Redelings über die Saison 71/72 Der Bomber der Nation ballert für die Ewigkeit
16.09.2017, 09:55 Uhr

Wer so oft trifft, der wird geehrt: Gerd Müller.
(Foto: imago/WEREK)
Der FC Bayern spielt eine Fabelsaison. 101 Tore, davon 40 von Gerd Müller. Doch Schalkes Jahrhundertelf bietet Paroli. Trotz des Skandals, der die Bundesliga tief erschüttert. Und in Frankfurt treibt ein neues Enfant terrible sein Unwesen.
Die Deutschen haben mehrheitlich die Schnauze voll von der Fußball-Bundesliga. Der Skandal überschattet die Spielzeit auf allen Ebenen. Vor allem die Schatzmeister der Vereine leiden. Etwa sechs Millionen Mark weniger nehmen sie ein, insgesamt kommen unglaubliche 892.690 Zuschauer weniger zu den Begegnungen der ersten Liga als ein Jahr zuvor: im Schnitt gerade einmal noch 17.932 Besucher pro Partie. Die Abwärtsspirale wird permanent geölt durch immer neue Enthüllungen und einen dadurch intensiv geführten Negativ-Journalismus des größten deutschen Boulevardblatts. Hatte die "Bild"-Zeitung in den Jahren zuvor die Bundesliga hochgeschrieben, versucht sie nun über Skandalstorys Auflage zu machen.
Sie spricht von der "größten Pleite seit der Gründung der Liga" und hat so maßgeblichen Anteil am wachsenden Desinteresse der Fußballanhänger an ihrer immer noch recht jungen Bundesliga. Das Sportliche gerät für eine Spielzeit ins Abseits - dabei bieten die Vereine eine durchaus spektakuläre Saison.
Bayern München spielt eine überragende Runde und wird doch bis zum letzten Spieltag von der Schalker "Jahrhundertelf" gejagt. Den königsblauen Jungspunden bleibt am Ende dieser tollen Saison wenigstens der Gewinn des DFB-Pokals, denn am letzten Spieltag müssen sie sich den Münchnern im großen Finale im Olympiastadion mit 5:1 geschlagen geben. Das letzte Tor der Bayern an diesem Tag schießt Franz Beckenbauer. Es ist das 101. Saisontor der Münchner. Ein Torrekord für die Ewigkeit, für den vor allem ein Mann verantwortlich ist: Gerd Müller. Der "Bomber der Nation" macht in diesem Jahr seinem Namen alle Ehre und stellt mit seinen 40 Treffern ebenfalls eine Bestmarke auf, die wohl nie wieder von einem anderen Bundesligaspieler erreicht werden wird.
Und Udo Lattek kneift
Udo Lattek verspricht im Angesicht seiner ersten Meisterschaft im "Aktuellen Sportstudio", beim Gewinn des Titels mit dem FC Bayern werde er zu Fuß von Nürnberg nach München laufen. Als die Bayern nun wenige Tage später tatsächlich die Meisterschale holen, wollen sich die Fans mit Lattek auf den Weg machen, doch der muss leider kneifen: Der Arzt habe ihm abgeraten, erklärt der Trainer. Die Bayern-Anhänger laufen trotzdem los - und Lattek spielt in München lieber einige Runden Tennis mit ein paar Spezis. Das kommt nicht sonderlich gut an bei den Fans, wird aber angesichts dieser herausragenden Saison schnell vergessen.
In Frankfurt liebt das Enfant terrible Thomas Rohrbach die klare Ansprache. Seinem Trainer Erich Ribbeck hält er vor: "Sie schleifen uns die ganze Woche die Eier, und am Samstag erwarten Sie ganze Kerle auf dem Platz." Und als er für den "Playboy" in Sachen Sex ein wenig intimer wird, ruft man in Frankfurt sofort den Eintracht-Ältestenrat ein. Sehr zum Unverständnis Rohrbachs: "Ich hab nur gesagt, dass ich mir einen runterhole, wenn ich Überdruck habe. Da waren die alle sauer, und ich musste wieder zu dieser komischen Sitzung. Der eine wollte mich gleich zum Psychiater schicken."
Aber es ist wohl auch nicht immer ganz einfach, mit Rohrbach und seinem Kompagnon Gert Trinklein (der Name ist in diesen Jahren durchaus Programm) klarzukommen. Beide lieben das Nachtleben. Ribbeck macht es ihnen auch leicht, bittet er erst nachmittags zur Übungseinheit. Wie simpel man dieses Problem löst, beweist der neue Trainer Dietrich Weise. Rohrbach total angetan von dessen Disziplinwelle: "Der hat einfach morgens um neun trainiert. Und jetzt geh mal bis vier weg, und dann macht der eine Konditionsüberprüfung. Nee, kannste vergessen!"
Zurück zum Bundesliga-Skandal. Am 15. April wird der Entschluss des DFB rechtskräftig, dass dem DSC Arminia Bielefeld alle Punkte wegen nachgewiesener Korruption aberkannt werden und somit in die Regionalliga zwangsabsteigen muss. Bielefeld spielt die Saison "regulär" durch und hat am Ende nur einen Punkt weniger auf dem Konto als der Mitabsteiger Borussia Dortmund. Beim Gewinner des Europapokals der Pokalsieger von 1966 hat die finanzielle Krise erbarmungslos zugeschlagen. Der Notkader absolviert eine katastrophale Runde mit einem absoluten Tiefpunkt am 16. Spieltag. 1:11 verliert der BVB bei Bayern München, und die Dortmunder Anhänger singen mit Tränen in den Augen: "Oh, tun mir die Augen weh, wenn ich die heutige Borussia seh!"
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Quelle: ntv.de