Redelings über die Saison 72/73 Jägermeister beschwipst die Bundesliga
23.09.2017, 09:58 Uhr

Wer den Schnaps bezahlt, bestimmt, was getrunken wird: Günter Mast.
(Foto: imago sportfotodienst)
Ein Spirituosenhersteller steigt bei Eintracht Braunschweig ein. Die Fußball-Bundesliga schwankt zwischen Skandal und neuem Geld. Gibt es bald auch den FC Schalke Underberg 04? Und: Wie das Rote Kreuz Klaus Fischer am Gangs aufs Klo hinderte.
Die Anekdote der Saison 1972/1973 schreiben die königsblauen Knappen. Der FC Schalke 04 ist in der UdSSR im Trainingslager. Stürmer Klaus Fischer fühlt sich nicht wohl und muss aufs Klo. Doch da verklebt etwas die WC-Brille. Schnell rennt er hinüber zum Zimmer von Erwin Kremers: "Erwin, darf ich mal bei dir auf die Toilette? Meine hat das Rote Kreuz gesperrt!" Kremers guckt etwas verdutzt, aber erlaubt seinem Kollegen natürlich den Gang auf sein Klo. Sekunden später kommt Fischer schon wieder aus dem WC herausgestürmt: "Mist, deine Toilette haben sie auch gesperrt!" Kremers läuft neugierig aufs Klo und kann sich vor Lachen gar nicht mehr beruhigen. Über die Toilettenbrille ist eine Schutzfolie gespannt, auf der ein Kreuz prangt - die in Hotels damals übliche Markierung für ein gereinigtes WC.
Nach der Saison 1968/1969 schaffen die Bayern zum zweiten Mal den Durchmarsch. Vom ersten bis zum letzten Spieltag sind sie Tabellenführer der Fußball-Bundesliga und beenden die Runde mit elf Punkten Vorsprung vor dem 1. FC Köln. "Die Bundesliga wird langweilig", schreibt die "Bild"-Zeitung, doch die Liga plagen ganz andere Probleme als die souveräne Meisterschaft des FC Bayern München. Der Skandal überschattet immer noch den Alltag zu vieler Vereine. Rot-Weiß Oberhausen wird zwar zur Halbserie die Fünf-Punkte-Strafe seitens des DFB erlassen, doch zu diesem Zeitpunkt ist es für die Kleeblätter bereits zu spät. Am Ende steigt der Klub als Tabellenletzter ab. Auch der Schalke 04 kann unter der Last des Skandals kaum durchatmen. Ende Mai ermuntert Präsident Siebert seine Spieler auszusagen. Er fürchtet den Meineid: "Ich weiß nicht, ob sie manipuliert haben. Wenn sie es gemacht haben, dann sollten sie jetzt zum Staatsanwalt gehen. Dann kämen sie immer noch mit einer Geldstrafe davon, weil sie ja niemandem geschadet haben."
Auch an Kinderkrankheiten kann man sterben!
Doch die Anwälte um Dr. Karl-Heinz Hütsch sehen das anders: "Wir wollen keine Publicity, wie es einige Leute hinstellen möchten, sondern wir wollen dem DFB zeigen, dass seine Satzungen, seine Urteile und seine Art der Beweisführung nicht mit der rechtsstaatlichen Ordnung zu vereinbaren sind." Der große Sportjournalist Richard Kirn macht sich Sorgen: "Wir unterhielten uns über die langsam und quälend dahinschleichende Affäre. Herr Beschwichtiger und ich. Das sind doch, sagte mein Gesprächspartner, nichts als Kinderkrankheiten. Und ich: Auch an Kinderkrankheiten kann man sterben! Der Patient heißt Bundesliga. Wenn seine Krankheit nicht mit glühenden Eisen ausgebrannt wird, wird das Ende bitter sein."
Doch die Rettung naht. Neue Geldgeber stehen vor der Tür. Zuerst freuen sie sich in Braunschweig. Sie verhandeln mit Günter Mast und planen einen Coup. Die Eintracht will fortan auch im Klubnamen für den Sponsor "Jägermeister" werben. Schatzmeister Hans-Otto Schröder ist mitten in der Spielzeit sehr zuversichtlich: "Am nächsten Samstag gegen Kickers Offenbach feiern wir Hirsch-Premiere!" Trainer Otto Knefler verkündet stolz: "Damit stehen wir auf einer Stufe mit Klubs wie Opel Rüsselsheim, Bayer Leverkusen, Gummi-Mayer Landau, Bayer Uerdingen, Röchling Völklingen usw."
Zur gleichen Zeit verhandelt der 1. FC Köln mit einer Bierfirma, der FC Schalke 04 mit Underberg, und bei Arminia Bielefeld wird über den "1. FC Oetker" spekuliert. Geschäftsführer Eckardt Kleemann von Hannover 96 hat allerdings eine andere Idee: "Wir sind schon deshalb nicht interessiert, weil wir die Summe von 500.000 DM für fünf Jahre als viel zu gering erachten. Wir stehen zur Zeit mit einigen Firmen in Verhandlungen, die für eine Reklameschrift auf den Trainingsanzügen unserer Balljungen relativ gesehen mehr zahlen würden."
Und am Ende gewinnen tatsächlich die 96er das Rennen. Allerdings nicht ums Geld, sondern auf dem Rasen. Den letzten Spieltag werden sie in Hannover wohl nie vergessen. Eigentlich haben sie sich mit dem Abstieg abgefunden. Nur noch diese letzte Begegnung in Wuppertal anständig hinter sich bringen, ist die Devise. Hans Siemensmeyer: "Wir spielen mal drauf los, denn zu verlieren haben wir nichts mehr!" Und dann passiert ein kleines Wunder. Die Eintracht aus Braunschweig vergeigt völlig unerwartet zu Hause ihr Spiel gegen die Düsseldorfer Fortuna mit 1:2, und Hannover gewinnt mit 4:0 in der Wuppertaler Radrennbahn. Plötzlich heißt der Absteiger nicht mehr Hannover, sondern Braunschweig. 96 feiert.
Unerwartete Ereignisse sind aber sowieso immer die schönsten, und so tanken die Hannoveraner an jeder Raststätte auf der Rückfahrt Sekt nach. Noch in der Nacht verbrennen sie vor dem Hotel ihres Präsidenten Ferdinand Bock die bereits fertig geschriebenen Verträge für die zweite Liga. In Braunschweig aber herrscht Katerstimmung. Die Nachwehen des Skandals gingen auch an den Niedersachsen nicht spurlos vorüber. Ausgerechnet im ersten Jahr des Jägermeister-Trikot-Sponsorings erwischt sie der Bundesliga-Abstieg. Doch schon in einem Jahr sollte es wieder hinaufgehen für die Eintracht.
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Quelle: ntv.de