Erst Wales, am Ende die DFB-Elf? Belgien ist ein Team für den Titel
01.07.2016, 14:56 Uhr
Schnell im Umschaltspiel: Die belgische Mannschaft
(Foto: dpa)
Vor einem Turnier gibt es immer B-Favoriten wie Belgien. Die "Diables Rouges" sind bei der Fußball-EM schnell in die Liga der Titelkandidaten aufgestiegen. Das hat mit einer rauschhaften Offensive zu tun - und dem Spielplan.
Es wird eng für Belgien im Viertelfinale der Fußball-EM gegen Wales. Im Spiel im Stade Pierre Mauroy möglicherweise - und auf jeden Fall in Lille. Die nordfranzösische Stadt, nur knapp 20 Kilometer von der belgischen Grenze entfernt, erwartet einen Ansturm. "Wenn es 100.000 Karten gäbe, wäre es auch ausverkauft", sagte Trainer Marc Wilmots vor dem Spiel (21 Uhr im n-tv.de Liveticker). Nur 12.000 Anhänger haben einen Platz in der Arena ergattert. Weil auch die Unterkünfte überaus knapp werden, gibt es jetzt eine Hilfsaktion für bettlose belgische Fans bei Twitter: #adopteunBelge - "Adoptiere einen Belgier".
Bislang hat Belgien in diesem Turnier schon mehrere Gefühlszustände erlebt. Vorher waren sie hoch gehandelt als Geheimfavorit, dann wegen angeblicher Ideenlosigkeit gegen Italien schon fast wieder abgeschrieben, überzeugten aber beim 3:0 gegen Irland und ihrem 1:0 gegen Schweden. Im Achtelfinale legte das Team ein leichtfüßiges 4:0 gegen Ungarn auf den Rasen. Und Wilmots, der frühere Schalke-Profi, träumte bereits von einem Finale gegen Deutschland: "Das wäre genial. Die spielen so ein ähnliches System wie wir."
Konter wie Überfälle
Lange schon hatte Belgien nicht mehr eine Mannschaft wie jetzt. Vor zwei Jahren in Brasilien scheiterte die Mannschaft von Wilmots im Viertelfinale mit 0:1 an Argentinien. Die großen Erfolge der Belgier liegen zwar länger zurück. 1972 war Belgien EM-Dritter, 1980 Zweiter, 1986 WM-Vierter. Nun aber sind die Spieler auf dem Platz, die viele die "Goldene Generation" nennen. Sie sind relativ jung, hungrig, und bereits erfahren wie Kevin de Bruyne von ManCity, Eden Hazard vom FC Chelsea, Dries Mertens vom SSC Neapel oder Romelu Lukaku vom FC Everton. Axel Witsel ist bei Zenit Sankt Petersburg aktiv und fällt nicht nur wegen seiner Retro-Frisur auf - für die Gegner ist er ein ständiger Unruheherd im Mittelfeld.
Vor allem können die Belgier blitzschnell und effektiv kontern, das haben sie vor und während dieser EM mehrfach bewiesen. Exemplarisch dafür der dritte Treffer gegen Irland: Wie vom Teufel getrieben ließ Eden Hazard auf der rechten Seite seinen Gegenspieler stehen, raste die Linie entlang und passte flach in den Strafraum - wo Lukaku so schnell mitgelaufen war, dass er sogar Zeit hatte, den Ball zu stoppen, dann den Torwart ausguckte und souverän einschob. Müsste Belgien gegen eine Mannschaft wie Deutschland oder Frankreich antreten, die gewohnt sind, das Spiel zu machen, würde ihnen das gerade recht kommen.
Schwächere Spielplanhälfte
Den Belgiern kommt auf ihrem Weg zum Titelfavorit auch das Abschneiden der anderen Mannschaften in der Vorrunde zupass. Sie müssen sich deshalb auf dem Weg ins Finale eben mit Ungarn, Wales und in einem möglichen Halbfinale mit Portugal auseinandersetzen - und mit keiner der traditionell starken Teams wie Italien oder Deutschland. Jetzt soll es für die Roten Teufel noch sehr weit gehen. "Wenn man im Viertelfinale steht, dann will man auch das Maximum erreichen", sagte Wilmots. Ein Kaliber wie Argentinien vor zwei Jahren ist Wales zwar nicht, aber auch nicht zu unterschätzen.
"Wir kennen Wales sehr gut. Sie haben sich sehr gut entwickelt und mit Aaron Ramsey und Gareth Bale zwei absolute Top-Spieler in ihrem Team", weiß Wilmots. Gute Erfahrungen hat sein Team mit den Briten auch nicht gemacht: In der EM-Qualifikation war Belgien gegen die Waliser zuhause in Brüssel nicht über ein 0:0 hinausgekommen und hatte in Cardiff mit 0:1 verloren. Real Madrids Stürmerstar Gareth Bale traf damals. "Bale agiert in einer freien Rolle. Mal ist er auf dem Flügel und mal ist er im Sturm zu finden", warnte Wilmots. "Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir ihn im Kollektiv verteidigen."
Dabei muss Belgien auf zwei Defensivstammkräfte verzichten: Jan Vertonghen fällt für den Rest des Turniers aus, er zog sich im Training einen doppelten Bänderris zu. Und Thomas Vermaelen ist gelbgesperrt. Kevin De Bruyne spricht von einem "komplizierten Gegner", demonstriert aber das gewachsene Selbstbewusstsein eines Titelkandidaten: "Sie haben mit Bale natürlich einen Star in ihren Reihen. Aber wir werden das Spiel gewinnen."
Quelle: ntv.de, mit dpa