Rechtsextreme, Erdogan und Özil Türkei-Fans schocken mit tausenden Wolfsgrüßen im Olympiastadion
06.07.2024, 21:03 Uhr
Das Berliner Olympiastadion wird zum Hexenkessel und politischen Pulverfass: Tausende türkische Fans recken den rechtsextremistischen Wolfsgruß vor dem EM-Viertelfinale gegen die Niederlande in die Höhe. Dabei inszeniert sich der türkische Präsident Erdogan. Überraschend auch mittendrin: Mesut Özil.
Das Berliner Olympiastadion ist rot und weiß. Ein Fahnenmeer und die lauten Rufe und Gesänge der vielen türkischen Fans vor dem Kracher im Viertelfinale ihrer Mannschaft gegen die Niederlande verwandeln das Rund in einen Hexenkessel. Obwohl auch Tausende Oranje-Fans vor Ort sind, ist dies ein Heimspiel für die Türkei. Vor dem Anpfiff herrscht Party-Stimmung im Rund und um das Stadion herum.
Binnen Sekunden mutiert der Hexenkessel jedoch in ein politisches Pulverfass. Links und rechts recken türkische Fans den rechtsextremistischen Wolfsgruß in den Abendhimmel, während die Nationalhymne ihres Landes erklingt. Schon den ganzen Tag über war es in der Hauptstadt zu dieser Geste gekommen, die unter anderem für den Abbruch eines türkischen Fanmarschs gesorgt hatte.
Die Fangruppe "Turkish Ultras" hatte alle türkischen Fans in den sozialen Medien dazu aufgerufen, im Stadion während der Nationalhymne den rechtsextremistischen Wolfsgruß zu zeigen. Kamal Sido, Referent von der "Gesellschaft für bedrohte Völker" erklärte gegenüber ntv.de, dass zusätzlich "einige nationalistische Gruppierungen in Deutschland, die aus der Türkei stammen" vorab den Wolfsgruß im Stadion gefordert hätten.
Erdogan inszeniert sich "als Führer der Türkei"
Und mittendrin: Recep Tayyip Erdogan, der in der Vergangenheit selbst schon den Wolfsgruß gezeigt hat. Der für seine Inszenierungen bekannte türkische Präsident war sich des besonderen Schauplatzes bewusst und reiste kurzerhand nach Berlin, um seine Nationalelf anzufeuern - und in der Aufmerksamkeit der Menge zu baden. Eine perfekt konstruierte Machtdemonstration des nationalistischen Autokraten live im deutschen Fernsehen. Vor den Augen von Millionen von Zuschauern auf der ganzen Welt.
Auch vor den Augen von Mesut Özil. Der ehemalige deutsche Nationalspieler flog ebenfalls kurzfristig nach Berlin und saß im Olympiastadion an der Seite von Erdogan. Im vergangenen Jahr postete der Rio-Weltmeister, bei dessen Hochzeit der türkische Präsident Trauzeuge war, ein Foto online, das ihn mit einem Tattoo der Grauen Wölfe auf der Brust zeigte. Özil hat sich zu dem Foto und seinem Tattoo bis heute nicht geäußert, aber teilte am Nachmittag in einer Instagram-Story ein Bild mit dem türkischen Nationalspieler Merih Demiral beim Wolfsgruß-Jubel nach dem Österreich-Spiel.
Eren Güvercin, Mitbegründer der Alhambra-Gesellschaft, die sich für einen offenen innermuslimischen Dialog einsetzt, sagte vor der Partie zu ntv.de, dass es sich für Erdogan nicht um einen normalen Besuch eines Fußballspiels der türkischen Nationalmannschaft handele. "Er nutzt jede Gelegenheit, um eine Position der Stärke für seine Anhänger zu inszenieren", so Güvercin. "Nach der Debatte um den Wolfsgruß nach dem Achtelfinalspiel war klar, dass Erdogan diese Gelegenheit nutzen wird, sich als Führer der Türkei zu inszenieren."
"Die Tatsache, dass Erdogan alle seine Termine abgesagt hat, auch andere Reisen ins Ausland, um bei dem Spiel dabei zu sein, deutet darauf hin, dass er Provokationen im Schilde führt", sagte auch Experte Sido. Dies könne entweder direkt im Stadion oder durch Aussagen rund um das Spiel geschehen. "Ich gehe davon aus, dass er Botschaften an den nationalistischen Teil der türkischen Bevölkerung übermitteln will, durch Symbolik oder Gesten", erklärte er weiter.
Türkische Rechtsextreme rufen zu EM-Boykott auf
Der Doppeltorschütze aus dem Achtelfinale, Merih Demiral, hatte den Sieg der türkischen Elf gegen die aus Österreich mit dem Wolfsgruß gefeiert und wurde für zwei Spiele gesperrt. Der türkische Verband versuchte die Strafe zu kippen, aber vergeblich. Die Debatte artete politisch aus. Zunächst hatte das türkische Außenministerium die UEFA-Untersuchung gegen Demiral als inakzeptabel bezeichnet, die deutsche Politik verurteilte den Wolfsgruß aufs Schärfste. Es folgten diplomatische Verstimmungen zwischen Deutschland und der Türkei, beide Länder bestellten den jeweils anderen Botschafter ein.
Die türkische Ultra-Gruppierung, die zum Wolfsgruß aufgerufen hatte, schrieb, die Geste sei nicht rassistisch zu verstehen, sondern "das nationale Symbol des Türkentums". Eben dieses Türkentum stellt die rechtsextremistische Gruppierung der Grauen Wölfe, die hierzulande vom Verfassungsschutz beobachtet wird, über alles, und sieht die Türken als eine Art Übermensch an. Vermeintlicher Gegner wie Aleviten, Armenier, Juden, Griechen oder Kurden sind das Ziel von Hass und Gewalt. Der Wolfsgruß ist das Zeichen der ultra-nationalistischen Bewegung, auch bei Gewalttaten gegen und Morden an Minderheiten wurde die Geste benutzt.
Die Grauen Wölfe sind in der Türkei längst etabliert und seit 2018 mit ihrem politischen Arm, die rechtsextreme Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), offiziell Teil der Regierung an der Seite von Erdogans AKP. Der Vorsitzende der MHP, Devlet Bahçeli, hatte am Freitag die türkische Nationalmannschaft aufgefordert, die Fußball-Europameisterschaft 2024 zu verlassen und in die Türkei zurückzukehren, um gegen die Demiral-Sperre der UEFA und die Wolfsgruß-Debatte vorzugehen.
Fanmarsch wegen Wolfsgruß abgebrochen
Güvercin hatte im Vorfeld mit den vielen Wolfsgrüßen während der Nationalhymne gerechnet. "Es gibt nicht nur seitens der türkischen Ultras einen dementsprechenden Aufruf, sondern viele türkische Medien und auch Politiker reagieren mit Trotz und dem demonstrativen Zeigen des Wolfsgrußes auf die Sperre des türkischen Nationalspielers durch die UEFA", sagte der Journalist und Autor. "Erdogan will diese Bilder und wird dies innenpolitisch als Zeichen der Stärke nutzen."
Bereits am Freitag hatte Erdogan sich freuen dürfen: Türkische Anhängerinnen und Anhänger hatten das Nationalteam am Berliner Potsdamer Platz empfangen. Viele von ihnen, darunter auch Kinder und Jugendliche, zeigten den Wolfsgruß, wie auf Bildern und Videos in den sozialen Medien zu sehen war. Auch beim Fanmarsch zum Olympiastadion am Nachmittag war die Geste so oft zu sehen, genauso wie Banner mit Zeichen und Symbolen der Grauen Wölfe, dass die Berliner Polizei einschritt und die Kundgebung zunächst vorübergehend stoppte und dann komplett abbrach, weil der Marsch keine Plattform für politische Botschaften sei. Eine Gruppe von schwarz gekleideten Ultras skandierte bei der Kundgebung laut Videos in den Sozialen Medien die Parole: "Wir wollen keine Flüchtlinge in unserem Land."
Die Beamten hatten sich bereits ohne den Besuch Erdogans auf eine extreme Situation vorbereitet, mehrere Tausend Polizisten sind im Einsatz. Ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin bezeichnete die Partie als ein "Nonplusultra-Hochrisikospiel". Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, hatte am Vormittag zum Verzicht auf den Wolfsgruß aufgerufen: "Politik hat keinen Platz auf dem Spielfeld", sagte er. Dies gelte erst recht, "wenn in ihrem Zentrum menschenverachtende Symbolik zum Ausdruck gebracht wird."
Feiern konnten die türkischen Fans nach der 1:2 (1:0)-Pleite gegen die Niederlande am Ende nicht. Der Moder des Rechtsextremismus schwang den Abend über aber trotz Oranje-Party mit.
Quelle: ntv.de