Fußball

Begeisternder Fußballwahnsinn BVB kollabiert gegen Klopps Liverpool

Musste nach dem Abpfiff von Trainer Thomas Tuchel getröstet werden: Mats Hummels.

Musste nach dem Abpfiff von Trainer Thomas Tuchel getröstet werden: Mats Hummels.

(Foto: picture alliance / dpa)

Klopp-Komplex besiegt, dem Anfield-Fluch erlegen: In einem Fußballdrama scheitert der BVB im Europaliga-Viertelfinale am FC Liverpool und Jürgen Klopp. Der Traum vom Titel platzt in einem Spiel, das jeder Fußballlogik trotzt.

Gerade war an der Anfield Road die Nachspielzeit im Fußballdrama zwischen dem FC Liverpool und Borussia Dortmund angezeigt worden, gerade stand fest: vier Minuten Hoffen für Jürgen Klopps Liverpooler, um beim Stand von 3:3 doch noch irgendwie den Sieg zu erzwingen. Vier Minuten Zittern für Ex-Klopp-Klub BVB, um mit einem blauen Auge aus einem hochklassigen, atemlosen, intensiven Fußballfight auf Champions-League-Niveau zu wanken. Nicht als erster deutscher Sieger in Anfield, aber doch als Triumphator und Halbfinalist der Europa League mit der Chance auf die finale Krönung. Und dann traf Dejan Lovren.

Der Lucky Punch des kroatischen Abwehrreckens zu Liverpools 4:3 (0:2)-Siegtreffer machte aus einer grandiosen Aufholjagd das nächste Liverpooler Fußballwunder und ein begeisterndes Spiel zu purem Fußballwahnsinn, aus BVB-Sicht mit bitterer Pointe. Denn er machte die "Reds" nach dem 1:1 im Hinspiel zum Halbfinalisten und BVB-Rekordtrainer Jürgen Klopp endgültig zum Dortmunder Albtraum. Lovrens Tor ließ den Fußballtempel Anfield Road beben und wohl jeden Liverpooler wieder einmal mit der Überzeugung zurück, dass dieser Fußball einst für genau solche Spiele erfunden worden sein muss.

Liverpooler Großchancen in Serie

Dem BVB brach das surreale 3:4 nach zwischenzeitlicher 2:0- und 3:1-Führung das Herz. Die erste Pflichtspielniederlage im Jahr 2016 nach 18 ungeschlagenen Spielen ließ den großen Traum vom fehlenden Europaliga-Titel auf dramatische Weise platzen. "Das Ziel war, weiterzukommen und wir hatten es lange in der Hand", bilanzierte Coach Thomas Tuchel konsterniert: "Es war ein Meilenstein, den wir nicht gepackt haben."

Liverpool - Dortmund 4:3 (0:2)

Tore: 0:1 Mkhitaryan (5.), 0:2 Aubameyang (9.), 1:2 Origi (48.), 1:3 Reus (57.), 2:3 Coutinho, 66.), 3:3 Sakho (78.), 4:3 Lovren (90.+1)
FC Liverpool: Mignolet - Clyne, Lovren, Sakho, Alberto Moreno - Milner, Can (80. Lucas), Lallana (62. Allen), Roberto Firmino (62. Sturridge), Coutinho - Origi. - Trainer: Klopp
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Sokratis, Hummels, Schmelzer - Castro (82. Gündogan), Weigl - Mkhitaryan, Kagawa (77. Ginter), Reus (82. Ramos) - Aubameyang. - Trainer: Tuchel
Schiedsrichter: Cüneyt Cakir (Türkei)
Zuschauer: 45.000 (ausverkauft)

Kapitän Mats Hummels nannte den bitteren K.o. "eine riesige Enttäuschung für jeden Dortmunder". Die Europa League sei "der realistischste Titel" gewesen: "Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich gedacht habe, dass wir das Ding holen." So wie sein BVB nach dem 3:1 durch Marco Reus (57.) gedacht habe, "das Ding ist durch". Da habe man "aufgehört, Fußball zu spielen und Schiss bekommen". Dafür wurde der BVB gnadenlos bestraft. Erst durch eine Traumkombination, die Philippe Coutinho (66.) zum 2:3 abschloss. Dann durch einen Kopfball des völlig freistehenden Mahamadou Sakho (78.) zum 3:3, der auf der Gegenseite bei allen drei BVB-Treffern schlecht ausgesehen hatte. Und schließlich durch Lovrens Lucky Punch nach feiner Flanke von James Milner, der zuvor keine gescheite Ecke hinbekommen hatte. Man habe das Spiel mehr verloren, als es Liverpool gewonnen habe, bilanzierte Hummels bittersüß. Das klingt mit Blick auf die Torfolge von 0:1, 0:2, 1:2, 1:3, 2:3, 3:3, 4:3 schlüssig, spiegelt das Spiel aber nicht angemessen wider. Denn Liverpool war zweifelsfrei die Mannschaft, die an diesem Abend in scheinbar aussichtsloser Lage mehr gewinnen wollte - und ihr Glück letztlich erzwang.

Nach der dominanten Anfangsviertelstunde, als der BVB zwei Ballverluste der angreifenden Gastgeber durch Henrikh Mkhitaryan (5.) und Pierre-Emerick Aubameyang (9.) virtuos bestraft hatte, verlor Dortmund zwischenzeitlich komplett den Faden und jede defensive Ordnung. Der BVB ließ plötzlich Liverpooler Großchancen in Serie zu und konnte sich mit der 2:0-Halbzeitführung glücklich schätzen - ehe man schließlich einbrach und das Spiel nach der Pause mit 1:4 Treffern bei 2:11 Torschüssen noch herschenkte.

"Wir brauchen kein Mitleid"

Nach dem Siegtreffer gab es für Fans und Spieler des FC Liverpool kein Halten mehr.

Nach dem Siegtreffer gab es für Fans und Spieler des FC Liverpool kein Halten mehr.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Am Ende hätte alles passieren können. Aber es war verdient. Ein bisschen glücklich natürlich, wenn du in der 92. Minute ein Tor schießt. Aber großartig", schwärmte Klopp nach der wahnwitzigen zweiten Halbzeit gegen seine alte Liebe, in der seine Liverpooler Mannschaft vor der Pause gegen eiskalte Dortmunder den Chancentod zu sterben schien - und diesem dann mit Leidenschaft, Willen, Klasse und vier teils wunderschönen Treffern vor dem brodelnden "Kop" doch noch von der Schippe sprang. So wie einst der Klopp-BVB.

Dem Thomas-Tuchel-BVB bleibt nur noch der Pokal als reale Chance auf eine Trophäe, am kommenden Mittwoch steht in Berlin das Halbfinale bei Hertha BSC an. Daran denken mochte der BVB-Coach in Anfield nicht, zu tief saß der Schock über die Kapitulation vor Liverpools beeindruckender Moral und Risikobereitschaft. "Es fühlt sich sehr bescheiden an, wir sind gerade sehr leer", sagte Tuchel, betonte aber: "Wir brauchen kein Mitleid, kein Schulterklopfen. Wir hatten es in der Hand, wir haben es uns wegnehmen lassen." Als er den Kollaps seines Team erklären sollte, sagte er nur: "Wenn Sie eine Erklärung erwarten, muss ich Sie enttäuschen. Das würde bedeuten, dass die Dinge logisch oder taktisch bedingt gewesen wären."

Das waren sie aber nicht an diesem Abend. Nicht für die Liverpooler, die "von der ersten Minute an im Spiel waren" (Klopp) und trotzdem nach neun Minuten mit 0:2 zurücklagen und eine unfassbare Moral zeigten. Nicht für die Dortmunder, die anders als im Hinspiel ihren Klopp-Komplex besiegten, phasenweise brillant aufspielten, als erste deutsche Mannschaft überhaupt mehr als ein Tor an der Anfield Road schossen, drei sogar, die das legendäre Stadion zwischenzeitlich zum Schweigen brachten, trotz zweimaligen Zwei-Tore-Vorsprungs aber nie das Spiel kontrollieren und den Anfield-Fluch am Ende doch nicht brechen konnten.

Knackpunkt war der rasche 1:2-Anschlusstreffer durch Divock Origi in der 48. Minute, auch wenn Reus nach grandiosem Pass von Hummels wenig später den Zwei-Tore-Vorsprung mit Dortmunds einzigem Schuss aufs Tor in Hälfte zwei wieder herstellte. Beim ersten Liverpooler Tor sei im Stadion "etwas passiert, man konnte es fühlen, sehen, sogar riechen", beschrieb es Klopp. Tatsächlich war erstmals die ganze Wucht zu spüren gewesen, die die Anfield Road entfalten kann und die zuvor nur beim minutenlangen "You'll never walk alone" vor dem Anpfiff greifbar gewesen war. Dass es bis dahin schon ein Fußballspiel in großartiger Atmosphäre gewesen war, dazu hatten die BVB-Fans maßgeblich beigetragen. Erst nach Sakhos 3:3 in der 78. Minute sei die Stimmung endgültig gekippt, räumte auch Tuchel ein. Da sei plötzlich der Glaube der Liverpool-Fans zu spüren gewesen, dass dies ein "Schicksalstag" sein könnte: "Jeder hat an den Lucky Punch geglaubt und unglücklicherweise haben wir ihn zugelassen."

Quelle: ntv.de

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