Leistung, die Rätsel aufgibt Schwaches DFB-Team stemmt sich gegen die EM-Zweifel
08.06.2024, 07:14 Uhr
Besser nicht hinschauen?
(Foto: IMAGO/RHR-Foto)
Was war denn plötzlich mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft los? Gegen Griechenland wirkt das Spiel lange ohne Spannung und droht zu einem ganz bitteren Stimmungsdämpfer zu werden. Die Protagonisten bleiben gelassen.
Gegen die Ukraine gab es am vergangenen Montag noch einiges, dass die deutschen Fußballer für sich hinbiegen konnten. Etwa die vielen Torchancen, die herausgespielt worden waren. Als Warm-Up für die EM-Euphorie im eigenen Land taugte das erste von zwei Vorbereitungsspielen (0:0) der deutschen Fußball-Nationalmannschaft durchaus. Für mehr allerdings auch nicht. Denn aus den Chancen entstand kein Tor. Und auch defensiv war noch nicht alles niet- und nagelfest. Der Feinschliff für eine erneute Sommermärchen-Stimmung sollte daher nun in Mönchengladbach erfolgen, gegen Griechenland, gegen die Nummer 50 der Welt. Doch dieses Vorhaben ging mächtig schief. Trotz des knappen Siegs. Was nach dem 2:1 (0:1) bleibt: Die alte Theater-Gewissheit, dass eine verpatzte Generalprobe für eine gelungene Premiere sorgt. Bisschen dünn für Euphorie …
Aber das Gefühl der Ernüchterung soll nun auch nicht aufkommen, immerhin hatte sich das deutsche Team ja nach Kräften dagegen gewehrt, das Spiel mit einem Remis oder gar einer Niederlage zu beenden. Joker Pascal Groß traf in der 89. Minute sehenswert zum 2:1. Nach einem extrem laschen und fehlerbehafteten Auftritt der DFB-Wunschelf in der ersten Hälfte war Stürmer Kai Havertz auch erst nach der Pause der Ausgleich gelungen (56.). Die Griechen zeigten viel Leidenschaft und Mut und führten zuvor verdient durch Giorgos Masouras (34.).
Die Moral der deutschen Mannschaft ist intakt, das ist eine wichtige Erkenntnis. Vielleicht die wichtigste nach diesem Abend, der abermals viele Fragen offenließ. Etwa die, ob man sich von der guten Stimmung zuletzt womöglich blenden ließ? "Das ist zu plakativ. Die Stimmung ist nicht zu gut. Sie ist gut, wir trainieren gut", sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann. "Wir haben die Spiele im November und März richtig eingeordnet. Das waren wichtige Schritte. Heute war es auch ein wichtiger Schritt. Es war das vierte Spiel in Folge, in dem wir gefestigter waren als im November. Aber wir brauchen Minuten, um die Abläufe noch zu verbessern."
"Es war auch ein Test für die Psyche"
Vor allem in der Konterabsicherung taten sich teilweise erschreckende Lücken auf. Immer wieder tauchten die Griechen in der deutschen Hälfte auf, wurde luftig verteidigt. In mancher Situation fast schon ignoriert. Und hätten die Gäste beste Gelegenheiten in Überzahl nicht fahrlässigst liegengelassen, die Stimmung im Stadion hätte kippen können. Nach 30 Minuten gab es bereits erste Pfiffe. Zur Pause wurden sie lauter. Dass am Ende alles gut, zumindest im Sinne der Ergebniswährung, geworden war, stimmte das Publikum noch milde. Die maximale Unnachgiebigkeit, Spiele gewinnen zu wollen, ist eine Qualität, die lange verschüttet war. Dass sie rechtzeitig zur EM wieder ausgebuddelt worden ist, ist mehr als ein Strohhalm der Hoffnung. Zumal es an der individuellen Klasse der Spieler im Kader kaum Zweifel gibt, selbst wenn die Magier Jamal Musiala und Florian Wirtz nun mal einen Abend erwischt hatten, an dem sich der Zauber nicht entfalten wollte.
Aber das Große und Ganze jetzt von bunt wieder in ein biederes Grau einzutrüben, dazu ist Nagelsmann bei aller kritischen Aufarbeitung des Abends von Mönchengladbach nicht bereit. "Es war auch ein Test für die Psyche, um mit Druck umzugehen. Das fand ich sehr wertvoll", befand der Bundestrainer. "Das Stadion war nicht zufrieden, wir waren in der Halbzeit nicht zufrieden. Wir mussten eine Reaktion zeigen, das haben wir getan. In der zweiten Halbzeit hatten wir mehr Kontrolle. Am Ende war der Sieg wichtig, um die Fans mitzunehmen. Ein spätes Tor tut immer gut. Da kann man in Leverkusen nachfragen." Der deutsche Meister hatte Last-Minute-Treffer gewissermaßen zu seinem Markenzeichen gemacht.
Auch Kapitän İlkay Gündoğan bemühte sich die, das Positive herauszuheben: "Die erste Halbzeit war träge, das wurde eiskalt bestraft, das haben die Griechen gut gemacht. Trotzdem ist das nicht unser Maßstab. Zum Glück haben wir noch das 2:1 gemacht und das Spiel gewonnen. Julian Nagelsmann hat in der Halbzeit eine Ansage gemacht und ermahnt, dass das so nächste Woche auch eintreten kann. Deswegen darf man sich so eine erste Halbzeit nicht erlauben", sagte der Kapitän. "Wir können aus den beiden Spielen viele Lehren für das Turnier ziehen. Ich sehe das nicht so negativ, das ist ein Lernprozess, die Sinne sind geschärft." Und Toni Kroos, der Champions-League-Sieger und große Hoffnungsträger, sieht's entspannt: "Man weiß, dass im Fußball auch schlechte Halbzeiten dazu gehören." Er selbst hat es jüngst in den ersten 45 Minuten des Königsklassen-Endspiels gegen Borussia Dortmund erlebt, als sein Real klar unterlegen war und am Ende gewann. "Wir sind nicht so gut, wie wir zuletzt gemacht wurden - aber auch nicht so schlecht, wie wir davor gemacht wurden."
Gedanken an Mexiko, Südkorea oder Japan
Und doch bleiben in all der Gelassenheit die dunklen Turnier-Erinnerungen der jüngeren Vergangenheit. In manchen Momenten an diesem Freitagabend war es wieder 2022, 2021, 2018. Mehrmals läuft Griechenland mit zwei Spielern auf einen einsamen deutschen Verteidiger zu. Die Fans im Stadion fühlen sich an Mexiko, Südkorea oder Japan erinnert. Die vor dem Spiel so hochgelobte Achse droht gleich an mehreren Stellen zu brechen.
Alles, was an Kroos im königlichen Gewand von Real Madrid so cool und seriös wirkt, ist plötzlich langsam und zögernd. Antonio Rüdiger, mit allen Wassern gewaschener Abwehrchef des CL-Dauersiegers, wird mehrmals von Angreifern überrumpelt, die noch nie in der Königsklasse aufliefen - geschweige denn im Endspiel standen. Und Gündoğan, der für Manchester City in der Prä-Haaland-Ära zum wichtigsten Torjäger des Klubs aufstieg, strahlt in Mönchengladbach alles aus, nur keine Torgefahr.
Und dann gibt es da noch Manuel Neuer. Bereits in der Bundesliga-Saison zeigen sich immer wieder Aussetzer in seiner sonst so magnetischen Ballkontrolle. Ist das Alleinstellungsmerkmal des Spitzenkeepers, sein Passspiel, plötzlich ein Risiko? Die kleinen Patzer werden weggewischt. Auch der grobe Schnitzer gegen die Ukraine lässt sich noch charmant weglächeln. Abseits. Nichts passiert. Der Fehler im Griechenland-Spiel wiegt schwerer, denn er betrifft das Kerngeschäft. Die Unsicherheit auf der Linie führt zum Gegentor und überschattet selbst die grandiose Rettungstat aus der Anfangsphase der Partie. Die Probleme durch personelle Veränderungen zu lösen, wird nahezu unmöglich. Nagelsmann hat Neuer direkt nach Abpfiff den Rücken gestärkt. Toni Kroos und Antonio Rüdiger tragen trotz allem den königlichen Nimbus der Unbesiegbarkeit aufs Feld.
In Kroos' Fall will die Weltöffentlichkeit darüber hinaus die letzten Spiele genießen, in denen er am finalen Monument seiner Karriere feilt. Möglicherweise ist Gündoğan - der Kapitänsbinde zum Trotz - der am wenigsten Unantastbare. Auch weil Leroy Sanés Kombination aus Zug zum Tor und Geschwindigkeit sowohl Gündoğan als auch Florian Wirtz und Jamal Musiala abgeht. Nagelsmann bleibt eine Woche bis zum Start des Turniers. Die Uhr tickt. Gerade einmal wieder gegen das gute Gefühl.
Quelle: ntv.de