
Zum Charme der European Championships trug der bestehende Olympiapark enorm bei.
(Foto: IMAGO/Plusphoto)
Die Europameisterschaften in München sind vorbei. Und nun folgen Olympische Spiele? Der Freudentaumel, die Euphorie ist groß. Auch der DOSB strebt nach Größerem. Doch der Ansatz ist falsch, größer ist nicht immer besser.
So langsam erwacht München aus dem Rausch der vergangenen zehn Tage. Es waren Tage voller Sport, voller Euphorie, Begeisterung und Jubelstürmen. Die Münchner feierten mit ihren Gästen, sie feierten den Sport, sie feierten auch sich selbst. Die European Championships waren ein voller Erfolg, neun Sportarten in der bayrischen Landeshauptstadt trugen gebündelt ihre Europameisterschaften aus. Auch die Sportlerinnen und Sportler waren begeistert, der norwegische 400-Meter-Hürden-Weltrekordler Karsten Warholm etwa plädierte dafür, die EM am besten immer in Deutschland auszutragen.
Der Kater nach dem Rausch bleibt erfreulicherweise aus. Die Sportstätten, in denen die Sportler und die Zuschauer gemeinsam großartige Wettkämpfe erlebten, stehen größtenteils schon 50 Jahre, seit den Olympischen Spielen 1972, und werden garantiert nicht zu Zombiebauten verkommen. Es wurden keine Stadtviertel neu errichtet, es wurden keine Bahnstrecken gebaut, es war alles bereits vorhanden. Fans wie Berichterstattende erfreuten sich an kurzen Wegen zwischen den Wettkampfstätten, die größtenteils im landschaftlich wie architektonisch meisterhaften Olympiapark und mitten in der Stadt lagen. ARD und ZDF konnten mit großen Quotenerfolgen im TV aufwarten.
Weil alle so gut gelaunt sind, wird prompt der Ruf nach Olympischen Spielen in Deutschland wieder lauter. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte bei der Abschlusspressekonferenz: "Es wird eigentlich jetzt schon höchste Zeit, dass mal wieder Sommer- oder Winterspiele in Deutschland stattfinden." Angesichts der Kritik an anderen Ausrichtern, angesichts ökologischer Sünden oder der Menschenrechtslage müsse Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Auch von offizieller Seite gibt es den erneuten Vorstoß: "Das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes hat beschlossen: Wir wollen Olympia angehen", sagt DOSB-Präsident Thomas Weikert der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Kleines Wohlfühl-Event gegen Gigantismus
Doch diese Argumentation ist irreführend. So schön die European Championships in München waren, so wenig haben sie mit Olympischen Spielen gemeinsam. Das eine ist eine mit neun Sportarten recht kleine Veranstaltung, das andere mit knapp 30 Sportarten auf Weltebene ein Giga-Event. Statt über zehn Tage mit knapp 4000 Athletinnen und Athleten, geht Olympia über vier Wochen mit mehr als 10.000 Aktiven. Auch würden viel mehr Fans aus aller Welt anreisen - und entsprechend irgendwo untergebracht werden müssen.
Bereits jetzt mussten die Schwimmer ihre parallel verlaufene EM in Rom austragen, weil die Olympia-Schwimmhalle in München nicht die Anforderungen des europäischen Verbandes erfüllt - der fordert zehn Bahnen, München hat nur acht. Für Olympische Spiele in München müssten unweigerlich neue Sportstätten gebaut werden, auch der Olympiapark wäre zu klein für Sport und Festival im globalen Maßstab, wie es nun im europäischen Rahmen so wunderbar funktioniert hat. Das ist auch den Sportlern bewusst, die die vergangenen zehn Tage so sehr aufgesogen haben, die so gepusht worden sind wie nie zuvor. Zehnkampf-Europameister Niklas Kaul etwa sprach sich nur unter dem Vorbehalt der Nachhaltigkeit für Olympia in Deutschland aus. Schon 1972 waren die kurzen Wege übrigens nicht komplett zu halten: Die Segelwettbewerbe fanden schon vor 50 Jahren in Kiel statt - weit weg von München.
Auch die Begründung, Deutschland dürfe die Austragung von Sport-Großveranstaltungen nicht nur Schurkenstaaten überlassen, ist falsch. Die kommenden Spiele 2024 finden in Frankreich statt, die Winterspiele in Italien, darauffolgend sind die USA und Australien als Gastgeber der Sommerspiele an der Reihe. Unter Schurken sind doch landläufig eher andere Staaten verbucht als diese Ausrichter. Die implizite Ohrfeige Herrmanns in Richtung Katar - platziert wenige Monate vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft - schlug fehl.
Apropos Ausrichter, München hätte bei Olympischen Spielen in der eigenen Stadt nur noch wenig zu sagen, das Internationale Olympische Komitee übernimmt dann das Kommando. Deren Sponsoren bestimmen mit. Und weil dort viel Geld in fragwürdigen Quellen versickert und zugleich IOC-Präsident Thomas Bach sich klaren Bekenntnissen zu Menschenrechten etwa in China verweigerte, ist die Skepsis trotz aller Euphorie angebracht. Die European Championships waren ein Rausch. Doch bei den Olympischen Spielen käme wohl das unschöne Erwachen.
Quelle: ntv.de