14. Knaller in der Nachspielzeit Bayer Leverkusens Superkraft macht den Fußball verrückt
22.04.2024, 06:49 Uhr
Seht her, der Josip Stanisic war's.
(Foto: IMAGO/pepphoto)
Wann ist ein Fußballspiel vorbei? Wenn Bayer Leverkusen nicht verloren hat (kleiner Scherz). Aber tatsächlich ist die Magie der Werkself in der Nachspielzeit beeindruckend. Gegen Borussia Dortmund schlug die Mannschaft in der 97. Minute zu, es war der 14. Streich.
Es gibt in dieser Saison zwei Vereine im deutschen Profifußball, für die sich in der Nachspielzeit alles verändert. Da ist der VfL Bochum, der zum großen Gönner wird, wenn die 90 Minuten abgelaufen sind und Punkte satt herschenkt. Statt, tatsächlich, um die Qualifikation für den Europapokal mitzuspielen, steht die Mannschaft nach dem 30. Spieltag auf dem Relegationsrang. Das ist bitter für den kleinen Ruhrpott-Klub, aber so richtig juckt das niemanden. Nicht mal in den angrenzenden Städten Herne oder Castrop-Rauxel. Das liegt womöglich oder aber sehr wahrscheinlich an Bayer Leverkusen, dem neuen Meister, der den Last-Minute-Wahnsinn kultiviert.
Der Sportinformationsdienst hat aufgelistet, dass die Mannschaft von Xabi Alonso in dieser Saison 20 Treffer ab der 86. Minute erzielt hat, 14 davon in der Nachspielzeit. Und der Ort, an dem alles begann, heißt ..., wer das weiß, der darf sich nun wahrlich Fußball-Professor nennen. Tatsächlich nahm die Geschichte von der späten Magie in Ottensen ihren Anfang. In der ersten Pokalrunde wurde die dort ansässige Teutonia mit 8:0 überrollt. Adam Hložek stellte den Schlusspunkt her. Dass dieser Treffer noch einmal in der Berichterstattung über Bayer Leverkusen auftaucht, niemand wäre an diesem Abend in Hamburg daraufgekommen.
Aber für die Werkself war das erste Pflichtspiel der Saison der furiose Start einer historischen Reise, die nun an Station 45 angekommen ist. Bedeutet: Seit 45 Spielen ist Bayer - über alle Wettbewerbe hinweg verteilt - unbesiegt. Schon häufiger stand der Trip kurz vor dem Abbruch, doch die außergewöhnliche Superkraft von Alonsos Männern hat bisher immer gewirkt. So auch am Sonntagabend, als Borussia Dortmund kurz davor war, den großen Partycrasher zu geben. Bis zum Ende der 97. Minute hielten die Schwarzgelben den 1:0-Vorsprung, ehe Josip Stanisic noch zuschlug. Die Leihgabe des FC Bayern drückte eine Hereingabe wuchtig über die Linie. Ein Tor des Willens. Wie so oft. "Geile Flanke, geiles Tor", jubelte er.
"Es nervt, weil es vermeidbar war"
In Dortmund mochten sie der Schönheit des nächsten Superkraftmoments keine Aufmerksamkeit schenken. "Es nervt, weil es vermeidbar war. Wir hätten die Dinge vorher klar zu Ende spielen oder den Ball weghauen sollen und die letzte Minute verstreichen lassen", haderte Keeper Gregor Kobel, der komplett chancenlos war. Auch BVB-Coach Edin Terzić war eher der Verzweiflung nahe als einem Gedanken an den kultivierten Bayer-Dusel: "Wir lassen einen Freistoß zu, obwohl wir die Situation schon geklärt hatten. Aus dem Freistoß entstehen dann zwei Eckbälle. Der letzte ist schwer zu verteidigen, aber wir hätten gar nicht in die Situation kommen dürfen."
Im Kampf um die direkte Qualifikation für die Champions League bedeutet das einen Rückschlag. Der Abstand auf Rang vier, der den unmittelbaren Weg in die Königsklasse weist, beträgt zwei Punkte. Belegt wird er von RB Leipzig, dem Gegner am nächsten Samstag. Bayer Leverkusen konnte mit dem 1:1 indes bestens leben. Sportlich ist der Auftrag in der Bundesliga seit vergangenen Sonntag erfüllt, die Meisterschaft eingetütet. Bleibt noch der Antrieb, die Saison tatsächlich ohne Niederlage zu beenden. Und die Gier auf diese außergewöhnliche Marke verleiht der Bayer-Mannschaft eine unerschütterliche Superkraft. Es ist zum Verrücktwerden, aber Leverkusen kann einfach nicht akzeptieren, dass ein Spiel ohne Zählbares endet. "Wir haben eine eigene Challenge, die ist, ungeschlagen in der Saison zu bleiben. Das ist unser Ziel", sagte Leverkusens Granit Xhaka ganz cool. Er sei auch "überhaupt nicht" nervös gewesen: "Dieser Punkt ist nicht gestohlen."
"Wir waren von der 1. bis zur 90. Minute besser"
Ob das wirklich die Wahrheit war, oder eine kleine Flunkerei? Wie sehr die Anspannung wich, wie groß das Glück war, weiter unbesiegt zu sein, das zelebrierte Supercoach Xabi Alonso. Nach dem späten Remis sprang der Spanier wild jubelnd in die Luft und stürmte mit seinen Spielern Richtung Eckfahne, dort, wo die eigenen Fans abermals verrückt wurden, angesichts des Wahnsinns ihrer Mannschaft. "Es war sehr emotional, ein besonderer Moment - fast so wie letzte Woche", feierte der Coach und bezog sich dabei auf die gigantische Stimmung bei der ersten Meisterparty der Vereinsgeschichte in der Vorwoche. Dabei war das Spiel nun eher kontrolliert, selten aufwühlend und mitreißend. Turbulent wurde es eigentlich erst in der Schlussphase. Nach einem Gerangel mehrerer Spieler sah der eingewechselte Stürmer Victor Boniface zunächst Rot, doch Schiedsrichter Daniel Siebert nahm das nach Ansicht der Videobilder wieder zurück. Kurz danach folgte der Ausgleich.
Die Gunst der späten Treffer bleibt Bayer auch nach der Krönung erhalten. "Wir glauben einfach bis zum Schluss daran", bekannte Stanisic und konnte sich das Lachen nicht verkneifen: "In dieser Saison ist natürlich auch ein bisschen Glück dabei. Wenn es läuft, dann läuft es." So wie beim BVB. Oder noch absurder in der Europa League im Rückspiel gegen Qarabag Agdam, Patrik Schick verdiente den Knockout im Achtelfinale mit zwei Treffern in der Nachspielzeit (90.+3/90.+7). Ganz Leverkusen drehte hernach durch.
Anders als nun der Torschütze wollte Xhaka sich nach dem 1:1 am Sonntagabend nicht beim Glück bedanken. "Das war absolut verdient. Wir waren von der 1. bis zur 90. Minute die bessere Mannschaft". Bayer wies einmal mehr nach, was eine Meistermannschaft auszeichnet, beherrschte wie selbstverständlich Ball und Gegner. Nur beim Abschluss, da sah es mau aus. Der Coach sah es später wie sein wichtigster Anführer und lobte abermals die "Supermentalität" seines Teams, das zunächst ohne seinen kleinen, großen Magier Florian Wirtz spielte. "Wir hätten es heute nicht verdient zu verlieren. So zu spielen gegen einen Champions League-Halbfinalist", lobte Xabi Alonso. "Ich bin sehr zufrieden mit der Leistung und mit dem Ergebnis." Im Fußball gibt es eine Wahrheit, Pardon, zwei sogar. Immer Glück ist Können. Oder im Falle des VfL Bochum: Immer Pech ist Unvermögen.
Quelle: ntv.de