Andy Schmid über Handball-Hatz WM-Pause ist "fast wie ein Sabbatjahr"
27.12.2018, 12:43 Uhr
Andy Schmid ist einer der besten Spieler der Handball-Bundesliga.
(Foto: imago/Mario Stiehl)
Die Rhein-Neckar Löwen spielen im Top-Duell beim THW Kiel um ihre wohl letzte Chance im Titelkampf der Handball-Bundesliga. Löwen-Kapitän Andy Schmid spricht im Interview mit n-tv.de über die lange und anstrengende Saison sowie seine sechswöchige WM-Pause als Schweizer Weltklassespieler.
n-tv.de: Heute Abend (19 Uhr) spielen Sie mit den Rhein-Neckar Löwen beim THW Kiel. Ist das möglicherweise schon die letzte Möglichkeit, noch einmal ins Meisterschaftsrennen einzugreifen?

Andy Schmid spielt seit 2010 bei den Rhein-Neckar Löwen, gewann mit dem Klub zweimal die Bundesliga sowie dreimal den DHB-Supercup. Zudem ist der 35-Jährige schon viermal zum Spieler der Saison gewählt worden.
(Foto: imago/Bildbyran)
Andy Schmid: Ich bin kein Freund davon, von solchen Spielen zu sagen, dass sie vorentscheidend sind. Aber es stimmt schon: Wenn wir weiterhin oben dabei sein wollen, dürfen wir in Kiel nicht als Verlierer aus der Halle gehen. Mit dann sieben Minuspunkten wäre die Hypothek schon sehr groß, wenn man voraussetzt, dass die Flensburger verlustpunktfrei in die WM-Pause gehen werden. Aber unabhängig vom Ausgang des Spiels steht noch fast die komplette Rückrunde an. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie viel passieren kann.
So richtig rund läuft es bei den Löwen aber nicht.
Wir haben bislang fünf Minuspunkte und sind unglücklich im Pokal ausgeschieden. Ich glaube, dass wir ein Opfer unseres Erfolges geworden sind. Nach den Titeln der vergangenen Jahre haben wir extrem hohe Ansprüche. Das gilt auch für unsere Fans. Insofern wird eine Saison, in der nicht alles rund läuft, schlechter bewertet als sie ist. Natürlich sind auch wir nicht zufrieden, aber noch vor vier Jahren wünschten sich alle, dass wir mal einen großen Titel gewinnen. Doch nach den Meisterschaften 2016 und 2017 und dem Pokalsieg 2018 herrscht eben Unzufriedenheit, wenn man in der Tabelle nur auf Rang drei liegt.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Vielleicht haben wir verlernt, uns über jeden einzelnen Erfolg zu freuen. Das ist zu selbstverständlich geworden. Als Mannschaft sind wir aber gerade in einer Lernphase. Wir müssen damit umgehen, dass es aktuell hier und da hakt. Ich vergleiche das immer mit meinem Vorbild Roger Federer (Schweizer Tennis-Profi, Anm.d.Red.), der schon oft abgeschrieben wurde, der aber stets zurückgekommen ist. Du kannst in guten Phasen nicht immer erklären warum es gut läuft. Und in schlechten Phasen sollte man ebenfalls nicht nur nach Gründen suchen, warum es nicht reibungslos läuft.
Nach dem Match in Kiel geht die Bundesliga in die sechswöchige WM-Pause. Während viele Ihrer Kollegen dann zu ihren Nationalteams fahren, dürfen Sie tatsächlich mal innehalten, oder?
Eigentlich müsste ich auch zur Nationalmannschaft, aber da die Schweiz keine Qualifikationsspiele bestreitet, habe ich zwei bis drei Wochen frei. Für einen Handballballprofi ist das fast schon wie ein Sabbatjahr. Es tut gut, mal durchzuatmen und sowohl dem Körper als auch dem Geist ein wenig Ruhe zu geben.
Mit 35 Jahren sind Sie nicht nur ein erfahrener Ausnahmespieler, sondern auch Wortführer im Kampf um die Reform des Wettkampfkalenders.
Ich möchte meine Rolle in diesem Zusammenhang nicht zu groß machen. Ich wurde als Kapitän der Löwen von anderen Kapitänen aus der Liga auf dieses Thema angesprochen. Wir waren uns alle einig, dass es Veränderungen geben muss. Es hat der Diskussion sicher gut getan, dass wir als Spieler öffentlich eine einheitliche Meinung vertreten haben. Und so ist unser Wunsch nach Veränderung bei der Handball-Bundesliga auch angekommen.
In der Liga sind die Folgen dieser Terminhatz zu spüren. Einige Stars haben Deutschland den Rücken gekehrt, um in anderen Ligen, wo es deutlich weniger Spiele gibt, ihr Geld zu verdienen.
Genau, aber wir wollen gemeinsam, dass die Bundesliga die stärkste Liga der Welt bleibt und niemand die Liga wegen der hohen Belastung verlässt. Das wäre ja kontraproduktiv für alle.
Sie trafen sich jüngst mit dem Liga-Präsidenten Uwe Schwenker und dessen Geschäftsführer Frank Bohmann zum Gedankenaustausch. Mit welchen Ergebnissen?
Schwenker und Bohmann wollten aus Spielersicht hören, wie sich die Überbelastung darstellt und was Lösungen sein könnten. Es war ein offenes Gespräch, in dem auch mir die Augen geöffnet wurden, dass die Planung des Wettkampfkalenders unter Berücksichtigung von EHF- und IHF-Terminen, von TV-Terminen und HBL-Veranstaltungen extrem komplex ist. Auch, weil die Interessen der Vereine, die an der Champions League teilnehmen, andere sind, als die der übrigen Klubs. Da sind die Rhein-Neckar Löwen nicht wichtiger als die HSG Wetzlar beispielsweise.
Sie monierten, dass vor allem die Sommerpause deutlich zu kurz sei.
Das ist das Allerschlimmste. Handball ist vermutlich der einzige Sport, der über das gesamte Jahr gespielt wird. Und diese kurze Pause im Sommer von rund drei Wochen reicht nicht, um die vergangene Saison zu verarbeiten. Was ein Laie vielleicht nicht weiß: Ich muss mich auch auf die Vorbereitung vorbreiten und kann da nicht mit Übergewicht oder ohne Kondition zurückkommen. Innerhalb der Saison kann man gern die Intensität noch ein wenig erhöhen, aber im Sommer brauchen wir Zeit, um uns zu erholen. In den großen Ligen der USA haben die Spieler drei bis vier Monate frei, um den Kopf frei zu bekommen oder Verletzungen auszukurieren. Es gibt immer mehr Spieler, die sich mit kleineren Wehwehchen durch die Saison schleppen. So etwas würde es im Fußball nicht geben. Und das meine ich nicht despektierlich.
Könnte die Überbelastung langfristig auch zu einem Problem der Nationalmannschaften werden?

Schmids Teamkollegen Patrick Groetzki und Jannik Kohlbacher wollen mit Deutschland bei der Heim-WM auftrumpfen.
(Foto: imago/foto2press)
Das wird sicher in einigen Köpfen so gedacht. Aber ich denke, in den Verbänden, in denen die Auswahl realistische Titelchancen besitzt, ist der Stolz und die Ehre, für ein Land zu spielen, noch immer ein bisschen größer ist, als in Verbänden, die sich kaum einmal qualifizieren können. Letztlich muss jeder in sich selbst hineinhorchen, wie wichtig ihm die Nationalmannschaft ist. Aber klar, ich kann mir schon vorstellen, dass Spieler sagen: Ich spiele lieber zwei Jahre länger in meinem Verein und verdiene Geld anstatt mich im Januar und im Juni noch mit der Nationalmannschaft durchzukämpfen.
Immerhin: Die Zeit im Juni fällt nun weg.
Gott sei Dank. Das war immer der schlimmste Lehrgang, am Tag nach dem Ende der Saison zur Nationalmannschaft zu gehen und die Motoren noch einmal hochzufahren. Jetzt ist mit dem Velux EHF Final Four in Köln die Saison zu Ende. Dadurch ist die Sommerpause schon mal zwei Wochen länger.
Eine Reduzierung der Liga ist aber erst einmal vom Tisch. Auf der jüngsten Mitgliederversammlung lehnten die Vereine das mit 18:0-Stimmen ab.
Ich bin auch der Meinung, dass man am Modell der Bundesliga nicht rütteln sollte. Die Liga funktioniert gut mit 18 Vereinen. Außerdem müssten vor allem die kleineren Klubs darunter leiden, wenn die Liga verkleinert werden würde. Niemand kann und will auf die Einnahmen der Heimspiele verzichten. Ich denke, es gibt andere Möglichkeiten, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Ist ein Leben als Sportprofi noch immer ein Traum?
Zu großen Teilen ja. Ich verdiene mein Geld mit Dingen, die mir schon immer Freude gemacht haben. Das ist ein Privileg. Aber wir leben als Profis auch in einer Blase, die nicht ganz der realen Welt entspricht. Wir genießen viele Vorteile. Andererseits opfern wir soziale Kontakte, die man einfach nicht mehr pflegen kann, man hat einen sehr merkwürdigen Lebensrhythmus und ist an Wochenenden nur selten mal daheim. Und auch mit Siegen und Niederlagen muss man umgehen. Doch die Vorteile genieße ich natürlich schon sehr. Ich werde das eines Tages vermissen, wenn ich kein Profi mehr bin.
Mit Andy Schmid sprach Arnulf Beckmann.
Quelle: ntv.de