Das kann doch nicht so schwer sein Ein Schütze, ein Ball, elf Meter

Nachdem Neuer den Schuss Bonuccis pariert hatte, war es an Schweinsteiger als Schütze Nummer fünf, für die Entscheidung zu sorgen - er verschoss.

Nachdem Neuer den Schuss Bonuccis pariert hatte, war es an Schweinsteiger als Schütze Nummer fünf, für die Entscheidung zu sorgen - er verschoss.

(Foto: imago/Ulmer/Teamfoto)

Elf Meter bis zum Tor. Das Tor ist groß und der Schütze ein Profi. Wie kann da der Ball sein Ziel verfehlen? Es passiert - immer wieder. Aber warum versagen Spieler vom Elfmeterpunkt, die im Training den Ball Hunderte Male zielsicher ins Tor ballern?

Hectors frecher Treffer, Schweinsteigers Schuss in den Himmel von Bordeaux, Zazas tänzelnde Balletteinlage - das EM-Viertelfinale zwischen Italien und Deutschland lieferte eine irrwitzige Elfmeterschlacht und befeuert eine alte Debatte: Wie gerecht ist das Elfmeterschießen? Und warum versagen immer wieder Spieler am Punkt?

Der Strafstoß gilt als ungleiches Duell zwischen Schütze und Torwart. Den Ball zu halten, ist fast unmöglich. Die Aufgabe des Schützen scheint dabei kinderleicht. Er muss den Ball lediglich aus einer Distanz von elf Metern in ein vergleichsweise riesiges Rechteck befördern: 7,32 Meter mal 2,44 Meter misst das Tor. Darin steht ein Torwart, der den mit einer Geschwindigkeit von über einhundert Kilometern pro Stunde auf ihn zurasenden Ball halten soll.

Als legendär schlechte Elfmeterschützen gelten die Engländer. Das Nationalteam trat in seiner Geschichte sechsmal an, nur ein einziges Mal gingen die Engländer dabei als Sieger vom Platz. Ebenfalls legendär ist das Halbfinale Niederlande gegen Italien bei der EM 2000. Vor eigenem Publikum verschossen die Holländer fünf von sechs Elfmetern. Deutsche Mannschaften sind traditionell treffsicherer – wenn nicht gerade Uli Hoeneß antritt, der beim Elfmeterschießen im Finale um die EM 1976 gegen die Tschechoslowakei den Ball weit über die Querlatte drosch. 34 Jahre lang verwandelte Deutschland bei Welt- und Europameisterschaften immer bei Elfmeterschießen. Jeder einzelne Schütze – ohne Ausnahme. 22-mal hintereinander verfehlte der Ball laut Statistik nicht sein gewünschtes Ziel - bis Thomas Müller am vergangenen Samstag im EM-Viertefinale an Gianluigi Buffon scheiterte.

Besser als eine Münze zu werfen

Elfmeterschießen

Als Bestrafung für ein Foul bzw. ein Handspiel im Strafraum gibt es den Elfmeter bereits seit 1891. Doch erst 1971 wurde das heute so vertraut erscheinende Elfmeterschießen eingeführt, um K.O.-Spiele in absehbarer Zeit zu entscheiden.

Elfmeterschießen ist ungerecht - sagen die Kritiker. Noch ungerechter ist es aber, ein Spiel durch einen Münzwurf zu entscheiden. Das gab es tatsächlich: Bei der EM 1968 steht es zwischen Italien und der UdSSR nach Verlängerung 0:0, Italien gewinnt – durch Münzwurf. Allein das Glück entschied über Sieg und Niederlage. Wie ungerecht. Dann kam das Elfmeterschießen. Elf Meter bis zum Tor. Elf Meter, die über den Ausgang des Spiels entscheiden.

Aber warum versagen immer wieder Elfmeterschützen, die im Training den Ball ohne Probleme zielsicher ins Tor ballern? Die Schusstechnik, da sind sich alle Experten einig, haben all diese Spieler. Den Grund vermuten Forscher im großen Druck, der auf den Schultern der Schützen lastet. Die Spieler seien auf den Moment des eigenen Schusses fokussiert und weniger auf die Abfolge. 

"Wenn man zum Elfmeterpunkt läuft und denkt: Hoffentlich verschieße ich nicht, ist das eine selbsterfüllende Prophezeiung", wurde der Sportpsychologe Martin Meichelbeck nach dem Elfmeterdrama zwischen England und Italien 2012 im "Tagesspiegel" zitiert. Es sei für den Schützen wichtig, dass er sich klarmache, "was für ein positives Gefühl es ist, wenn der Ball von seinem Fuß aus reingeht und im Netz zappelt". Positives Denken sei beim Elfmeterschießen die wichtigste Voraussetzung.

Eine Untersuchung des norwegischen Psychologen Geir Jordet kommt zu dem Ergebnis, dass jene Schützen beim Elfmeterschießen sicherer sind, die sich nach dem Pfiff des Schiedsrichters ein paar Sekunden Zeit nehmen. Wohingegen Spieler, die direkt anlaufen, häufiger verschießen. Meichelbeck hält von dieser Theorie allerdings wenig. Er glaubt, dass jeder Elfmeter eine individuelle Sache ist. "Jeder Schütze hat eine andere Persönlichkeitsstruktur, hat andere Erfahrungen gemacht und denkt anders über einen Elfmeter. Es sind Individuen am Werk."

Kann man Elfmeter üben?

Die Meinungen darüber, ob man die Drucksituationen der Elfmeter simulieren und üben kann, gehen ebenso weit auseinander. Paul Breitner, ein legendär guter Elfmeterschütze mit fantastischen Nerven, ist sich sicher: "So was kannst du nicht trainieren". Franz Beckenbauer hält dagegen und sagt, natürlich kann man das trainieren.

Der Leipziger Psychologe Georg Froese, der vor einigen Jahren seine Doktorarbeit über Erfolg und Misserfolg beim Elfmeterschuss geschrieben hat, schließt sich Beckenbauers Meinung an: "Ich bin fest überzeugt, dass es möglich ist, mit gezieltem Training die Trefferquote beim Elfmeter zu erhöhen." Von 75 Prozent könne die Trefferwahrscheinlichkeit auf über 80 oder sogar 90 Prozent gesteigert werden.

Dass die Körpersprache eine bedeutende Rolle beim Elfmeterschießen spielt, fanden Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule in Köln und der Universität Heidelberg in einer Studie heraus, die 2013 veröffentlicht wurde. Siegesgewisse Elfmeterschützen erkennt man demnach daran: Sie stehen mit aufrechtem Oberkörper und mit breiter Brust. Mit dieser Körperhaltung signalisieren sie dem Torwart: "Ich werde treffen, du wirst den Ball nicht halten." Anders sieht das bei denjenigen aus, die – wie es die Autoren der Studie formulieren – ein bisschen gebückt daherkommen. Diese Körperhaltung – ein zum Boden gebeugter Kopf und nach oben gezogene, eingezogene, Schultern – signalisiert dem Torwart eins: Unsicherheit.

Glaubt man den Kölner Sportwissenschaftlern lautet die Erfolgsformel für Elfmeterschützen: Den Ball am Punkt ablegen, dem Torwart nicht den Rücken zukehren, zur Position zurücklaufen, bis drei zählen und dann einfach los und abziehen. Drin. Das kann doch nicht so schwer sein.

Quelle: ntv.de

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