Ein Achtelfinale zum Verlieben Die Superhelden, von denen einer leiden wird
27.06.2021, 15:37 Uhr
Cristiano Ronaldo trifft am Abend auf einen Superhelden der anderen Art.
(Foto: imago images/PanoramiC)
Das Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft lieferte schon überraschende Härten und neue Geschichten. Dass sich Geschichte wiederholt, darauf muss der Titelverteidiger hoffen. Die Vorschau zum Duell der Superhelden.
Niederlande – Tschechien
Wo findet es statt? Budapest
Wo ist es zu sehen? Ab 18 Uhr in der ARD, bei Magenta TV und natürlich im Liveticker auf ntv.de
So siehts die ntv.de-Redaktion:
"Wir haben ja die Erfahrung von 2008: Drei Superspiele - und dann, naja." Sagte Frank de Boer, Bondscoach der Niederlande und 2008 dabei, als die Elftal eine ihrer bittersten Stunden erlebte: Drei Siege in der Vorrunde machten die Niederlande zum Topfavoriten auf den EM-Sieg, doch dann war im Viertelfinale gegen Russland völlig überraschend Schluss. De Boer war damals als Spieler dabei, heute ist er dafür verantwortlich, dass sich Geschichte nicht wiederholt.
Die Chancen stehen gut, denn diese Mannschaft hat Qualität. Außenverteidger Denzel Dumfries ist eine der großen Entdeckungen dieser Europameisterschaft, in der Zentrale präsentieren sich Kapitän Gini Wijnaldum und Frenkie de Jong stark. Offensiv ist Oranje gefährlich, defensiv stellt sich noch die Frage nach der Stabilität: Gegen die Ukraine verspielte man zwischenzeitlichen einen Zwei-Tore-Vorsprung, auch das biedere Nordmazedonien kam zu mehreren Chancen.
Die Tschechen kamen überraschend souverän durch die Gruppenphase, das Weiterkommen stand nach Siegen über Schottland (samt Zaubertor von Patrik Schick) und einem Remis gegen Kroatien schon vor der abschließenden Niederlage (0:1 gegen England) bereits fest. Nationaltrainer Jaroslav Silhavy hat eine für jeden Gegner unangenehme Auswahl geformt, mit Thomas Soucek als hochkarätigem Sechser und Patrik Schick als erfolgreichem und gefährlichem Zielspieler. Allerdings hat die Auswahl der Tschechen große Schwierigkeiten in der Offensive. Vielleicht sind diese sogar unüberwindbar.
Mehr Klasse ist natürlich im Kader der Niederlande zu finden. Besonders auf den Außenbahnen sind die Tschechen offensiv wie defensiv deutlich unterlegen. Auch die Fokussierung auf Schick, den einzigen Torschützen der Tschechen bei diesem Turnier, ist gefährlich. Eine Gemengelage, die ein neues 2008 für die Niederlande unvorstellbar macht.
So viel Ärger in den Niederlanden
Es könnte ja alles gut sein: Drei Siege, acht Tore, souverän ins Achtelfinale. Doch bei "Oranje" ist nichts rosig. Ex-Profi Rafael van der Vaart ätzte gegen die Ideen von de Boer: "Nein zum 5-3-2. Wenn wir so spielen, müssen wir die Partie gar nicht übertragen." Und Youri Mulder, früher Sturmheld auf Schalke, giftete: "Er ist leider nicht sehr souverän. Vorgänger wie van Gaal oder Ronald Koeman haben die Stärke echter Leader ausgestrahlt. Der Boer dagegen murmelt oft in sich hinein, wirkt manchmal abwesend, wenn er redet, und das ist schwierig für einen Bondscoach, der in den Tagen eines großen Turniers immer auch ein bisschen unser Staatschef ist. Er hat viel Zündstoff für Diskussionen geliefert."
Das 5-3-2-System, auf das de Boer setzt, ist ein Sakrileg im Land des 4-3-3. Die Gruppenphase, durch die die Niederlande locker durchmarschierte, bot noch keinerlei Anlass für frischen Ärger. Im Gegenteil, das Vertrauen in die junge Auswahl wächst, nachdem es sogar schon Forderungen nach einem Comeback des Altstars Arjen Robben gegeben hatte. Das Misstrauen gegenüber de Boer ist grundsätzlicher Natur. Ob das Weiterkommen daran etwas ändern würde, ist fraglich.
Die Schwierigkeiten des Außenseiters
"Natürlich wäre es gut, wenn mehr Spieler mehr Tore schießen würden", sagte Tschechiens Nationaltrainer Jaroslav Silhavy. Drei Treffer erzielten die Tschechen, alle erzielte Leverkusens Patrik Schick. Das ist das Kernproblem der Tschechen, die sich als einer der vier besten Gruppendritten fürs Achtelfinale qualifizierten. Schafft es der Gegner, den Hünen aus dem Spiel zu nehmen, droht nicht mehr viel Gefahr. Im Gegenteil: Aus dem Spiel heraus erspielte man sich in drei Spielen keine einzige Großchance (im Vergleich dazu: Gegner Niederlande kombinierte sich 15 Mal gefährlich vors gegnerische Tor). Dazu haben die Tschechen mit 19,3 Prozent eine der höchsten Fehlpassquoten des gesamten Teilnehmerfeldes.
Nein, die große Kunst war es nicht, die sie weitergebracht hat in dieses Achtelfinale, in dem nach Überzeugung von Vize-Europameister Jan Suchoparek trotz aller spielerischen Schwierigkeiten noch nicht Schluss sein soll: "Ich glaube, dass diese Mannschaft noch mehr Stärke zeigen wird und in den nächsten Spielen für eine Überraschung sorgen kann", sagte der Verteidiger der großen 1996er-Elf der Tschechien kürzlich. "Ich denke nicht, dass unsere Reise im Achtelfinale enden wird." Worauf er seine Zuversicht stützt, verriet Suchoparek, der Vize-Europameister von damals, aber nicht.
Aber vielleicht öffnet ja auch der Start der K.o.-Runde für die Tschechen neue Tore: Dass man unter den letzten 16 Teams dabei ist, ist bereits ein großer Erfolg. Als Außenseiter spielt es sich möglicherweise noch einmal ganz neu, ganz frei auf.
Belgien – Portugal
Wo wird gespielt? Sevilla
Wo kann man das Duell der Superhelden verfolgen? Ab 21 Uhr in der ARD, bei Magenta TV und natürlich im Liveticker auf ntv.de
So siehts die ntv.de-Redaktion:
Es könnte das spektakulärste Spiel werden, das das Achtelfinale bei der Euro 2020 zu bieten hat: Die schiere, pure Weltklasse des Cristiano Ronaldo, dessen Flügelleute selbst inzwischen höchsten Standards gerecht werden, gegen die aufregend physische Hochgeschwindigkeitsoffensive um Romelu Lukaku, den in der Gruppenphase behutsam wieder eingebauten Kevin De Bruyne und Eden Hazard, der im Nationalteam routiniert mehr zeigt als im Verein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass reichlich Tore fallen, denn wird die portugiesische Abwehr um den ewigen Pepe in Bewegung gebracht, entstehen freie Räume.
Und auf der anderen Seite stürmt Ronaldo, der in den drei Gruppenspielen fünfmal traf und immer treffen kann. Er ist von der Defensivarbeit inzwischen nahezu vollständig abgekoppelt und wirkt immer automatisch da, wo es gefährlich wird.
Es ist das Duell der Superhelden Lukaku und Ronaldo. Ronaldo schoss in der abgelaufenen Serie-A-Saison für Juventus Turin 29 Tore, Lukaku für Inter Mailand 24. Ronaldo wird demnächst den Männer-Weltrekord für die meisten Länderspieltore brechen, ein Tor, sein 110., fehlt ihm noch, die meisten Tore bei Europameisterschaften (14 bei fünf Teilnahmen) hat er schon erzielt. Was für ein Spieler. Zum Gesamtrekord fehlt ihm noch einiges, acht Frauen haben mindestens 110-fach für ihr Land getroffen, die Bestmarke gehört der Kanadierin Christine Sinclair mit 186 Toren.
Lukaku ist ein Held der anderen Art. Natürlich, er trifft auch oft, dreimal schon bei dieser EM, hat für seine Mannschaft aber noch einen ganz anderen Wert: Der Hüne im Schrankformat arbeitet wie besessen für seine Mannschaft. Lukaku alleine schafft Räume, die andere Mannschaften erst herausspielen müssen, er reißt die Lücken, in die vor allem de Bruyne gerne mit viel Tempo hineinstößt.
Belgien will Ronaldo im Kollektiv stoppen, kündigte Verteidiger Toby Alderweireld an. Wie auch sonst? Portugals Trainer Fernando Santos sieht jedenfalls ein kompliziertes Spiel auf sich zukommen: "Belgien erzielt viele Tore und hat selten Probleme. Sie haben einige einflussreiche Spieler, aber Belgien spielt nicht mit Manndeckung und wir auch nicht. Es ist ein Endspiel, es geht ums Gewinnen, nicht ums Spielen." Doch der Europameistertrainer von 2016 ist sich sicher: "Ich glaube, hoffe und bin überzeugt, dass wir besser sind." Der Titelverteidiger, der Geheimfavorit und zwei Superhelden: Am Ende eines großen Spiels fährt die Hälfte von ihnen nach Hause.
Belgien sieht den Moment gekommen
Drei Spiele, drei Siege: Belgien, der ewige Geheimfavorit, kam locker und ohne jeden Reibungsverlust durch die Gruppenphase. Offensiv berauschend gegen Russland (3:0), stabil und souverän in einem komplizierten Spiel gegen Dänemark inklusive Blitzrückstand (2:1) und am Ende unangefochten gegen Finnland (2:0). Der Fixpunkt ist der dreifache Torschütze Romelu Lukaku. "Er kann einen Neuner spielen, der mit dem Rücken zum Tor steht - er kann hinten spielen, er kann zwischen den Räumen spielen. Also ich bin froh, dass er in unserer Mannschaft ist", schwärmte Trainer Roberto Martinez von seinem Stürmer.
Lukaku sieht sich selbst auf dem Höhepunkt seines Könnens: "Alle sprechen immer über meine Form. Aber ich denke, in den letzten beiden Jahren habe ich ein neues Level erreicht", sagte er. Sogar daran hat Ronaldo seinen Anteil: "Es ist motivierend, wenn du so jemanden in deiner Liga hast, jemanden, der in diesem Alter noch so abliefert. Er ist ein Spieler, auf den man sich verlassen kann und ein Spieler, der gewinnt", sagte der 28-Jährige.
Die Vorrunde in einer der schwächsten Gruppen des Turniers war freilich noch kein Gradmesser für die tatsächliche Klasse der Belgier. Das sieht auch Lukaku so: Der Europameister um Cristiano Ronaldo sei "der beste Test" für seine Mannschaft. Sicher ist sich der 28-Jährige, der 2018 mit seinem Land Dritter der Weltmeisterschaft wurde, aber: "Der Moment ist gekommen", sagte er. Der Moment, einen Titel zu holen.
Portugal will Geschichte wiederholen
Die Portugiesen brachten eine turbulente Gruppenphase hinter sich: Ein ganz spätes 3:0 in Ungarn sorgte für gute Laune und eine gute Ausgangsposition, das 2:4 gegen Deutschland, bei dem man sich defensiv von der deutschen Flügelzange aus Joshua Kimmich und Robin Gosens völlig überfordert präsentierte, war ein gewaltiger Downer.
Im Gruppenfinale schließlich war auf Superstar Cristiano Ronaldo Verlass, der aus dem Ensemble vieler hochspannender Könner nach wie vor herausragt, wenn es darauf ankommt. Mit dem 2:2 schaffte man es noch aus eigener Kraft ins Achtelfinale – und hat schon mehr geschafft, als 2016: Da startete man den Weg zum Titel auch als einer der vier besten Gruppendritten, schaffte aber erst im Halbfinale den ersten Sieg nach 90 Minuten.
Quelle: ntv.de