm gesprochen.
Deshalb habe er trotz allem daran geglaubt, wieder weit zu springen, wenn die Leichtathletik aus Pandemie zurückkäme. Doch die Dopingfahnder hatten ihn da offenbar längst ins Visier genommen. Laut BBC verpasste Manyonga im November 2019 erstmals einen Dopingtest, ehe er 2020 im April und Oktober für die Kontrolleure nicht anzutreffen war. Er hatte seinen Aufenthaltsort nicht wie vorgeschrieben angegeben. Drei verpasste Tests werden im Anti-Doping-Kampf ähnlich behandelt wie ein positiver Test - und weil Manyonga schon einmal gesperrt war, trifft ihn die volle Härte.
"Ich verstehe meine Suspendierung", sagt er, der auch von Kindern darauf gestoßen wurde, dass er falsch abgebogen ist: Diese "kamen auf der Straße auf mich zu, während ich high war, und fragten mich: 'Luvo, wann sehen wir dich wieder im Fernsehen?'" Bis er wieder starten darf, werden noch mehr als zwei Jahre vergehen. Aber "es gibt noch immer eine Chance, zurückzukommen", wie er selbst sagt. "Ich bin ein starker Kerl. Das ist meine Realität, ich kann nicht vor ihr davonlaufen." Allerdings müsse er bis dahin noch eine Aufgabe erfüllen.
"Ich muss Luvo finden. Nicht den Weltmeister, auch nicht den Junkie." Einfach Luvo. "Wenn ich diese Person finde, werden die Dinge ihren Weg gehen." Dafür hat er sich in den Nordwesten Südafrikas zurückgezogen. BBC-Reporter Mike Henson schreibt, die Kontaktaufnahme zu Manyonga sei kompliziert gewesen, über mehrere Personen, die telefonierten, Nummern weitergaben, Textnachrichten schickten. Der 31-Jährige lebe seit ein paar Wochen drogenfrei. "Es ist so, wie er es mag", leitet Henson seinen Text ein, den er damit beschließt, dass Manyonga ein schwer zu findender Mann sei - sogar für sich selbst.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 18. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de