Macron und Fußballer weichen aus Der heikle WM-Spagat der Franzosen mit Katar
17.11.2022, 19:44 Uhr
In Verlegenheit: Hugo Lloris erklärt den Verzicht auf die "One-Love"-Binde.
(Foto: REUTERS)
Mehrere Kapitäne von europäischen WM-Teilnehmern haben sich auf das Tragen einer Anti-Diskriminierungsbinde bei den Spielen in Katar verständigt. Nun schert ausgerechnet Titelverteidiger Frankreich aus. Die Entscheidung hat durchaus brisante Hintergründe.
Der französische Nationalmannschafts-Kapitän Hugo Lloris hatte kaum seinen Verzicht auf das Tragen einer Anti-Diskriminierungsbinde bei der Weltmeisterschaft in Katar verkündet, da bekam der Torhüter des Titelverteidigers politischen Rückenwind von der allerhöchsten Stelle. "Ich glaube, wir sollten den Sport nicht politisieren", sagte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron vor Journalisten in Bangkok.
Zur Menschenrechtssituation in dem Emirat am Persischen Golf wollte sich das Staatsoberhaupt derweil ebenso wenig äußern wie zur Behandlung ausländischer Arbeitskräfte: "Diese Fragen hätte man bei der WM-Vergabe stellen müssen. Man sollte sie sich nicht jedes Mal stellen, wenn das Ereignis da ist, sondern in dem Moment, in dem man es vergibt." Macron verteidigte sich in der Runde lieber gegen Kritik an seinem möglichen WM-Besuch, sollte die französische Mannschaft ins Halbfinale oder Endspiel gelangen.
Zwölf Jahre nach dem Zuschlag für den kleinen Wüstenstaat hatten sich die Spielführer von acht europäischen WM-Teilnehmern eigentlich darauf geeinigt, wenigstens mit einer speziellen Kapitänsbinde ein Zeichen für die Menschenrechte zu setzen. Doch selbst dies ist Lloris, 2018 in Russland mit Les Bleus Weltmeister geworden, plötzlich zu provokant. "Wenn wir ausländische Besucher in Frankreich willkommen heißen, möchten wir oft, dass sie unsere Regeln und unsere Kultur respektieren. Das werde ich auch in Katar tun", sagte der 35-Jährige im Interview der französischen Nachrichtenagentur AFP.
"One Love" ist bereits ein Kompromiss
Sein Torhüter-Kollege und DFB-Kapitän Manuel Neuer vertritt eine ganz andere Auffassung: "Die Liebe zum Fußball verbindet uns alle. Egal, wo wir herkommen, wie wir aussehen und wen wir lieben. Fußball ist für alle da. Und der Fußball muss für alle da sein, die sich diskriminiert und ausgeschlossen fühlen, überall auf der Welt." Die Binde mit dem Herz in bunten Farben und der Aufschrift "One Love" ist ohnehin bereits ein Kompromiss, um mit dem Tragen einer Armbinde in Regenbogenfarben die Situation in Katar nicht noch weiter anzuheizen.
Der Weltverband FIFA reagierte auf jeden Fall schon allergisch, untersagte dem dänischen Team, weiterhin den Slogan "Menschenrechte für alle" auf der Trainingskleidung zu tragen. Dabei wurde darauf verwiesen, dass politische Botschaften nicht gestattet seien. Zuletzt hatte Verbandsboss Gianni Infantino sogar einen Brief an die Teilnehmernationen geschrieben und darum gebeten, sich in Katar nur noch auf Fußball zu konzentrieren. Die Gretchenfrage bei der Binde nun lautet: Ist "One Love" eine politische Botschaft oder nicht?
Engste Verflechtungen zwischen Katar und Total
Aber selbst wenn es ein Plazet des Weltverbands geben sollte, für Thomas Hitzlsperger ist diese selbst gebastelte Eigenkreation ein zu schwaches Symbol. "Beim Regenbogen weiß man, was es bedeutet. Nun aber kommt man mit einer Binde raus, die viel meint, aber nichts sagt", meinte der offen homosexuell lebende Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger im SWR. DFB-Präsident Bernd Neuendorf verteidigte indes die "One-Love"-Binde. "Das ist ein Zeichen für Vielfalt, Offenheit und Toleranz - nicht nur für LGBTQ, sondern für Frauenrechte, Meinungsfreiheit und Arbeitnehmerrechte", sagte er im ZDF.
Der Rückzieher Frankreichs ist aber auch wirtschaftlichen Interessen geschuldet. So gibt es enge Verflechtungen zwischen Katar und dem französischen Energiekonzern Total. Schätzungen zufolge besitzt der Golfstaat in Frankreich Vermögenswerte von mehr als 25 Milliarden Euro. Die Tageszeitung "Le Monde" berichtete darüber hinaus, dass man auf der Arabischen Halbinsel mit der Wertschätzung der WM-Endrunde in Frankreich alles andere als einverstanden sei. Hintergrund: In mehreren Großstädten wie Paris, Bordeaux und Straßburg sind keine offiziellen Public-Viewing-Veranstaltungen geplant.
Quelle: ntv.de, tno/AFP/dpa