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"Wir sind die Vergessenen" Ureinwohner zerbrechen bei Super Bowl an NFL-Scheuklappen

Paiute-Ureinwohner, hier bei einem traditionellen Powwow in Las Vegas, kämpfen für mehr Sichtbarkeit und wünschen sich mehr Hilfe von der NFL.

Paiute-Ureinwohner, hier bei einem traditionellen Powwow in Las Vegas, kämpfen für mehr Sichtbarkeit und wünschen sich mehr Hilfe von der NFL.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Schon einmal vom Volk der Paiute gehört? Auf ihrem Gebiet findet der Super Bowl in Las Vegas statt. Doch der indigene Stamm erfährt noch 200 Jahre nach dem Landraub der Siedler viel Leid - und kritisiert die NFL. Über einen andauernden Kampf gegen Schmerz und für Sichtbarkeit.

Ein handtellergroßes, geflochtenes Sorgenkörbchen. Es baumelt draußen am Tipi im Wüstenwind. Trage nur die Last, sagen die Paiuten, die in dein Körbchen passt. So lebten die Indigenen jahrhundertelang in einem riesigen Gebiet, das einen Teil des Colorado River, Teile von Südkalifornien und Utah - und den größten Teil des südöstlichen Nevadas umfasste. Damit auch das heutige Las Vegas.

Hänge den Korb außerhalb deines Zuhauses auf, sagen die Paiuten, um deine Bürden nicht ins Haus zu bringen. Fast genau 200 Jahre ist es her, dann zerbrachen die kleinen Körbchen, weil Lasten und Schmerzen ins Unermessliche stiegen. Für den Stamm aber geht der Kampf gegen die Sorgen auch heute noch weiter, etwa wenn in der Glücksspiel-Metropole der Super Bowl auf dem Boden ihrer Vorfahren stattfindet. Vom millionenschweren Kuchen des Mega-Events bekommen sie kein Stück ab, sie fechten für größere Sichtbarkeit.

Ein Sorgenkörbchen der Paiute-Ureinwohner.

Ein Sorgenkörbchen der Paiute-Ureinwohner.

(Foto: David Bedürftig)

"Die meisten Stämme im südlichen Nevada überlebten zwar", sagt Rulon Pete, dessen Urgroßeltern zu jenen gehörten, denen von weißen Siedlern ihr Land weggenommen wurde, im Gespräch mit ntv.de: "Aber wir haben hier immer noch eine Menge Probleme." Pete ist Paiute und Geschäftsführer des Las Vegas Indian Center. Heute leben in Nevada 62.000 Native Americans in Städten und gut 32.000 auf dem Land, die zu 21 staatlich anerkannten Stämmen und Völkern gehören. Allerdings nicht ohne Probleme: "Unter Bildungsdefiziten und mangelhafter Gesundheit" litten die Indigenen in der Region laut Pete am meisten.

Alle Augen auf Vegas, keine auf die Paiute

Tudinu, die Wüstenbewohner. So nannten sich die Paiute-Ureinwohner im heutigen Las Vegas selbst. Auch ihren Namen verloren sie. Erstmals bahnten sich Trapper und Händler im Jahr 1826 den Weg in ihr raues und karges Terrain, für das sie eine Kultur entwickelt hatten, die an das unfruchtbare Land und seine wenigen Ressourcen angepasst war. Bereits gut zwei Dekaden später entriss die Regierung der Vereinigten Staaten den Wüstenbewohnern die Kontrolle über das Gebiet. Siedler und eine boomende Eisenbahnstadt setzten ihrer freien und traditionellen Lebensweise ein schnelles Ende und machten sie zu landlosen Arbeitern in ihrem eigenen Land.

"Unsere Gesundheit ist seitdem das größte Problem, denn im Laufe der Jahre erkrankten viele Natives an Herzkrankheiten und Diabetes", erklärt Pete. Das könne darauf zurückgeführt werden, wie die Stämme nach dem Landraub aufwachsen und leben mussten, als die US-Regierung ihnen nur Lebensmittel bereitstellte, die der Gesundheit nicht förderlich waren. "Viele der Krankheiten haben sich also über Generationen entwickelt und sind weitergegeben worden", so der Geschäftsführer: "Heute haben viele weiterhin nicht die Ressourcen und den Zugang zu medizinischer Hilfe, die sie benötigen." Es sei ein ständiger Kampf "herauszufinden, warum solche Dinge nicht von der Regierung bereitgestellt werden und warum sie gekürzt werden", und dafür bräuchten die Stämme und Völker mehr Sichtbarkeit. In Las Vegas gibt es etwa im Vergleich zu anderen Orten keine Krankenhäuser und Ärzte speziell für Indigene.

Angehörige von einem Paiute-Stamm im Jahr 1909.

Angehörige von einem Paiute-Stamm im Jahr 1909.

(Foto: imago images/UIG)

Am Super-Bowl-Sonntag sind nun die Augen der gesamten USA auf Las Vegas gerichtet, gefühlt die halbe Welt schaut zu. An die Pauiten, die erst 1970 von der US-Regierung als souveräne Nation anerkannt wurden, denken aber die wenigsten, wenn im Allegiant Stadium die Kansas City Chiefs auf die San Francisco 49ers treffen. An ihre fortwährende Notlage schon gar nicht. Denn obwohl die Casino-Glitzerwelt, die Super-Bowl-Experience und das Stadion auf dem Land der Paiuten stehen, sind die Indigenen in der Stadt der Sünde wenig bis gar nicht sichtbar.

"Zeigen, dass wir existieren"

"Wir sind immer noch die Vergessenen", sagt Pete. Viele Menschen wüssten nicht einmal, dass es indigene Stämme und Völker in Las Vegas gibt. "Aber wir versuchen, den Leuten bewusst zu machen, dass wir existieren. Dass wir hier sind. Dass wir in der Lage sind, Dinge auf die Beine zu stellen." Auch die NFL hat das Thema seiner Meinung nach bislang nicht wirklich begriffen. Das ist nichts Neues für ihn, er kennt die Grabenkämpfe aus Auseinandersetzungen mit den Regierungen in Nevada und Washington nur zu gut. "Es gibt zwar vereinzelte Bemühungen, aber die NFL muss mehr Anstrengungen unternehmen, um uns einzubinden", fordert Pete.

Als Teil des NFL Green Project pflanzte eine Delegation der Liga Ende Januar einen Baum im Garten von Petes Indian Center. Es gab traditionelle Tänze und Aufführungen. Susan Groh von der NFL sagte, man wolle "ein bleibendes Vermächtnis" in der Gemeinde hinterlassen. Dann war die Delegation weg - und mehr passierte nicht bis zum Super Bowl. Kein Stand auf der Super-Bowl-Experience, die Hunderttausende besuchen. Keine Hinweise der NFL im Fernsehen oder Online. Finanziell beteiligt werden die Stämme am Millionen-Event in Las Vegas nicht.

Die Liga hat sich bisher auf eine Anfrage zu der Thematik nicht gemeldet. NFL-Deutschland-Chef Alexander Steinforth sagt in Las Vegas zu ntv.de: "Die NFL achtet stark darauf, einen positiven Impact über das sportliche Geschehen hinaus zu erzeugen. Auf globaler Ebene wie auch im deutschsprachigen Raum. Die Liga ist extrem darum bemüht, Gutes für die Communities zu tun. Gleiches gilt etwa beim Auswahlprozess für Mitarbeitende, wo Diversität und Chancengleichheit eine sehr große Rolle spielen."

Kritik an der NFL von vielen Seiten

Tatsächlich ist die NFL dafür bekannt, in ärmeren Gemeinden unter anderem mit der NFL-Foundation viele Projekte auf die Beine zu stellen und auch langfristig Gutes zu tun. Bei den Native Americans in Las Vegas ist das bisher nicht passiert. Während einzelne Teams wie beispielsweise der Super-Bowl-Teilnehmer Kansas City Chiefs in ihren Gemeinden viel organisieren, hinkt die Liga beim Thema Sichtbarkeit für Ureinwohner generell noch hinterher.

Die NFL unterstützte 2022 und 2023 etwa den Indigenous Bowl der "7G Foundation", eine NGO, die die nächsten sieben Generationen indigener Führungspersönlichkeiten durch Bildung, Sport und Kultur ausbilden will, zog sich dann aber zurück. Laut der Hilfsorganisation wollte die Liga das Event zu sehr nach eigenen Interessen gestalten und in für Nachwuchsfootballspieler ungünstige Monate verschieben. Obwohl "7G" der NFL immer noch dankbar ist, floss bei der Unterstützung zu wenig Geld und insgesamt, so kreidet die NGO an, müsse die Liga landesweit indigenen Footballern und Gemeinden endlich unter die Arme greifen.

"Es ist wichtig, dass wir für sie nicht nur Token-Natives sind", erklärt derweil Rulon Pete vom Indian Center, der sich über die Intentionen der Footballliga weiterhin nicht im Klaren ist. "Whitewashing", seine Stämme als "Spielfiguren"? Das kann er nicht gebrauchen. Weder in der Zusammenarbeit mit der NFL, noch mit den Regierungen Nevadas und der USA. "Es braucht eine Nachhaltigkeit, langfristige Projekte mit uns", schlägt Pete der NFL vor. "Damit die amerikanischen Ureinwohner in den gesamten Vereinigten Staaten gesehen werden." Nur so könne der Weg in eine gemeinsame Zukunft aussehen.

Nicht unbedingt positive Erfahrungen mit der NFL hatte in Las Vegas auch der Inter-Tribal Council of Nevada. Bei einem riesigen Medien-Event am Dienstag ist auch ein kleiner Tisch des Rates aufgebaut, eher unscheinbar neben Formel-1-Glitzer und Cheerleadern mit Pom-Poms. Eine Sprecherin, die lieber anonym bleiben will, berichtet ntv.de, dass die Zusammenarbeit mit der NFL nicht gut lief. "Die Liga ist viel zu kurzfristig auf uns zugekommen und hat zu wenig Stämme angesprochen", sagt sie. Es ginge der NFL dabei eher darum, Native Americans in traditionellen Gewändern auf dem Event zu haben, als sich wirklich für die Indigenen zu interessieren. "Die NFL muss verstehen, dass wir ein wichtiges Thema sind, aber das tut sie noch nicht", sagt die Sprecherin. Auch "7G" hörte von verschiedenen Stammesoberhäuptern aus den USA von negativen Erfahrungen mit der NFL bezüglich dieses Super Bowls.

Super Bowl sorgt für Hoffnung

In den Gesprächen überwiegt zwar der Gedanke, dass mehr getan werden muss, um die indigenen Gemeinschaften zu unterstützen und die koloniale Sichtweise zu korrigieren, die zur versuchten Auslöschung der Völker im ganzen Land geführt hat. Trotzdem bleibt Rulon Pete positiv. "Wir wollen auch in der Zukunft zeigen, dass wir hier sind."

Super Bowl live bei RTL

Am 11. Februar ist es so weit, das Mega-Spektakel des Jahres findet statt: der Super Bowl. RTL und RTL+ übertragen das Spiel zwischen den Kansas City Chiefs und den San Francisco 49ers sowie die Halbzeitshow mit Megastar Usher.

Der Kick-off erfolgt nach mitteleuropäischer Zeit in der Nacht von Sonntag auf Montag um 0:30 Uhr. Bereits ab 23.15 Uhr startet die Übertragung.

Er freut sich auf den Super Bowl, sieht ihn als eine Art Lehre, was man beim nächsten Mal besser machen kann, wie man die Ureinwohner in der NFL besser einbinden und sichtbarer machen kann. Wie man den Menschen beibringen kann, dass das wichtigste Spiel des Jahres auf dem Land der Paiute ausgetragen wird. "Es kann eine positive Sache sein, die Liga auf unserer Seite zu haben", sagt er, "aber es dürften bestimmte Dinge nicht unter den Teppich gekehrt werden."

Die Paiuten waren Jäger und Sammler und lebten in kleinen Familienverbänden. Innerhalb ihres Territoriums zogen viele durch das Land, auf dem heute Prunk und Glitzer herrschen. Während ihrer gesamten Geschichte herrschten meist friedliche und ruhige Zeiten. Dann kamen die großen Sorgen auf der Dampflok aus dem Osten und zermalmten die kleinen Körbchen. Noch heute leiden sie, die Wüstenbewohner. Jeder Touchdown im Super Bowl sollte das Licht der Kameras für einen Moment auch auf ihre Bedeutung werfen.

Quelle: ntv.de

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