Mein lieber Scholli, einmal wenden bitte Gomez verschafft sich Genugtuung
14.06.2012, 05:47 Uhr
Das Doppelpack von Mario Gomez öffnet der DFB-Elf die Tür ins Viertelfinale der Euro 2012.
(Foto: dpa)
Das ist mal eine Antwort auf die Kritik der vergangenen Tage: Mario Gomez macht im zweiten Spiel der deutschen Fußballer bei der Europameisterschaft das, was er am besten kann, und schießt seine Mannschaft in Charkow zum Sieg gegen die Niederlande. Oranje trauert, die DFB-Elf steuert gen Viertelfinale.
Achtung, hier spricht der Kapitän: "Das Turnier ist noch nicht zu Ende, und Mario hat noch viel vor. Er ist ein Spitzenstürmer, das wissen wir. Die Tore, die er gemacht hat, waren Weltklasse." Der Mario, das ist Mario Gomez. Und weil der mit seinen beiden Toren gegen die Niederlande dafür gesorgt hat, dass Deutschlands beste Fußballer nun bei dieser Europameisterschaft in der Ukraine in zwei Spielen der Vorrunde zweimal gewonnen haben, mag niemand mehr sagen, dass er ein Retrostürmer sei. Sogar Mehmet Scholl, der alte Wendehals, ließ via "Bild"-Zeitung ausrichten: "Ich bin stolz auf Mario, Einsatz und Erfolg haben zusammengepasst." Die deutschen Spieler in der Einzelkritik aus Charkow:
Manuel Neuer: Der Torhüter des FC Bayern war die Ruhe selbst, Oranje hin, Hitze her. Und trug bei mehr als 30 Grad im Glutofen Charkow ein langärmeliges Trikot. Respekt. Um aber auf die Kernkompetenzen des 26 Jahre alten Ex-Schalkers zurückzukommen: Er rettete im 28. Länderspiel zweimal gegen den Niederländer Robin van Persie, nach sieben Minuten und nach einer knappen Stunde. Beim dritten Mal war er machtlos, van Persie schoss, der Ball flog erst durch Holger Badstubers Beine und dann in die rechte untere Ecke des Tores. Zeigte sich hinterher überrascht, also Manuel Neuer, nicht das Tor: "Das es noch einmal so eng wird, damit haben wir nicht gerechnet. Aber am Ende hat es ja noch geklappt." Allerdings. Und noch was: 28 Länderspiele? Es kommt einem so vor, als habe er schon immer im Tor der DFB-Elf gestanden. So tritt er zumindest auf.
Jérome Boateng: Es gibt leichtere Jobs, als innerhalb von fünf Tagen erst gegen Portugals Ronaldo und dann gegen Robin van Persie zu spielen. Aber so kann das kommen, wenn man mir nichts, dir nichts zum rechten Außenverteidiger der deutschen Nationalmannschaft ernannt wird. Machte das wieder prima, auch wenn er vor allem anfangs stark gefordert war. Der Münchner löste das Problem, gegen einen der besten Stürmer Europas antreten zu müssen, in dem er die meisten Zweikämpfe gewann und nichts Unrechtes tat. Warf sich zudem nach 71. Minuten todesmutig in einen Schuss von Wesley Sneijder. Das alles wird Bundestrainer Joachim Löw gefallen haben. Doch Jérome Boateng ist am Sonntag zum Vorrundenabschluss in Lemberg gegen Dänemark gesperrt. Der 23-Jährige sah drei Minuten vor Schluss die Gelbe Karte, weil der zu Ungunsten von Oranje auf Zeit spielte. Und muss somit auf seinen 23. Einsatz im Dress des DFB warten. Vielleicht findet er das aber gar nicht so schlimm: "Erstmal bin ich müde bei den Temperaturen, ich freu mich erst in der Kabine. Es war ein anstrengendes Spiel."
Mats Hummels: Seit seinem etwas überraschenden Startelfeinsatz zum Auftakt dieser EM beim 1:0 gegen Portugal ist der 23-jährige Dortmunder als zweiter Innenverteidiger neben Holger Badstuber gesetzt. Erst recht nach seiner souveränen Leistung gegen die Niederländer, auch wenn er zu Beginn zweimal Robin van Persie aus den Augen ließ. Dafür hätte der Dortmunder nach 52 Minuten beinahe seit zweites Tor im 16. Länderspiel erzielt. Doch er bekam nach einem beherztem Solo trotzt zweier Versuche den Ball nicht am niederländischen Torhüter Maarten Stekelenburg vorbei. Ach, noch was: Beim Gegentor ließ er sich vom Torschützen natzen. Soll jetzt aber nicht den guten Gesamteindruck trüben. Findet Mats Hummels auch: "Das ist großartig. Ich bin das erste Mal dabei, spiele gegen solche Kaliber - und wir gewinnen."
Holger Badstuber: Der zweite gesetzte Innenverteidiger neben Mats Hummels ließ einmal weniger als dieser diesen Robin van Persie entwischen. Hätte dafür beinahe in seinem 22. Länderspiel sein zweites Tor erzielt, köpfte nach 37 Minuten aber den Ball nach einem Freistoß von Mesut Özil auf den niederländischen Torwart anstatt an ihm zum 2:0 vorbei. Machte ansonsten das, was er am besten kann: Er spielte sehr genaue Pässe und trug so zur allgemeinen Beruhigung bei. Außer vielleicht bei Oranje. Aber das ist ja auch nicht sein Job. Räumte weg, was wegzuräumen war. Der Münchner hatte zudem nach 20 Minuten eine Begegnung der schmerzhafteren Art mit seinem Vereinskollegen Arjen Robben, Schädel an Schädel, der Niederländer blutete danach am Kopf.
Philipp Lahm: Als linker Außenverteidiger musste er sich mit Arjen Robben auseinandersetzen, was von daher interessant war, als dass die beiden mit dem FC Bayern den gleichen Arbeitgeber haben. Der deutsche Kapitän machte das in seinem 88. Länderspiel ganz gut, hatte aber dafür kaum Muße, sich ins Angriffsspiel seiner Mannschaft einzuschalten. Zumindest so lange nicht, bis Robben nach der Pause entnervt die Seiten wechselte, wo er es dann gegen Jérome Boateng versuchte, was von daher interessant war, als dass die beiden mit dem FC Bayern den gleichen Arbeitgeber haben. Philipp Lahm jedenfalls, mit 28 Jahren ältester Spieler in der deutschen Startelf, war zufrieden: "Wir haben den zweiten Sieg geschafft, über eine Stunde sehr guten Fußball gespielt und auch defensiv sehr gut gearbeitet."
Sami Khedira: Im defensiven Mittelfeld neben Bastian Schweinsteiger dieses Mal der unauffälligere Teil einer starken Doppelsechs vor der Viererabwehrkette. Was aber nicht daran lag, dass der 25 Jahre alte Wahl-Madrilene gegen die Niederländer in seiner 29. Partie für Deutschland schlechter war als beim Sieg gegen Portugal, sondern daran, dass Schweinsteiger einfach besser war als zum Auftakt. Stellte aber meist, wenn er den Ball hatte, in seiner ruhigen und souveränen Art etwas Vernünftiges damit an, lief wie stets sehr viel, hängte sich rein, stand richtig, gewann seine Zweikämpfe und hinderte die Niederländer weitgehend daran, ein ordentliches Spiel aufzubauen. Das klappt - wie schon vor zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Südafrika - gut mit den beiden.
Bastian Schweinsteiger: Allen mehr-Chefchen-als-Chef-Unkenrufen zum Trotz beißt sich der diesmal auffälligere Teil einer starken Doppelsechs förmlich ins Turnier. Der Bundestrainer unterstützt ihn, wo er kann, und lobte ihn erneut wegen seiner "unglaublichen Präsenz". Die zeigte er vor dem wunderbaren 1:0 durch Mario Gomez, als er den Torschützen mit einem feinen Pass bediente. Und weil das so gut geklappt hat, machten es die beiden beim 2:0 gleich noch einmal. Es gibt Experten, die vermuten, die beiden können so gut miteinander, weil sie beide beim FC Bayern spielen. Bastian Schweinsteiger, 28 Jahre alt, sagte nach seinem 92. Einsatz in DFB-Dress: "Heute ergaben sich Räume nach vorn, die habe auch ich genutzt. Jeder Sieg gibt einen Schub, die Stimmung in der Mannschaft ist besser." Und kündigte an: "Wir wollen auch gegen Dänemark gewinnen."
Thomas Müller: Daran, dass Joachim Löw den Münchner hinterher vor allem für seine Leistung in der Defensive lobte, lässt sich ablesen, dass es mit der Offensive auf der rechten Außenbahn immer noch nicht ganz so gut läuft. Zumindest nicht mit dem Torevorbereiten oder gar Toreschießen. Allerdings: Der 22-Jährige leitete mit seiner ersten gelungen Aktion in Richtung niederländisches Tor gleich das erste deutsche Tor an diesem heißen Abend ein, als er den Ball zu Bastian Schweinsteiger passte. Hat aber, wie es so schön floskelnd heißt, noch Luft nach oben und bleibt auf der Suche nach der verlorenen Leichtigkeit. Bemerkenswert ist und bleibt aber, mit welcher Leidenschaft er ackert. Die letzten zwei der drei Minuten Nachspielzeit ersetzte ihn der Leverkusener Lars Bender.
Mesut Özil: Wurde diesmal nicht wieder zum besten Akteur des Spiels gewählt, obwohl er dieses mal besser spielte als gegen Portugal. Aber der 23-jährige offizielle Spielgestalter (kein Lehrberuf, oder?) von Real Madrid hat halt nicht die beiden Tore geschossen, traf nur nach acht Minuten den Pfosten. Dem Bundestrainer hat gefallen, dass er auch sehr viel lief, wenn der den Ball nicht am Fuß hatte. Hatte allerdings auch sehr oft den Ball. Und dass er sich nicht bemüht, kann ihm wirklich keiner vorwerfen. Irgendwann stellt sich bei ihm allerdings die Frage der Effektivität, aber vielleicht beantwortet er sie schon am Sonntag gegen Dänemark zu seinen Gunsten. Für ihn wechselte der Bundestrainer neun Minute vor dem Ende der Partie den Münchner Toni Kroos ein, der es clever verstand, mit seinen Kollegen den Vorsprung über die Zeit zu retten.
Lukas Podolski: Der 27 Jahre alte Noch-Kölner und Bald-Londoner kommt, stellt Joachim Löw ihn gegen die Dänen wieder auf den linken Flügel, am Sonntag zu seinem 100. Länderspiel. Und es spricht einiges dafür, dass der Bundestrainer sich wieder für ihn entscheidet. Weil er das immer so macht. Allerdings spricht noch mehr dafür, dass er es beim nächsten Mal mit dem Leverkusener André Schürrle probiert. Denn Lukas Podolski quält sich ins Turnier, nur nicht so erfolgreich wie Bastian Schweinsteiger. Fleißig ist er und sich nicht zu schade, auch nach hinten zu arbeiten. Aber insgesamt zu unruhig und zu hastig.
Mario Gomez: Der trotz eines Tores gegen Portugal arg kritisierte Angreifer des FC Bayern München machte in seinem 54. Länderspiel das, was man gut und gerne als Satisfaktion mit spielerischen Mitteln bezeichnen kann. Der 27 Jahre alte Retro-Stürmer schoss einfach zwei Tore, stopfte so den Nörglern das Maul. Mehmet Scholl muss jedenfalls so schnell nicht wieder als Krankenpfleger engagieren. Besonders das 1:0, als Mario Gomez den Ball wunderbar annahm, sich drehte und schoss, war ein technisches Zuckerstückchen. Und als Mittelstürmer zu treffen ist auch im modernen Fußball nicht verboten. Er führt nun mit drei Streichen die Torschützenliste dieses kontinentalen Turniers an. In der 72. Minute kam sein Herausforderer Miroslav Klose für ihn auf den Rasen des Metalist-Stadions - ein Wechsel, der das Zeug zum Klassiker hat.
Quelle: ntv.de