Seit 2014 hat Xherdan Shaqiri bei jeder WM und jeder EM getroffen, das hat außer dem Schweizer kein Fußballer geschafft. Doch der frühere Profi des FC Bayern erzielt nicht einfach irgendwelche Tore. Seine Heldentaten bleiben in Erinnerung.
Es gibt im internationalen Fußball wohl nur wenige Spitznamen, die so treffend formuliert sind wie der von Xherdan Shaqiri: Kraftwürfel. Wer den Schweizer Nationalspieler einmal in Aktion erlebt hat, weiß, woher der Name kommt. Denn Shaqiri ist im besten Sinne kräftig gebaut, der europäische Fußballverband UEFA führt ihn mit 72 Kilogramm, die sich auf 1,69 Meter Körpergröße verteilen. Ein im Quervergleich eher kleines, aber dafür breites Muskelpaket. Eben so ungefähr das, was sich die meisten vorstellen dürften, wenn sie "Kraftwürfel" hören.
Shaqiri, der einst beim FC Bayern zum internationalen Star aufstieg, fällt nur jedoch nicht bloß wegen seiner Statur ins Auge. Der 32-Jährige spielt auch immer dann groß auf, wenn er die große Bühne betritt. Sein Traumtor gegen Schottland im zweiten EM-Gruppenspiel sicherte der Schweiz nicht nur das 1:1 und damit das so gut wie sichere Erreichen des Achtelfinals - sondern dem "Kraftwürfel" auch eine Bestmarke, die kaum jemand auf dem Schirm gehabt haben dürfte. Denn Shaqiri ist dank seines Treffers aus knapp 20 Metern in den linken Winkel der erste europäische Fußballer, der bei den jüngsten sechs großen Turnieren immer mindestens ein Tor erzielt hat. Seit 2014 hat er bei jeder Welt- und Europameisterschaft getroffen.
"Das ist schon sehr speziell, ich bin stolz darauf", sagte Shaqiri nach den 90 Minuten von Köln, in denen er mit seinem 32. Länderspieltor auf Platz drei der ewigen Bestenliste der Schweizer Nationalelf vorgerückt war. "Ich habe den Ball perfekt getroffen", beschrieb er, was alle in der 26. Minute gesehen hatten. Nach einem schottischen Fehlpass hatte Shaqiri mit links direkt abgezogen, unhaltbar rauschte der Ball passgenau ins linke obere Eck. Der Schweizer Keeper Yann Sommer, der das Geschehen von der Gegenseite verfolgte, räumte ein, sich zuerst gefragt zu haben, warum sein Mitspieler direkt schieße: "Aber es ist halt Shaq."
Champions-League-Sieger mit Bayern und Liverpool, mittlerweile in den USA aktiv
Auch Nationaltrainer Murat Yakin lobte den 32-Jährigen, der beim 3:1-Auftaktsieg gegen die Ungarn noch ohne Einsatz geblieben war: "Das war ein wunderschönes Tor. Man hat gesehen, dass er für diese Momente lebt." Selbst Schottlands Steve Clarke kam nicht umhin, seine Anerkennung auszudrücken. "Wenn dort ein anderer Spieler gestanden hätte als Shaqiri, wäre es kein Tor geworden. Das sagt alles über seine Klasse aus", so Clarke über Shaqiri, der nach Stationen beim FC Basel, Bayern München, Inter Mailand, Stoke City, dem FC Liverpool und Olympique Lyon inzwischen seit mehr als zwei Jahren bei Chicago Fire in den USA spielt.
Mit den Bayern und Liverpool gewann er Champions League, Klub-WM und europäischen Supercup, wurde außerdem Deutscher, Englischer und (mit dem FC Basel) auch Schweizer Meister - doch den größten Eindruck hinterlässt er stets dann, wenn Welt- und Europameister ermittelt werden. Seine beeindruckende Serie begann 2014 bei der WM in Brasilien, als im Vorrundenspiel gegen Honduras im Alleingang per Hattrick den 3:0-Sieg für die Eidgenossen herausschoss. Bei der EM 2016 traf er im Achtelfinale gegen Polen per Fallrückzieher von der Strafraumkante zum späten 1:1-Ausgleich, jedoch ereilte die Schweiz wenig später das Aus im Elfmeterschießen.
Bei der WM 2018 in Russland krönte er in der 90. Minute der Gruppenpartie gegen Serbien einen Konter mit dem 2:1-Siegtreffer, riss sich im Jubel das Trikot vom Leib und präsentierte stolz seinen nackten Oberkörper. Bei der europaweit ausgetragenen EM 2021 schlenzte er im Vorrundenspiel gegen die Türkei in Baku erst traumhaft aus 20 Metern in den rechten Winkel zum 2:0 ein und sorgte dann bei einem Konter für den 3:1-Endstand. Im Viertelfinale gegen Spanien erzielte er in St. Petersburg das 1:1, das die Schweiz in die Verlängerung und ins Elfmeterschießen brachte, in dem jedoch das Aus folgte.
Letzter Schweizer Pflichtspielsieg gegen Deutschland liegt 86 Jahre zurück
Bei der WM 2022 in Katar war es dann wie schon vier Jahre zuvor wieder Serbien, das einen Shaqiri-Treffer hinnehmen musste. Im entscheidenden dritten Gruppenspiel eröffnete der Kraftwürfel mit einem Linksschuss aus zehn Metern den Torreigen mit dem 1:0 - am Ende stand nach zwischenzeitlichem 1:2-Rückstand ein 3:2-Sieg, der die Eidgenossen in die K.-o.-Runde beförderte. Fünf große Turniere, bei denen Shaqiri immer zur Stelle war, bevorzugt sogar mit sehenswerten Abschlüssen - wie auch jetzt eben an diesem Mittwochabend in Köln gegen Schottland.
Nächster Gegner für die Schweizer ist am Sonntag (21 Uhr/ARD, MagentaTV und im Liveticker bei ntv.de) die DFB-Elf, die mit zwei Siegen gegen Schottland (5:1) und Ungarn (2:0) den perfekten Start in die Heim-EM erwischt hat und den Gruppensieg anpeilt. "Es wird ein guter Härtetest für uns", sagte Shaqiri mit Blick auf das Nachbarduell, in dem es für die Eidgenossen in 53 Partien bislang nur neun Siege (bei acht Remis und 36 Niederlagen) gab. In Pflichtspielen zuletzt übrigens beim 4:2 im Achtelfinal-Wiederholungsspiel der WM 1938 in Frankreich, als Genia Walaschek, Alfred Bickel und ein Doppelschlag von André Abegglen das Spiel nach 0:2-Rückstand noch für die Schweiz drehten.
"Wir wollen die Deutschen ärgern", gab Shaqiri als Ziel für das Aufeinandertreffen mit dem Gastgeber aus: "Wir werden alles versuchen, um ihnen so viele Probleme wie möglich zu machen - und ein positives Ergebnis mitzunehmen. Das gibt dir Stärke für die nächste Runde." Ein weiterer Shaqiri-Kracher wäre dabei in jedem Falle hilfreich. Und die jüngere Fußball-Geschichte zeigt ja, dass der 32-Jährige in solchen Momenten gerne zur Höchstform aufläuft. Statistiken wie diese, sagte der Kraftwürfel, seien "immer schön zu sehen, die bleiben in Erinnerung". Ähnlich wie die Traumtore, die Shaqiri seit nunmehr einem Jahrzehnt bei WM und EM immer wieder auspackt: "Die großen Spiele sind für mich gemacht."
Quelle: ntv.de