EM-Auftakt sorgt für Rekord Der Cristiano-Ronaldo-Zirkus eröffnet mit großem Trara

Mitfavorit Portugal startet mit einem Last-Minute-Sieg in die Fußball-EM. In Leipzig spielt Cristiano Ronaldo zwar die Hauptrolle, für die Entscheidung gegen Tschechien aber sorgen andere. Rund um die 90 Minuten wird überdeutlich, welche Anziehungskraft der 39-Jährige noch immer hat.

Das Gewitter war längst über das Dach der Leipziger Arena hinweggezogen, da entlud sich im ehemaligen Zentralstadion doch noch eine Spannung, die gerade in der Schlussphase mit Händen zu greifen gewesen war: als Francisco Conceição in der Nachspielzeit (90.+2) zum 2:1-Sieg für Portugal gegen Tschechien einschoss. Der erst wenige Momente zuvor eingewechselte 21-Jährige erlöste damit einerseits all jene auf den Rängen, die es mit ihm und seiner Mannschaft hielten - und andererseits auch den einen, für den an diesem Dienstagabend ganz viele Menschen in die sächsische 600.000-Einwohner-Stadt gekommen waren: Cristiano Ronaldo.

"Ich habe gesehen, dass das Spiel schwierig war. Ich bin reingekommen und wollte der Mannschaft helfen, das Tor zu schießen. Das habe ich getan", sagte der Siegtorschütze hinterher, den auch Ronaldo entsprechend innig herzte. Der 39-Jährige wiederum schrieb nach dem nervenaufreibenden EM-Auftakt nur kurz bei Instagram: "Bis zum Ende, Portugal". Fast bis zum Ende hatten die Fans des Mitfavoriten schließlich warten müssen, bis sie ausgelassen jubeln durften.

Dabei wird schon weit vor dem Anpfiff dieses Gruppenspiels deutlich, welche Anziehungskraft Ronaldo noch immer besitzt, obwohl er sich mit seinem Hunderte Millionen Euro schweren Wechsel nach Saudi-Arabien längst aus dem hochklassigen Klubfußball verabschiedet hat. Es hat etwas von einem Zirkus, bei dem die Zuschauenden immer dann in Ekstase geraten, wenn die Haupt-Attraktion aktiv wird. Als Ronaldo den Platz betritt, gibt es großen Applaus. Als bei der Aufstellung sein Name aufgerufen wird, schallt ein kollektives "Siuuu" durch das Stadion. Der ikonische Jubelschrei, mit dem er seine Tore feiert. Selbst ein belangloses Tor beim Warm-up führt zu "Siuuu"-Ekstase auf den Rängen. Während der folgenden 90 Minuten wird es immer dann besonders laut, wenn der Angreifer beteiligt ist.

Hinter dem Eigentor-Schützen lauert Cristiano Ronaldo

Etwa in der 61. Minute, als Ronaldo vor der portugiesischen Fankurve gestikuliert, während die Tschechen erstmals wechseln: Er nutzt die kurze Unterbrechung, um die ohnehin stimmgewaltigen Blöcke zu noch ein bisschen mehr Anfeuerung zu treiben, und die Menge reagiert. Die Tschechen allerdings auch: Nur wenige Sekunden später schocken sie den Favoriten, der bis dahin die Partie dominiert. Lukáš Provod trifft mit dem erst dritten Torschuss zur Führung. Ein feiner Schlenzer ins linke obere Eck und einer dieser Treffer, bei dem Kommentatoren gerne sagen, dass er "Aus dem Nichts" gefallen sei.

Provod schockt damit auch den Favoriten, den Europameister von 2016, der die Partie bis dahin dominiert. 75 Prozent Ballbesitz weist die Statistik für Portugal zu diesem Zeitpunkt aus, 518 portugiesischen Pässen stehen gerade einmal 176 tschechische gegenüber. In den Minuten danach aber verfallen Ronaldo & Co. kurzzeitig in Hektik, der 39-Jährige gestikuliert wieder heftig, diesmal in Richtung seiner Mitspieler. Sie sollen Ruhe bewahren. Die Tschechen ziehen sich komplett zurück, verteidigen zu zehnt am eigenen Strafraum. Und sorgen dann selbst für den Ausgleich.

Der aufgerückte Außenverteidiger Nuno Mendes köpft in der 69. Minute eine Flanke aus dem Halbfeld in die Mitte, wo er den einschussbereiten Ronaldo vermutet. Er findet aber Tschechiens Torhüter Jindřich Staněk, der eigentlich eine großartige Leistung zeigt. Eigentlich, weil er in diesem Moment dann doch einmal schlecht aussieht, wobei unglücklich wahrscheinlich die bessere Beschreibung ist. Denn durch Staněks Abwehraktion springt der Ball ans linke Schienbein von Innenverteidiger Robin Hranáč und von dort über die Torlinie. 1:1.

Ronaldo verhindert Siegtreffer in der 87. Minute

Angesichts des Spielverlaufs ist es aber nur richtig, dass auf die überraschende tschechische Führung der schnelle portugiesische Ausgleich folgt. Die Elf um Cristiano Ronaldo bestimmt das Geschehen und sucht immer wieder den 39-Jährigen, der schon mit Anpfiff einen nächsten Rekord aufstellt: Als erster Fußballer steht er bei sechs EM-Endrunden auf dem Platz, seit 2004 ist er immer dabei, wenn Europa seinen Meister sucht. Und auch wenn ihm im fortgeschrittenen Spitzensportler-Alter die überragende Klasse früherer Tage verloren gegangen ist, hat sich an seiner Omnipräsenz, seiner Ausstrahlung und auch seiner Bedeutung für das portugiesische Spiel kaum etwas geändert.

Daran ändern auch verlorene Sprintduelle wie gegen Hranáč in der Anfangsviertelstunde nichts, auch wenn Ronaldo den Ball vor nicht allzu langer Zeit wohl noch erlaufen hätte. Auch im Eins-gegen-Eins gelingt nicht mehr, was früher noch selbstverständlich schien: Mit schnellen ersten Schritten am Gegenspieler vorbeizuziehen und damit Räume zu öffnen. Mehrfach weicht Ronaldo in den Zehnerraum oder auf den Flügel aus, Gefahr geht von seinen Dribblings jedoch kaum aus. Dafür wird er umso mehr mit Flanken gesucht, 24-mal schlagen die Portugiesen den Ball mit der Hoffnung in die Mitte, dort ihre Nummer 7 zu finden. Jedoch ohne Erfolg.

Am knappsten ist es in der 87. Minute, allerdings erst auf den zweiten Blick. Ronaldo wuchtet eine Flanke mit dem Kopf an den Pfosten, der Ball prallt zurück in die Mitte, der eingewechselte Diogo Jota köpft ein. Doch auf den ekstatischen Jubel über die vermeintliche Führung folgt die Ernüchterung: Der Videoassistent erkennt eine Abseitsstellung von Ronaldo, es bleibt (vorerst) beim 1:1. Es geht mit Freistoß statt Anstoß weiter und die Portugiesen steuern auf einen ernüchternden Start ins Turnier zu.

Beim Ronaldo-Freistoß zücken Tausende ihr Handy

Auch, weil der 39-Jährige im Spielverlauf einige gute Gelegenheiten vergibt. In der 8. Minute trudelt ein aussichtsreicher Kopfball nach Flanke von Rafael Leão deutlich neben dem tschechischen Tor ins Aus. In der 32. Minute taucht Ronaldo völlig frei vor Staněk auf, der Keeper aber verhindert mit Händen und Füßen den scheinbar sicheren Treffer (der vermutlich die Abseitsüberprüfung ohnehin nicht überstanden hätte). In der 45. Minute ist es wieder Staněk, der Ronaldos wuchtigen Abschluss aus knapp zehn Metern von halbrechts abwehrt. Der Jubel des Kollegen auf der Pressetribüne, der seine Sympathien im Al-Nassr-Trikot mit der Nummer 7 offen nach außen trägt, erstickt schnell.

In der 55. Minute wird ein weiterer Ronaldo-Kopfball zur Ecke abgewehrt, in der 56. Minute eine Flanke gerade noch vor ihm geklärt, in der 57. Minute gibt es Freistoß für die Portugiesen. 25 Meter Torentfernung, zentral, Ronaldo misst mit großen Schritten seinen Anlauf aus, macht sich in all seiner Breitbeinigkeit bereit und sorgt dafür, dass erstaunlich viele der 42.000 Menschen auf den Tribünen ihre Handys zücken in der Hoffnung, ein Traumtor zu filmen. Staněk aber hat den Ball im Nachfassen sicher. Kurz darauf folgt die bereits beschriebene Geste Ronaldos in Richtung der Fans, dann der tschechische Führungstreffer.

Nach dem Ausgleich halten die Portugiesen den Druck hoch, drängen auf den Sieg. Einmal steht Pepe, der mit seinen 41 Jahren und 113 Tagen den ikonischen ungarischen Torhüter Gábor Király (die Bundesliga-Legende lief noch mit 40 Jahren und 86 Tagen bei einer Endrunde auf) als ältesten Spieler der EM-Geschichte ablöst, 15 Meter tief in der gegnerischen Hälfte und ist doch der nächste Feldspieler zum portugiesischen Tor. Trotzdem sieht es lange danach aus, dass all die Mühe umsonst ist. Bis Francisco Conceição - auf Vorlage des ebenfalls kurz zuvor eingewechselten Pedro Neto - in letzter Minute dafür sorgt, dass sich die Spannung in Leipzig doch noch in kollektiven Jubel entlädt.

Quelle: ntv.de

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