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Irgendwann wird man süchtig Warum Football wie Netflix ist

Das Team für die Erfolgsfans: Stephon Gilmore von den New England Patriots fängt einen Pass auf Donte Moncrief von den Jacksonville Jaguars ab.

Das Team für die Erfolgsfans: Stephon Gilmore von den New England Patriots fängt einen Pass auf Donte Moncrief von den Jacksonville Jaguars ab.

(Foto: USA TODAY Sports)

Touchdowns? Endzonen? Fumbles? Screens und Hashmarks? Immer mehr Fans in Deutschland wissen, was das ist. Klingt zu kompliziert? Keine Angst: American Football ist wie eine neue Serie. Dieser Sport macht abhängig, und zwar schnell.

Football? Football! Die Begeisterung für die NFL in Deutschland steigt, immer mehr Fans sind dabei. Dabei ist die National Football League in Deutschland nicht ganz neu. Schon vor fast 30 Jahren spielten Megastars wie Joe Montana mit den San Francisco 49ers gegen die Chicago Bears im Berliner Olympiastadion, die Hütte war voll. Mit dem Kabelfernsehen kamen dann die Live-Übertragungen, erst in Spartenprogrammen, dann im Bezahlfernsehen. Und nun heißt es sonntags um 19 Uhr in immer mehr Wohnzimmern: #jedenverdammtenSonntag.

August 1991: Joe Montana im Berliner Olympiastadion.

August 1991: Joe Montana im Berliner Olympiastadion.

(Foto: imago/Jürgen Schwarz)

Coach Esume, Ex-Profi Björn Werner und ein langhaariger Mann namens Icke melden sich aus ihrem Studio in München. Das Team von "Ran" berichtet über sechs Stunden am Stück live über American Football. Anfangs gab es nur den Super Bowl, jetzt sind es zwei bis drei Live-Spiele am Stück bei ProSieben Maxx. Wer den Bezahldienst DAZN abonniert, bekommt mindestens drei Spiele zusätzlich. Die NFL erklärt sich den Hype historisch. Die GIs hatten nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Sport mitgebracht und in Deutschland etabliert. In den 1990er Jahren wurde ein Ableger der Liga gegründet - die NFL Europa. In ihrer letzten Saison 2007 bestand sie aus sechs Teams - fünf davon aus Deutschland.

Die NFL will kürzlich herausgefunden haben, dass es heute etwa 17 Millionen Football-Fans in Deutschland gibt. Demnach hat also fast jeder fünfte Lust auf das Spiel mit dem Kuhleder-Ei. Dass die NFL irgendwann im großen Stil über den Atlantik kommt, war zu erwarten. Das war schon bei Michael Jordan im Basketball so, als plötzlich jeder wusste, wer die Chicago Bulls sind. Das war beim Wrestling und Hulk Hogan so. Die NFL war der logische, der nächste Schritt. Die Liga ist ein Multi-Milliarden-Dollar Unternehmen - die reichste Sportliga der Welt. Vielleicht spielt in diesem Jahr auch das dürftige Abschneiden der deutschen Fußball-Nationalelf bei der WM in Russland eine Rolle, dass die NFL so großen Zulauf hat. Irgendwo muss man sich seine Dosis vernünftigen Rasenballsport herholen.

NFL und Netflix - gar nicht so verschieden

Beim Superbowl dabei - unser Autor Matthias Gindorf.

Beim Superbowl dabei - unser Autor Matthias Gindorf.

Wer dann aber für sein erstes NFL-Spiel vor dem Fernseher sitzt und die Reporter über Touchdowns, Endzonen, Fumbles, Screens und Hashmarks reden hört, der fühlt sich sicher überfordert. "Ich kapiere die Regeln nicht!". "Warum gibt es da so viele Unterbrechungen?". "Der Typ wiegt doch bestimmt 150 Kilo?!" Solche Sätze sind für Laien und Anfänger normal. Aber geht es uns nicht ähnlich, wenn wir eine neue Serie bei Netflix starten? Wer zum ersten Mal "Game of Thrones" sieht, der hat viele Fragen, muss viel verarbeiten. So viele Figuren, so viele Handlungsstränge. Wer aber durchhält, der kommt bei der zweiten Folge, der dritten oder der vierten rein ins Geschehen. Man versteht die Geschichte, dann will man mehr. Genau so funktioniert es beim Football. Football ist wie Netflix - irgendwann wird man süchtig.

Es dauert einige Spiele, bis der Unterschied zwischen Passspielzug und Laufspielzug klar wird. Aber schnell leuchtet es ein, dass die vielen Unterbrechungen nötig sind. Später lobt man den 150 Kilo-Mann für seine Beweglichkeit. Nach und nach setzen sich die Regeln, Vorschriften und Verbote zu einem Spiel zusammen, das viel spannender sein kann als ein Bundesligakick. Auch wenn ein Team 0:24 zurück liegt und nur noch 15 Minuten zu spielen sind, kann viel passieren. Football ist spannend bis in die letzte Sekunde. Es gibt auch einen Videobeweis - und er funktioniert. Nicht erst seit gestern, es gibt ihn schon seit 20 Jahren.

Gindorf und die NFL

Matthias Gindorf ist Football-Fan, seit die Buffalo Bills viermal in Folge den Super Bowl verloren. Er berichtet über die NFL - auch aus den Stadien. In seinem Blog beimfootball.de geht es um den Blick auf die Liga und die Spiele, mit Interviews und Expertentalks.

Was auf dem Platz wie Chaos aussieht, wenn Spieler übereinander herfallen, ist gewollt. Jede Bewegung, jeder Schritt, jeder Wurf, jeder Spielzeug - alles ist einstudiert. Die Spieler sind also nicht nur Maschinen, sondern sie müssen auch alle Spielzüge im Kopf haben, um reagieren zu können. So ein "Playbook" hat etwa 5.000 mögliche Spielzüge. Die vielen Varianten machen das Spiel spannend - und im modernen Football sieht man jede Bewegung. Die Kameras fangen alles ein - aus allen Perspektiven. Das ist Teil der großen Inszenierung. Der spektakuläre Wurf, der 85 Yards Zick-Zack-Lauf durch alle Verteidiger, der unglaubliche Fang mit einer Hand.

Die Spieler brauchen jede Menge Köpfchen

Das begeistert die Zuschauer. Bei aller Körperlichkeit bleibt das Spiel aber fair. Wenn es Verletzungen gibt, knien sich alle Spieler hin und hoffen, dass es dem anderen gut geht. Schwalben, Schauspielerei, Schiedsrichter-Anschreien gibt es nicht. Wer es doch versucht, der muss mit Geldstrafen rechnen oder fliegt direkt aus dem Team. Das Geschäft ist knallhart, es rücken so viele Spieler nach. Da kann sich niemand Blödsinn erlauben. Ähnlich wie bei "Game of Thrones" mag der Fan irgendwann einen Spieler mehr als den anderen - oder entwickelt eine Abneigung. Viele Zuschauer in Deutschland wählen sich ihre Lieblingsmannschaft einfach aus den 32 Teams aus. Da gibt es sehr selten eine gewachsene Liebe wie beim Fußballfan, der als Gelsenkirchener schon als Kind in Schalke-Bettwäsche schlafen musste.

Im Bett mit dem FC Schalke 04.

Im Bett mit dem FC Schalke 04.

(Foto: imago sportfotodienst)

Meist finden deutsche Fans NFL-Teams aus den Städten toll, in denen sie schon mal im USA-Urlaub waren. Oder sie sind Erfolgsfans und supporten die New England Patriots. Gerade weil es wenig Verbundenheit zu einem Team gibt, ist jedes Spiel spannend. Ob Cleveland, Jacksonville, Los Angeles, New York oder Chicago spielt ist egal. Der Sport steht im Vordergrund. In der NFL gibt es keine Auf- und Absteiger. Es sind 32 Teams und es bleiben 32. Die Mannschaften sind untereinander viel ausgeglichener als etwa beim Fußball. Jeden Sommer kann das am schlechteste Team den besten Nachwuchsspieler auswählen. Dieses "Draft" ermöglicht es, dass die Gurkentruppe schnell zum Titelkandidaten reift. Ein Serien-Meister wie hierzulande in München ist in der NFL somit unwahrscheinlich - wenngleich nicht ausgeschlossen.

Coole Typen führen durch ein cooles Spiel

Dass die NFL in Deutschland in der Nacht bis zu zwei Millionen Menschen vor dem Fernseher wachhält, hat auch mit den deutschen Gesichtern des Sports zu tun. Der jetzige Sky-Reporter und Ex-"Schlag den Raab"-Kommentator Frank Buschmann hat den Hype ausgelöst. Er holte einen gewissen Patrick Esume als Experten ins Studio. Einen Hamburger Jung, der einst in der NFL Trainer war, amtierender Football-Europameister mit Frankreich ist und so quatscht, wie es die Zielgruppe auch macht. Dazu kommt Christoph "Icke" Dommisch. Blonde, lange Haare, Berliner Schnauze, der Mann am Computer. Er hat den Kontakt zu den Zuschauern, zeigt während der Übertragung Fotos, die Fans aus ihrem Wohnzimmer twittern.

Icke fischt kuriose Videos aus dem Netz, informiert über parallel laufende Spiele und verliert auch gerne mal den Faden. Aber genau das macht den Reiz aus. Alles erfrischend anders, so gar nicht wie beim Fußball, ohne Joachim Löw und Oliver Bierhoff, ohne Joggen im Campo Bahia oder Analysen mit Oliver Kahn. Der Fan fühlt sich beim Football als Teil einer großen Gemeinde - und auch wer neu dazu kommt, wird nicht nur mit Fachausdrücken zugebombt.

In der NFL sind aktuell auch zwei deutsche Spieler aktiv. Equanimeous St. Brown bei den Green Bay Packers und Mark Nzeocha bei den San Francisco 49ers. Sie spielen noch nicht die erste Geige, aber solche Gesichter helfen, den Hype in der Heimat zu steigern. Beiden wird viel zugetraut und vielleicht können sie den drei Spielern nachfolgen, die zuletzt die NFL aus deutscher Sicht geprägt haben. Björn Werner, der nach seinem Rücktritt jetzt für "Ran" kommentiert. Genau wie Markus Kuhn, der bei den New York Giants den ersten und bisher auch letzten Touchdown durch einen deutschen Spieler geschafft hat.

Wembley und der Traum vom Spiel in Deutschland

Allen voran ist aber Sebastian Vollmer zu nennen. Geboren in der Nähe von Düsseldorf zog er einst als Football-Spieler in die USA. Er kam am Karriereende mit zwei Siegen im Super Bowl zurück. Diese Spieler und Ex-Spieler tauchen in den Übertragungen auf, sind bei Twitter und Facebook, zeigen Studiobilder bei Instagram. Es sind millionenschwere Jungs, aber trotzdem so nah dran am Fan. Das muss man einfach mögen und vielleicht bilden sie auch eine Art Nebenstrang in der Netflix-Serie NFL. Der Hype um die NFL ist nicht nur in Deutschland enorm.

Die Liga hat vor mehr als zehn Jahren damit angefangen, reguläre Saisonspiele im Ausland zu veranstalten. Auch dieses Jahr gastiert die NFL dreimal im Wembley-Stadion in London. Dreimal werden über 85.000 Fans aus ganz Europa dabei sein. Ob ihr Lieblingsteam spielt oder nicht. Völlig egal. Es ist Football und die Idole sind nur ein paar Meter - oder um im Bild zu bleiben - ein paar Yards entfernt. Fans mit Trikots aller Mannschaften bevölkern die Metropole.

Die NFL ist anfangs dafür kritisiert worden, steht das "N" doch für "National", die Spiele in London laufen unter dem Namen "International Series". Mittlerweile wird aber gar diskutiert, ob ein Team komplett nach London umzieht. Umziehen ist übrigens völlig normal im US-Sport. Die Oakland Raiders sind ab 2020 zum Beispiel die Las Vegas Raiders. In Mexiko finden ebenfalls regelmäßig Spiele statt, es gibt die Idee nach Brasilien oder China zu gehen. Aber auch Deutschland wird für ein NFL-Spiel gehandelt. Sollte das passieren, freuen sich die Fans auf den Kickoff - und zwischen den Spielen läuft vielleicht eine neue Serie bei Netflix.

Quelle: ntv.de

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