Wie steht es um Neuers Form? Eine kleine Torwart-Sorge beschäftigt das DFB-Team
31.05.2024, 19:14 Uhr
Verbrachte zuletzt viel Zeit im Fitnesszelt statt auf dem Platz: Manuel Neuer.
(Foto: picture alliance/dpa)
Zur Heim-EM begleitet die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ein Luxusproblem: Was ist eigentlich mit der Torwartposition? Manuel Neuer hat nach seinem Beinbruch eine schwierige Saison hinter sich, Probleme gibt es auch bei seinem Ersatz. Und doch: Nagelsmann setzt klar auf seine Nummer eins.
Genau 546 Tage ist es her, dass Manuel Neuer zuletzt das Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gehütet hat. Damals war es in der Wüste von Katar: Das DFB-Team gewann zwar das letzte WM-Gruppenspiel mit 4:2 gegen Costa Rica, musste aber dennoch vorzeitig die Koffer packen. Das Aus in der Gruppenphase war für die Nationalelf nach 2018 keine neue Erfahrung, doch ihr Kapitän musste etwas Ungewohntes erleben: Kritik an Manuel Neuer, dem eigentlich unantastbaren mehrfachen Welttorhüter.
Am Montag, wenn das DFB-Team vor der Europameisterschaft im eigenen Land den vorletzten Test absolviert, kehrt Neuer gegen die Ukraine (20.45 Uhr/ARD und im ntv.de-Liveticker) soll die lange DFB-Leidenszeit des 38-Jährigen enden. Die Nummer eins kehrt wieder ins Tor zurück. Doch in der Zeit ist einiges passiert. Noch mit ganz viel WM-Frust im Gepäck war Neuer wenige Tage nach seiner Rückreise aus der Wüste am Tegernsee auf Skitour und brach sich sein Schien- und Wadenbein. Das Comeback beim FC Bayern zog sich, über Wochen, über Monate. Schlussendlich kehrte Neuer zurück, fast ein Jahr nach der Verletzung. Erst zum FC Bayern und nun, anderthalb Jahre nach dem Unfall, zum DFB-Team.
Die Verletzung entpuppte sich über die Zeit als schwerer als gedacht, Ex-Bayern-Trainer Thomas Tuchel nannte es ein "großes Geschenk", dass Neuer zurückgekehrt ist. Immer wieder warfen ihn Kleinigkeiten zurück. Ein Comeback nach einer solchen Verletzung schaffe nur "einer von 20.000, einer von 20 Millionen Spielern", sagte Tuchel. Normalerweise bedeutet so eine Verletzung also offensichtlich das Karriereende, besonders im fortgeschrittenen Fußballer-Alter.
Neuer wackelt plötzlich
Und doch: Neuer ist zwar zurück, aber die unumstößliche Säule des DFB-Teams hat Risse bekommen. Zunächst körperlich. Im Februar plagten ihn leichte Knieprobleme, gerade noch rechtzeitig wird er für das Topspiel gegen Leverkusen fit. Die 0:3-Niederlage konnte er dennoch nicht verhindern. Die März-Länderspiele der Nationalmannschaft musste er mit einem Muskelfaserriss absagen. Nachdem er schon im November beim Heimdebüt von Julian Nagelsmanns gefehlt hatte, platzte auch da das DFB-Comeback. Und nun wieder: Diesmal kann er wegen eines Magen-Darm-Infekts erst später einsteigen, beobachtet das Trainingslager in Thüringen vor allem aus dem Fitnesszelt.
Dass Neuer nicht in Topform zu einem Turnier reist, ist nichts Neues. Das tat er schon 2018 (Fußbruch) und 2022 (Schulterprobleme), angesichts dessen ist es vielleicht nicht das beste Omen. Doch zur körperlichen Verfassung kommen zarte sportliche Zweifel. Wie für viele Bayern-Profis liegt auch hinter ihm eine schwierige Saison - trotz des Comebacks. Nur etwas mehr als 60 Prozent der Schüsse, die in der Bundesliga auf sein Tor flogen, konnte er parieren. Im Ligavergleich ist das ein bestenfalls mittelmäßiger Wert.
Hinzu kommen auch überraschende Aussetzer. Am letzten Bundesliga-Spieltag ging es für den FC Bayern zwar um nichts mehr, aber Neuer zeigte eine überraschend fehleranfällige Leistung. Bei der 2:4-Niederlage gegen Hoffenheim sah er bei drei der vier Gegentreffern nicht gut aus. Zweimal spielte er seine Mitspieler undankbar an, beim 2:3 verschätzte er sich und ging gar nicht erst zum Ball.
Nun kann argumentiert werden: Na ja, gegen die TSG handelte es sich letztlich um ein besseres Auslaufen, auch wenn es die Münchner die Vizemeisterschaft kostete. Eigentlich. Nur machte er nicht nur in einem egalen Spiel Fehler, sondern auch auf ganz hohem Niveau - etwa im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid. Dort zeigte sich, wie unfair eigentlich die Torwartposition ist. Neuer parierte zwar mehrfach Weltklasse, doch daran erinnert sich vermutlich niemand mehr. Denn der mehrfache Welttorhüter erlebte seinen ganz persönlichen Oliver-Kahn-Moment. Kurz vor Schluss ließ er einen Ball von Vinicius Jr. fallen, Reals Joselu staubte ab, Neuer fand sich im Albtraum wieder.
Was bedeutet das für das DFB-Team?
Bei der Heim-EM steht er ganz sicher im Tor, der langjährige Kapitän konnte sich die Stammplatzgarantie von Nagelsmann schon im März abholen. "Wenn er gesund ist", betonte der Bundestrainer nun erneut, werde Neuer im Eröffnungsspiel am 14. Juni in München gegen Schottland im Tor stehen. "Ist ja klar", schob er hinterher. Nagelsmann wich damit auch von seinem selbstproklamierten Leistungsprinzip ab - nur Leroy Sané und Manuel Neuer bekamen diese Sonderrollen. Denn Manuel Neuer ist immer noch Manuel Neuer. Der Torhüter, der Weltklasseangreifer verzweifeln lassen und Spiele entscheiden kann.
Zumal: Die Torwartposition beim DFB-Team ist zumindest auf dem Papier keine Schwachstelle. Denn hinter Neuer wartet jemand, der ebenso das Prädikat "Weltklasse" verdient. Der unglückliche Marc-André ter Stegen spielt seit Jahren beim FC Barcelona auf hohem Niveau. Er war im Vorjahr der Spieler der Saison, die "Marca" taufte ihn einst als "Messi mit Handschuhen". Bei jeder anderen Nationalmannschaft hätte der 32-Jährige seinen Platz wohl sicher - nur hat keine andere Nationalmannschaft einen Manuel Neuer.
Auch diesmal spielt ihm das Timing nicht in die Handschuhe. Ter Stegen hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Er laborierte lange an Rückenproblemen herum, der FC Barcelona hat eine ähnlich chaotische und erfolglose Saison hinter sich wie der FC Bayern. Zuletzt fiel er dann auch noch mit einem Riesen-Bock auf, als er versuchte, einen Angreifer des FC Valencia zu überlupfen. Ter Stegens Ball schaffte es nur auf Brusthöhe, Hugo Duro konnte ins leere Tor einschieben. Die spanische Presse zerriss daraufhin die deutsche Nummer zwei.
Und auch, wenn Nagelsmann an der Torwart-Rangliste nichts geändert hat, hat der Bundestrainer doch irgendwie reagiert. Zur Heim-EM fahren nicht wie üblich drei Keeper, sondern gleich vier. Der Grund: die Belastungssteuerung. "Jeder, der schon mal im Tor war, wenn dann auf einmal 20 Spieler 400 Schüsse abfeuern, ist das relativ belastend", erklärte Nagelsmann bei der Kadernominierung. "Und wir haben schon eine enge Taktung der Spiele. Deswegen ist es gut, die Belastung dann auch zu verteilen. Deswegen werden wir mit vier Torhütern mitgehen." Und vielleicht ja auch, um angesichts der Verletzungshistorie für mögliche Ausfälle für mögliche Ausfälle gut vorbereitet zu sein.
Quelle: ntv.de