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400-Meter-Festspiele in München Der deutsche Ansatz bringt Femke Bol nicht weiter

Bol ist der europäischen Konkurrenz derzeit enteilt.

Bol ist der europäischen Konkurrenz derzeit enteilt.

(Foto: IMAGO/Michaela Merk)

Europameisterin über 400 Meter ohne Hürden, Europameisterin über 400 Meter mit Hürden: Femke Bol dominiert die Stadionrunde bei der Leichtathletik-EM in München. Die Niederländerin trainiert anders, als es im deutschen Langsprint praktiziert wird. Ihr Trainer sieht darin gleich mehrere Vorteile.

Femke Bol schwebte so leichtfüßig ins Ziel, dass es überhaupt nicht danach aussah, als hätte sie gerade 52,67 Sekunden Maximalbelastung vollendet. In ihrem vierten Rennen bei diesen Europameisterschaften lief die 22-Jährige zum vierten Mal als Siegerin ein. Die Niederländerin ist die überragende Athletin dieser Titelkämpfe. Die 400 Meter hatte sie am Mittwochabend schon deutlich mit exakt 0,5 Sekunden Vorsprung gewonnen, über die Stadionrunde mit Hürden deklassierte sie die europäische Konkurrenz sogar um 1,63 Sekunden.

Auf der Flachstrecke verbesserte sie in 49,44 Sekunden ihren eigenen niederländischen Rekord und die europäische Jahresbestleistung, über 400 Meter Hürden leuchtete gar das Kürzel "CR" auf den Anzeigetafeln auf: championship record, Meisterschaftsrekord. Und als wäre das nichts gewesen, ging Bol danach mit weiterhin locker federndem Schritt auf die Ehrenrunde. "Ich bin super glücklich", sagte sie im Interview im Stadion und schickte danach ein paar Handküsse an die Zuschauenden, die ihre Leistungen völlig zurecht mit lautstarkem, anhaltendem Applaus würdigten.

"Es wird ein anstrengender Sommer", hatte die am 23. Februar 2000 in Amersfoort geborene Langsprinterin im Juni gesagt, "aber ich bin bereit für die Herausforderung." Danach gab sie noch ein klares Ziel aus, sie wolle "weiter schnell laufen und ein paar Medaillen gewinnen". Seitdem hat Bol zweimal WM-Silber über 400 Meter Hürden und in der Mixed-Staffel über 4x400 Meter gewonnen und sich jetzt in München zur zweifachen Europameisterin gekrönt. Eine dritte Medaille, vielleicht sogar ein drittes Gold, ist am Samstagabend durchaus realistisch, wenn sie über 4x400 Meter in die niederländische Mannschaft rückt, die auch ohne sie den Vorlauf siegreich gestaltet hatte.

Deutscher Meisterin wird "der Stecker gezogen"

Im Staffelfinale wird Bol dann auch gegen eine deutsche Auswahl laufen, das Quartett des Deutschen Leichtathletik-Verbandes profitierte dabei von der Disqualifikation der Tschechinnen. Dass die Niederländerin, die zumeist als Schlussläuferin eingesetzt wird, auf der letzten Runde in ein Nachbarschaftsduell mit den Gastgeberinnen gerät, ist angesichts dieser Umstände eher unwahrscheinlich. Während Oranje in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung auf der Stadionrunde erlebt, sind die 400 Meter im DLV eher ein Sorgenkind.

Das zeigte sich auch bei der EM in München, bei fünf Einzelstarts schaffte es niemand ins Finale, die wohl bitterste Erfahrung machte Corinna Schwab. Nach dem Halbfinale fühlte sie sich, "als hätte mir jemand den Stecker gezogen", und ergänzte: "Ich habe da keine Erklärung für." Schon nach 250 Metern schienen sie die Kräfte zu verlassen, in 52,70 Sekunden blieb sie 1,8 Sekunden über ihrer Bestzeit und präsentierte sich am Tag darauf auch im 200-Meter-Halbfinale als vermeintliche Medaillenkandidatin so weit weg von der Topform, dass sie in der 4x400-Meter-Staffel gar nicht erst aufgestellt wurde.

Es soll an dieser Stelle jedoch gar nicht um einzelne Leistungen gehen, und schon gar nicht darum, Corinna Schwab zu attackieren. Viel mehr ist ihre Aussage, es sei ihr vorgekommen, als habe jemand den Stecker gezogen, exemplarisch für die Schwächen im deutschen Langsprint. So zumindest sind die Erkenntnisse von Laurent Meuwly zu verstehen, dem Trainer hinter den niederländischen Erfolgen auf der Stadionrunde, dem Heimtrainer von Femke Bol. In der "Süddeutschen Zeitung" erklärte Meuwly dieser Tage, vom deutschen Weg zu schnellen 400-Meter-Zeiten nicht überzeugt zu sein. "Von kurz zu lang" ist dort das Mantra, also der Ansatz, mit einer Vielzahl von kurzen, harten Läufen die Sprintausdauer auszubilden.

400 Meter oder "300 Meter plus X?

Wie dieses Mantra in der Praxis aussieht, erklärte jüngst Luna Thiel im Leichtathletik-Podcast "Mainathlet" anschaulich. Ihr Heimtrainer ist Edgar Eisenkolb, aktuell Bundestrainer 400 Meter der Männer, zuvor war er für die Frauen verantwortlich. "Wir machen [...] mehr über die Kurzsprint-Schnelligkeit mit wenig Pausen" und "gar nicht so diesen Umfang mit 500, 600 [Meter-Läufen] und die kürzeren Läufe dafür dann sehr intensiv", sagt Thiel dort, die in München zum deutschen Staffelaufgebot gehört.

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Eine "ganz typische Tempolauf-Einheit von uns" bestehe aus sechs maximalen 60-Meter-Sprints mit gerade einmal 30 Sekunden Pause, "dann einen langen Lauf, dann machen wir diese kurze Serie mit den sehr kurzen Pausen nochmal." Im Wettkampf manifestiert dieser Ansatz oftmals in Renngestaltungen, die fachkundige Beobachter als "300 Meter plus X" zusammenfassen. Mit maximalem Tempo loslaufen in der Hoffnung, dass die Beine auf der Zielgeraden noch funktionieren. Bis zur 300-Meter-Marke sind die Deutschen oftmals konkurrenzfähig. Immer wieder führt die Renneinteilung aber auch zu Szenarien wie bei Schwab, die auf den letzten Metern fast den Eindruck machte, stehenzubleiben.

Meuwly hält diese Herangehensweise für viel zu einseitig, vergleicht es im Gespräch mit der "Süddeutschen" mit einem Haus, bei dem nicht vier Wände aufgestellt werden, sondern nur zwei. Seine Pläne sehen auch größere Umfänge vor, längere Läufe, in langsamerem Tempo, keinesfalls immer maximal schnell. Die Anleihen aus dem Mittelstreckentraining helfen Meuwly zufolge dabei, bei großen Meisterschaften auch mehrere Runden - Vorläufe, Halbfinals, Finals - auf hohem Niveau zu absolvieren. In Deutschland sei dagegen, so der Schweizer weiter, noch immer die Annahme verbreitet, "dass die Ausdauer dich im Sprint langsam macht". Für Femke Bol gilt das ganz offensichtlich nicht.

Quelle: ntv.de

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