Sturzbäche vom Stadiondach Die türkische Euphorie-Lawine rollt durch Dortmund

Eine stimmungsvolle Kulisse.

Eine stimmungsvolle Kulisse.

(Foto: REUTERS)

Die Türkei startet in die Fußball-EM, und das mit gewaltiger Unterstützung. Dortmund ist bereits ab dem späten Vormittag voll in türkischer Hand. Über den Wall rollen die ersten Autokorsos und eine rot-weiße Lawine aufs Stadion zu.

Zwei Stunden vor Anpfiff trat ein, wovor die Behörden gewarnt hatten. Ein mächtiges Unwetter entlud sich über der Stadt Dortmund. Der befürchtete Starkwind blieb aus, auch die Gewitter zogen knapp an der Metropole vorbei. Dafür schüttete es wie wahnsinnig. Gewaltige Massen Regen fielen vom Himmel. Ein Kurzvideo bei X zeigt einen Wasserfall, der sich vom Dach des Westfalenstadions ins Innere ergießt. Hier wird um 18 Uhr das erste EM-Spiel der Türkei angepfiffen (auch bei RTL und im Liveticker bei ntv.de). Gegner ist Underdog Georgien. Der Himmel setzte damit die Vorzeichen für das Spiel in Gruppe E. Es wird eine Wasserschlacht. Arbeiter gesucht. Maulwürfe, die den sich erweichenden Rasen nahe der Roten Erde umpflügen.

Der Regen war dann auch das Einzige, was die gigantische türkische Lawine kurz ins Stocken gebracht hatte, als er gegen 16 Uhr so wild herunterbrach, dass die Schuhe in großen Wasserpfützen versanken. Die Tausenden Fans, die noch nicht am Stadion angekommen waren, suchten verzweifelt Unterschlupf: Es ging in die vielen Kneipen, Restaurants, auch unter Tankstellendächer und jeder noch nicht besetzte Hauseingang wurde sofort in Beschlag genommen. Für ein paar Momente ging tatsächlich nichts mehr. Die Stadt stand ein bisschen still.

Wobei still das falsche Wort war für das, was in Dortmund vor Anpfiff los war. Bereits am Mittag hatten sich rund 15.000 Fans, so die Schätzung der Polizei gegenüber ntv.de, auf den Weg zur Arena gemacht. Am Bahnhof war alles Rot und Weiß. Alles laut, alles fröhlich. Was zu einem kleinen Anteil auch an den Anhängern des Gegners lag, denn auch die Georgier nennen diese Farben ihr Eigen. Über den Stadtwall donnerten die ersten Autokorsos, Hupkonzerte, überall die Fahnen der Türkei. Ein kleiner Eindruck, was am Abend losbrechen dürfte, sollte das Team von Trainer Vincenzo Montella einen erfolgreichen Start in das Turnier hinlegen.

Bis zu 80.000 türkische Fans in der Stadt

Ein Turnier, in dem sich die türkischstämmige Community als zweiter Gastgeber fühlen darf. Knapp drei Millionen Menschen mit Wurzeln in diesem Land leben hier. Und auch in Dortmund ist die Gemeinschaft groß. Von den knapp 600.000 Menschen haben fast 40.000 einen türkischen Hintergrund. Auf den Straßen und den Plätzen der Stadt feierten sie, während die Kneipen vor allem von englischen und schottischen Fans in Beschlag genommen wurden, die ebenfalls noch in großer Zahl in Dortmund waren. Auch an Trinkhallen bildeten sich immer wieder rot-weiße Trauben, laut, stimmungsvoll, friedlich. So wie auch der Fanmarsch, der sich am Mittag in Bewegung gesetzt hatte. Voller Euphorie rollte die Lawine durch die Stadt, türkische Popstars sollen dabei gewesen sein.

Auf dem Messegelände, wenige Meter vor dem Stadion flüchteten sich die Fans während des Starkregens unter große Dächer und die überdachten Durchgänge und feierten ihre wilde Party weiter. Immer wieder sangen sie "Türkiye, Türkiye", schwenkten die Fahnen und sprangen auf und ab. Größer kann die Vorfreude kaum sein. Das Unwetter war im besten Fall ein kleiner Stimmungsdämpfer. Aber ach was, eigentlich auch nicht. Im Stadion versuchten Ordner mit Besen, Holzlatten und viel Körpereinsatz die Auswirkungen der heftigen Regenfälle so gering wie möglich zu halten. Sie fegten das Wasser in offene Gullys.

Bis zu 80.000 Fans sollen in der Stadt gewesen sein, viele von ihnen wollten das Spiel ihrer durchaus ambitionierten Mannschaft auch in der Fanzone am Friedensplatz schauen. Dort war wegen der Warnung vor schweren Unwettern bereits vorab entschieden worden, diese am heutigen Dienstag nicht zu öffnen. Auch die drei anderen EM-Ausrichterstädte in Nordrhein-Westfalen - Köln, Düsseldorf und Gelsenkirchen, ebenfalls mit jeweils großer türkischer Community - reagierten und schlossen jeweils ihre öffentlichen Fan- und Public-Viewing-Bereiche.

"Die Sicherheit der Fans hat Priorität"

"Dortmund hat sich auf eine sehr große Fan-Party mit Zehntausenden türkischen und georgischen Fans in der Stadt gefreut und vorbereitet", sagte Martin Sauer, Beauftragter der Stadt Dortmund für die EM: "Die Sicherheit der Fans in unserer Stadt hat für uns aber Priorität." So hatte es vorab die Bitte gebeten, nicht anzureisen, wenn man keine Karte für das Stadion habe. In den sozialen Medien hatten sich dennoch viele Fans verabredet. Bis zum Nachmittag war alles weitgehend friedlich verlaufen, sagte eine Polizeisprecherin zu ntv.de. Ein Kollege ergänzte: "Ist alles ein bisschen lauter und emotionaler als sonst. Aber die Stimmung ist gut."

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Angekommen am Stadion waren die Fan-Horden durchnässt, aber EM-selig. Die Fans konzentrierten sich auf die "Westfalen-Fälle", die vom Dach hinabstürzten - bis es laut wurde und die türkischen Fans ihre Körper drehten. Der Bus der Ay-Yıldızlılar (der Mond-Sterne) fuhr in die Tiefgarage ein. Ohrenbetäubender Lärm hallte unter der Decke. Türkiye, Türkiye, Türkiye. Galatasaray-, Fenerbahce- und Beskitas-Trikots Seit' an Seit' unter der roten Flagge mit Halbmond und Stern. Das gibt es nur bei einer EM.

Als die Mannschaften dann knapp 45 Minuten vor Spielbeginn das Feld betraten, als erste die Türken, dann die Georgier, gab es einen atemberaubenden Lärm. Ein Pegel, den dieser legendäre Fußballtempel nicht alle Tage erlebt. Erst totale Euphorie, dann laute Pfiffe. Die Kraftverhältnisse auf den Tribünen sind klar verteilt. Einen Wermutstropfen in der gigantischen Stimmung gab es allerdings. Mehr als eine Stunde vor dem Anpfiff lieferten sich Fans beider Nationalmannschaften in einer Ecke des Dortmunder Stadions Auseinandersetzungen. Becher und andere Gegenstände flogen durch die Luft. Die Polizei schritt ein und sicherte den Bereich. So beruhigte sich die Situation wieder. Ob es Verletzte gab, ist bislang nicht bekannt.

Quelle: ntv.de

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