NFL-Quarterbacks im Vergleich Tom Brady - der Beste aller Zeiten?
30.12.2019, 21:20 Uhr
Wie gut ist er wirklich? Viele halten Tom Brady von den New England Patriots für den besten Quaterback der Welt.
(Foto: imago images/ZUMA Press)
Mit der peinlichen Niederlage gegen die Miami Dolphins schaffen es die New England Patriots mit Tom Brady nur mit Hürden in die Playoffs der US-Footballliga NFL. Und trotzdem singen Experten und Spieler im Chor: Brady ist der beste Quarterback aller Zeiten. Aber ist der Hype gerechtfertigt?
Damit hat der erfolgsverwöhnte Tom Brady sicherlich nicht gerechnet: Am letzten regulären Spieltag kassierte er eine peinliche Niederlage gegen die Miami Dolphins. 24:27 lautete der Endstand am Sonntag, der das meist gehypte Team der US-Footballliga NFL - die New England Patriots - in das "Wild Card Game" zurückwarf. Nun befindet sich das Franchise um den Star-Quarterback wider Erwarten erst im Achtelfinale für den Super Bowl.
Trotzdem gilt Brady in den Augen vieler Kollegen und Experten als bester Quarterback aller Zeiten, dem "Greatest Of All Times". Sein Erfolg mit den Patriots ist einzigartig und auf lange Zeit hin unerreichbar. Aber macht ihn das auch automatisch zum Besten?
Bradys Karriere begann alles andere als vielversprechend. Nach einem holprigen Karrierebeginn im Jahr 2000 wurde er von seinem Franchise erst in der sechsten von sieben Runden des NFL-Drafts gewählt. Als ursprünglich vierter Quarterback der Patriots rückte er schnell an die Spitze seines Teams. Mittlerweile ist er mit elf aufeinanderfolgenden Einzügen in die Playoffs, sechs gewonnenen Super Bowls, drei Ehrungen als wertvollsten Spieler ("Most Valuable Player") und 14 Nominierungen für den Pro Bowl eindeutig der erfolgreichste Quarterback aller Zeiten. Er hat sein Team zu mehr Division-Titeln geführt als jeder andere Passverteiler in der NFL-Geschichte.
Patriots-Offensive lässt nach
Was aber gerne übersehen wird: Bradys Erfolg ist bei weitem keine Einzelleistung - seit Karrierebeginn ist er von mehr All-Pro-Talenten umgeben als jeder andere Quarterback. Er profitiert von einer außergewöhnlich starken Defensive, die der zunehmend wackeligen Offense gegen ernstzunehmende Gegner dieses Jahr immer wieder aus der Schlinge helfen musste. Gegen die Buffalo Bills oder die Philadelphia Eagles konnte sie die Schwächen der Offensive ausgleichen - gegen starke Gegner wie die Kansas City Chiefs oder die Baltimore Ravens reichte es jedoch nicht.
Dass er aber in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2008 nicht für den Pro Bowl nominiert wurde, zeigt auch, wie seine Leistung hinter den Erwartungen an ihn zurückbleibt. Die Anzahl seiner geworfenen Interceptions nimmt im Vergleich zu den vergangenen Jahren wieder deutlich zu. Seine Touchdown-Pässe nehmen hingegen ab. Auch seine sechs Super Bowl-Siege werden ihm - allen voran von Fans anderer Mannschaften - teilweise abgesprochen. Demnach hätten die Patriots einige Spiele nicht wegen herausragender Leistungen, sondern eher mühselig und äußerst knapp in den letzten Minuten gewonnen. Auch seien die Siege oftmals nur wegen Fehlentscheidungen der gegnerischen Trainer zustande gekommen.
Mit Skandalen wie "Spygate", "Deflategate" und aktuell "Spygate 2" war zudem kein anderes NFL-Team in so viele mögliche Betrugsfälle verwickelt wie die Patriots. Brady, das Franchise und Chefcoach Bill Belichick wurden mehrmals zu satten Geldstrafen verdonnert, Brady wurde im Zuge der "Deflategate"-Affäre sogar für vier Spiele gesperrt. Die Vorwürfe wurden zwar nie vollends aufgelöst - Zweifel an der Unschuld sind dennoch angebracht.
Der Beste aller Zeiten?
Manchen gilt Ex-Spieler Joe Montana als bester Super Bowl-Spieler aller Zeiten. Vier Titel hat er mit den San Francisco 49ers in den 1980er-Jahren gewonnen und er hält Rekorde für die höchste Passrate (127,8) und die meisten Pässe ohne Interceptions (122 in vier Spielen). Er war zudem der erste Quarterback, der drei Mal zum Super-Bowl-MVP gewählt wurde.
New Orleans Saints-Star Drew Brees kann ebenfalls in der Debatte um den besten Quaterback aller Zeiten punkten. Er schrieb am vergangenen Montag beim Spiel gegen die Indianapolis Colts Geschichte. Während des dritten Viertels brach Brees den Rekord von NFL-Legende Peyton Manning mit dem 540. Touchdown seiner Karriere. Mit 14 Pro Bowls und sieben Nominierungen zum All-Pro-Mitglied galt Ex-Colts- und Broncos-Spieler Manning bis dahin als bester Quarterback der regulären Saison. Doch trotz der deftigen Niederlage gegen die Dolphins schaffte es am Sonntag auch Brady, Mannings Errungenschaft zu überholen und sorgte ebenfalls für den 540. Touchdown seiner Karriere.
Es ist schwierig, Bradys Leistungen mit denen seiner älteren Kollegen zu vergleichen. Denn so sehr Ex-Dolphins-Spieler Dan Marino seiner Zeit als Spieler voraus war und den Football in den 1980er- und -90er-Jahren prägte - einen Super Bowl hat er trotzdem nie gewonnen. Auch ein Blick in die Zukunft scheint zu gewagt. Von der hohen Verletzungsgefahr der Spieler mal abgesehen, könnten Kansas City Chiefs-Star Patrick Mahomes oder Baltimore Ravens-QB Lamar Jackson Brady in den kommenden Jahren zwar gefährlich nahekommen. Aber Bradys Erfolge auch nur ansatzweise einzufahren, würde noch mindestens ein Jahrzehnt dauern.
So bemängeln Kritiker wie US-Sport-Journalist Dan Le Batard, dass Brady maßgeblich wegen seiner günstigen Rahmenbedingungen seit Jahren gehypt werde. Er profitiere derzeit wie kein anderer Quarterback von seinem stabilen Franchise, die seit Jahrzehnten vom gleichen Besitzer, General Management und Belichick als wohl besten Head Coach aller Zeiten angeführt wird. Ihn wundere, dass Green Bay Packers-Spieler Aaron Rodgers dagegen erst wenige Titel gewonnen habe. Denn Rodgers sei ein "viel besserer Quarterback als Brady".
Im Interview mit "NFL Total Access" attestierte auch Ex-Tight End Martellus Bennett dem Packers-Offensivanführer, "athletischer" zu sein. Aus sentimentalen Gründen halte er Brady zwar "ohne Zweifel" für den "besten Spieler, der Football je gespielt hat", Rodgers platzierte er dennoch auf Platz eins der besten Quarterbacks - vor Brady, Jay Cutler, Eli Manning (Peytons weniger erfolgreicher Bruder) und Tony Romo. Bennett hatte sowohl unter Rodgers als auch für Brady gespielt. Letzterer habe ihn jedoch zu einem "viel besseren Spieler" gemacht.
"Rodgers ist so viel talentierter als ich"
Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass Rodgers durchaus genauer und treffsicherer spielt als sein Konkurrent: Er hat den besseren Arm, wirft weniger Interceptions, mehr Touchdowns und ist sogar schon 28 Mal in seiner Karriere selbst mit dem Ball in die Endzone gerannt. Das kann selbst Brady nicht leugnen. Mit seiner bescheidenen Selbsteinschätzung sorgte er bei einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche für viele Lacher, als er sagte: "Ich bin ziemlich schlecht in so ziemlich allem außer im Bälle werfen."
Sowohl in der regulären Saison als auch in den Playoffs kann jedoch auch kein begnadeter Spieler wie Rodgers dem New-England-Star etwas in Sachen Erfolg vormachen. Bei acht Playoff-Teilnahmen hat der Packers-QB einen Verlustrekord mit drei Niederlagen in der ersten Runde. Brady dagegen schied in 17 Saisons nur zwei Mal in der ersten Runde aus und schaffte es neun Mal in den Super Bowl. Er ist zudem Rekordmeister darin, einen Rückstand im vierten Viertel in einen Sieg umzuwandeln ("Fourth Quarter Comeback") und einen Sieg mit der letzten Angriffsserie ("Game-Winning Drive") einzufahren.
Als Anführer ihrer Division NFC North haben die Packers unter dem ihrem neuen Head Coach Matt LaFleur einen Platz in den Playoffs sicher. Dass Rodgers Talent unter den Anweisungen von Ex-Trainer Mike McCarthy zuletzt litt, schien auch an Brady nicht vorbeigegangen zu sein. US-Sport-Kolumnist Ian O'Connor zufolge soll Brady vergangenes Jahr zugegeben haben, dass Rodgers unter einem Trainer wie Belichick exponentiell aufsteigen würde: "Er würde 7000 Yards weit werfen. Er ist so viel talentierter als ich."
Rodgers macht mehr Spaß, aber ...
Wie ermittelt man nun aber den besten Quarterback aller Zeiten? Objektiv gesehen mag Rodgers physisch fähiger sein als Brady - mit 102,9 hat er die beste Quarterback-Bewertung in der NFL-Geschichte, während der New England-Star nur auf 97 kommt. Rodgers beim Verlieren zuzusehen macht deutlich mehr Spaß, als Brady beim Gewinnen.
Aber Bradys Erfolge sprechen für sich. Wer so viele Titel und MVP-Nominierungen gewonnen hat wie er, darf auch als Bester gefeiert werden. Der verstorbene legendäre Head Coach Vince Lombardi brachte es einst auf den Punkt: "Gewinnen ist nicht alles, gewinnen ist das einzige." Dass viele Football-Fans sich mehr Abwechslung in den Super Bowls wünschen und die Patriots aus Schadenfreude gerne öfter verlieren sehen würde, ist verständlich: Das Franchise ist in den vergangenen Jahren zum FC Bayern München der NFL geworden. Aber das muss man ihnen - und Tom Brady - erstmal nachmachen.
Quelle: ntv.de