Operation in Hamburg geglückt Tony Martin sagt der Tour "Au Revoir"
10.07.2015, 14:53 Uhr
"Zerbröseltes Schlüsselbein": Tony Martin.
(Foto: AP)
Nach dem Drama bei der Tour de France und den großen Emotionen kehrt im Betreuerstab des deutschen Radprofis Tony Martin schnell wieder die Professionalität ein. Operation geglückt, kaum Gefahr für die WM in neun Wochen, verkündet der Teamarzt.
Das Abschiedsfoto von der Tour de France zeigt Tony Martin vor dem gemieteten Privatjet, der ihn nach Hamburg brachte. Dann ging alles ganz schnell: Operation um sechs Uhr, "zerbröseltes Schlüsselbein" geflickt und die Weltmeisterschaften in neun Wochen in Richmond schon wieder im Blick. Nach dem Tag der großen Emotionen stand in der Martin-Tragödie professionelle Nüchternheit im Mittelpunkt. Der Arzt Helge Riepenhof erklärte die OP für geglückt. "Wenn er keine Infektion bekommt, kann er nach einer gewissen Beobachtungszeit im Krankenhaus in etwa einer Woche wieder auf der Rolle trainieren und in rund sechs Wochen wieder Rennen fahren." Derweil rollt die Tour de France auch ohne den Träger des Gelben Trikots weiter, aus Respekt vor Martin verzichtete Chris Froome auf das Maillot Jaune.
Elf Stunden zuvor hatte sich Martin nach dem vermutlich selbst verursachten Sturz 1000 Meter vor der Ziellinie in Le Havre mit 30 Journalisten in einen engen, stickigen Raum des Hotels "Lion d'Or" in Pont-L'Eveque gequetscht. Damit es nicht ganz so wehtat, hatten sie vor seinem Tisch das Gelbe Trikot als großes Trostpflaster drapiert. "Es ist supertraurig, das Rennen so zu beenden. Ich wollte das Gelbe Trikot noch einige Tage tragen. So viel Extreme in so kurzer Zeit: Das war eine Achterbahn der Gefühle. Solche Geschichten schreibt nur die Tour", sagte ein kreidebleicher Tony Martin, dessen lädiertes linkes Schlüsselbein dick bandagiert war.
"Ich weiß nicht, ob ich Schuld war"
Kurz nach der Abrechnung der so ereignisreichen ersten sechs Tourtage ("alles in allem ziehe ich ein positives Resümee") wurde er zum Flughafen gefahren. In der Hansestadt wartete schon ein medizinisches Empfangskommando und brachte den verletzten Sportler ins Berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhaus. Der Spezialist Philipp Inden operierte rund zwei Stunden. "Das Schlüsselbein war ganz schön zerbröselt. Eine spezielle Titanplatte, die nach etwa sechs Wochen wieder entfernt wird, fixiert den Bruch. Um eine Infektion zu verhindern, bekommt Tony jetzt intravenös Antibiotika", erklärte Riepenhof, der in Pont-L'Eveque von seinem Arbeitgeber in Hamburg immer über den aktuellsten Stand informiert wurde.
"Normalerweise spricht die Literatur von fünf Prozent Infektionsgefahr. Durch den Stress und die Belastungen der Tour könnte Tonys Immunsystem aber etwas angegriffen sein, so dass die Rate in seinem Fall etwas höher liegen könnte", sagte der Teamarzt. Martins hatte sich nach dem Crash nicht mehr an den Hergang erinnern können. "Ich weiß nicht, ob ich Schuld war", sagte der 30-Jährige, den drei Teamkollegen, darunter Weltmeister Michal Kwiatkowski, über die Ziellinie geschoben hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Martin noch auf einen glimpflichen Ausgang gehofft. Die erste Diagnose in der Röntgen-Station der Tour traf ihn hart. "Mit einem offenen Bruch - ein Teil des Schlüsselbeins hatte die Haut perforiert - kann man nicht weiterfahren", hatte Riepenhof erklärt. Martin musste sich trösten: Nach dem holprigen Tourstart, bei dem er in den ersten drei Tagen den Sprung an die Spitze um fünf, drei und eine Sekunde verpasst hatte, glückte ihm zu guter Letzt der Sprung an die Spitze. "Ich bin froh, dass ich mir meinen Traum von Gelb mit dem Sieg auf einer ganz besonderen Etappe erfüllen konnte".
Die Frankreich-Rundfahrt war für Martin, dem wie Fabian Cancellara zum Wochenbeginn Gelb kein Glück brachte, fast stets seit 2009 eine Tour der Leiden: Im Jahr nach seinem Debüt machte ihm beim Auftaktzeitfahren in Rotterdam Nieselregen die Fahrt ins Gelbe Trikot zunichte. Auf der Kopfsteinpflaster-Etappe kam er zu Fall, setzte die Reise aber mit Prellungen und Schürfwunden fort. Im Frühjahr 2012 erlitt er bei einem Trainingssturz einen Jochbeinbruch, einen Teilbruch der Augenhöhle, und einen Riss im Schulterblatt. Er kämpfte sich zurück. Doch bei der Tour endeten die Gelb-Träume, als im Prolog eine Glasscherbe den Reifen zerschnitt. Es kam noch schlimmer: Martin brach sich am zweiten Tag das Kahnbein, biss sich aber mehrere Tage durch - alles mit Blick auf Olympia. In London holte er Silber. Als der dreimalige Zeitfahr-Weltmeister am Donnerstagabend der Tour "Au Revoir" sagte - die "L'Équipe titelte: "Die Tour - immer so grausam" - verkündete er trocken: "Mein nächstes Ziel ist die WM".
Quelle: ntv.de, Andreas Zellmer und Stefan Tabeling, dpa