Triumph trotz des Trainer-Zoffs Ein WM-Titel gegen alle Widerstände

Der Pokal ist das begehrteste Objekt auf der Bühne.

Der Pokal ist das begehrteste Objekt auf der Bühne.

(Foto: picture alliance / DPPI media)

Spaniens Weltmeisterinnen feiern ihre Titel-Premiere ausgelassen. Wie immer zunächst ohne ihren Trainer Jorge Vilda. Die getrennten Lager sind deutlich sichtbar. Trotz des Triumphs ist unklar, wie es mit dem Team und dem Coach weitergeht.

Im Moment des größten Triumphs wird auf dem X-Account (ehemals Twitter) des spanischen Fußball-Nationalteams der Frauen ein Bild von Jorge Vilda veröffentlicht. Der Trainer küsst den WM-Pokal und hält den linken Zeigefinger hocherhoben. Überschrieben ist das Foto mit: "Vilda In." Zwei Worte, die einen Sturm der Entrüstung auslösen.

"Out", antworten User hundertfach. So wie es der Hashtag #VildaOUT besagt, dessen provokante Antwort das Bekenntnis zum Trainer ist. Spanien hat gerade erstmals den Weltmeister-Titel gewonnen, hat sich im Finale des Turniers in Australien und Neuseeland gegen die Europameisterinnen aus England mit 1:0 durchgesetzt. Und doch muss sich Vilda fragen lassen, ob er eine Zukunft beim Team hat. "Jetzt feiern wir erstmal den Weltmeister-Titel. Dann werden wir sehen", antwortet er kurz angebunden auf der Pressekonferenz.

Vilda steht eigentlich überaus gut da. Er ist der Weltmeisterinnen-Macher. Er hat den Erfolg auf seiner Seite, so deuten es viele. Die Gazzetten Spaniens haben sein Konterfei am Morgen des Finales vielfach auf ihren Titelseiten abgedruckt, sie feiern ihn bereits vor dem Vollzug als Helden. Seit 2015 trainiert er das Nationalteam, nun ist Spanien ganz oben angekommen. "Ich glaube, dass ein Erfolg wie dieser, die Entwicklung des Frauenfußballs in Spanien explodieren lässt. Das haben wir in anderen Ländern wie Niederlanden und England gesehen", sagt er stolz nach dem Sieg.

Gewonnen mit oder trotz des Trainers?

Das spanische Team überzeugt auch im Finale gegen die bis dahin dominant spielenden Engländerinnen. Die Europameisterinnen von Trainerin Sarina Wiegman können ihr Spiel nicht wie gewohnt aufziehen. Bereits in der 29. Minute trifft Olga Caromona zum entscheidenden 1:0, Jennifer Hermoso vergibt in der 70. Minute einen Handelfmeter gegen Torhüterin Mary Earps. Es ist eine intensive Partie, ein würdiges Finale, das bis zum Abpfiff nach 13 Minuten Nachspielzeit spannend ist.

Spanien ist offensichtlich gut eingestellt auf die Engländerinnen, die formstarke Salma Paralluelo im Sturm sorgt für reichlich Wirbel. Spanien ist ein Team, das harmoniert. Mit der Spielerin des Turniers, Aitana Bonmati, als Hirn, mit Torschützin Olga als Unruheherd, mit der gewohnt sicheren Abwehrspielerin Irene Paredes. Vilda hat die Elf gut zusammengestellt, so eine Darstellung. Er hat die Jungen, wie Salma, die schon bei der U20-WM im vergangenen Jahr triumphierte, gut eingebunden in ein Team, das neun Champions-League-Siegerinnen des FC Barcelona in seinen Reihen hat.

"Es ist eine riesige Freude, ich bin wahnsinnig stolz auf dieses Team", sagt Vilda denn auch im Interview noch auf dem Rasen. "Ich bin wahnsinnig glücklich. Wir haben unser Bestes gegeben, haben gezeigt, dass wir auch kämpfen können. Und jetzt sind wir Weltmeister."

Aber es gibt auch eine andere Deutung: Die Spanierinnen haben gewonnen, obwohl Vilda ihr Trainer ist. Danach sieht es wieder einmal beim Jubel aus. Oder besser gesagt: bei den Jubeln. Es gibt derer zwei. Getrennte nämlich, auf der einen Seite die Spielerinnen, auf der anderen das Trainerteam. Das gesamte Turnier über zeigt sich die Barriere zwischen Trainer und Team. Sie bilden eine überaus erfolgreiche Einheit, sind aber ganz offensichtlich keine. Sie jubeln allein mit dem WM-Pokal, der in ihren Händen kreist. Und auch schon unmittelbar nach dem Abpfiff wird das einmal mehr deutlich. Die Auswechselspielerinnen rennen in den eigenen Strafraum, werfen sich aufeinander - und ignorieren Vilda gekonnt, als er zum Jubeln allein auf dem Rasen steht. Der 42-Jährige findet Gratulanten nur in seinem eigenen Trainerteam. Erst später bilden alle gemeinsam einen Kreis.

Der Hashtag #VildaOUT trendet bei X während dieser WM immer dann, wenn Spanien spielt, viele Menschen haben nicht vergessen, was seit vergangenem September vorgegangen war. Dass 15 Spielerinnen ihren Rücktritt aus dem Nationalteam bekannt gegeben haben, sollte Vilda nicht sein Amt räumen. In einem Brief an den spanischen Fußballverband RFEF hatten sie mitgeteilt, sie sehen ihre Gesundheit und ihren emotionalen Gemütszustand beeinträchtigt. Grund sei Trainer Vilda - von Respektlosigkeit, Übergriffigkeit und Sturheit war die Rede. Berichtet wird seitdem außerdem davon, dass Vilda ein Kontrollfreak ist, der verbietet, Zimmertüren abzuschließen und Taschen inspiziert. Einer, der psychischen Druck ausübt und auf Belastungssteuerung wenig Wert legt.

Präsident verteidigt Vilda vehement

Verbandspräsident Luis Rubiales verteidigt den Coach die ganze Zeit über vehement. Er gilt als Freund der Familie Vilda, Vater Angel Vilda hat ebenfalls einen Job beim Verband, in der Direktion des Fußballs der Frauen. Noch am Donnerstag erklärte Rubiales: "Was wir ertragen haben, ist eine Menge. Jorge Vilda ist ein hart arbeitender Mann, ein Weltklassetrainer, der andere Verbände, die mehr Geld geboten haben, abgelehnt hat und bei Spanien geblieben ist."

Nur drei "Rebellinnen" kehrten vor der WM ins Team zurück, Ona Battle, Mariona Caldenty und Bonmati. "Wir haben uns an diejenigen gehalten, die immer hier sein wollten, die die großartige Arbeit, die er geleistet hat, um zu wachsen, geschätzt haben, und wir haben die Leute mit Ressentiments vergessen", so Rubiales weiter: "Er hat weitergearbeitet und sich nicht um diejenigen gekümmert, die ihn zerstören wollten."

Rubiales ist es auch, dessen Freude über den Titel keine Grenzen kennt. Als Gratulant auf der Bühne inmitten von FIFA-Boss Gianni Infantino und Spaniens Königin Letizia, knuddelt er alle Spielerinnen ausgiebig. Jennifer Hermoso drückt er sogar einen Kuss auf die Lippen, ein Video davon sorgt ebenfalls für Entsetzen. "Hat mir nicht gefallen", sagt die 33-Jährige hinterher knapp. Übergriffig, Fehl am Platze. Zumal auch Rubiales selbst in der Kritik steht. Im vergangenen Jahr war er von seinem Onkel, Juan Rubiales, beschuldigt worden, Gelder des RFEF veruntreut zu haben. Dieser war bis 2020 Stabschef des Verbandes und wurde dann von seinem Neffen entlassen. Laut "El Mundo" hatte er seinem Neffen unterstellt, eine Sexorgie als Arbeitsveranstaltung abgerechnet zu haben. Der Verband wies das zurück, aber die Unterstellung bleibt.

"Die Unterstützung des Verbands und des Präsidenten war essenziell. Aber nicht nur von ihnen, auch von den Mitarbeitern", sagt Vilda nach dem Triumph und bestätigt damit die Aussagen seines Vaters bei Radio Marca: "Wenn Luis Rubiales nicht im Verband gewesen wäre, als das passierte, hätte Jorge es keine 15 Minuten länger in der Nationalmannschaft ausgehalten", hatte Angel Vilda gesagt.

Mit Geld glücklich machen?

Über die Revolte gegen ihn will der neue Weltmeister-Trainer im Moment des größten Erfolgs nicht sprechen, wird bei entsprechenden Fragen kurz angebunden. Ob er den zu Hause gebliebenen Spielerinnen etwas sagen wolle, lautet eine Frage: "Dass ich sehr glücklich für jeden bin, den wir glücklich gemacht haben. Das ist alles." Rubiales und der Verband versuchten derweil offenbar mit Geld abzulenken. Die neuen Weltmeisterinnen kassieren jeweils mehr als eine halbe Million Euro, weil RFEF die ohnehin fälligen 248.000 Euro an FIFA-Prämien noch mit 300.000 Euro pro Person aufstocken. Zuvor hatte der Verband bereits jeder Spielerin 15.000 Euro gezahlt, um die Familien nach Australien einladen zu können.

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Während des Turniers hatten die Spielerinnen den Zoff nicht mehr kommentieren wollen. "An alles, was in der Vergangenheit passiert ist, will ich mich nicht erinnern. Ich will nur diesen Sport genießen, mit dieser Mannschaft unser Land inspirieren", hatte Hermoso vor dem Halbfinale gesagt. Sie hatte den Boykott-Brief nicht unterschrieben, aber ihre Unterstützung ausgedrückt.

Die Diskussionen werden weitergehen. Dafür sorgt auch Hermoso selbst, die den Finaleinzug unter anderem der früheren Kapitänin Veronica Boquete gewidmet hatte. Diese hatte 2015 den Boykott gegen Vildas Vorgänger Ignacio Quereda angeführt, der den Job 27 Jahre lang innehatte, oder, wie die Meuterer sagten, verwaltet hatte. Es mag ein Fingerzeig in die Richtung sein, die die Diskussionen nach den ersten Feierlichkeiten in Spanien einschlagen könnten.

Quelle: ntv.de

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