Fußball

Ewiger Mythos von "Vizekusen" "Bitterstes" Trauma wirkt bei Bayer Leverkusen bis heute

Michael Ballack konnte es nicht fassen: Bayer Leverkusen verspielt 2000 die Meisterschaft am letzten Spieltag.

Michael Ballack konnte es nicht fassen: Bayer Leverkusen verspielt 2000 die Meisterschaft am letzten Spieltag.

1997, 1999, 2000, 2002 und ein letztes Mal 2011: Bayer Leverkusen hat rund um die Jahrtausendwende ein Dauerabo auf zweite Plätze, verpasst Titel teils dramatisch. Nun steht der Mythos Vizekusen vor dem Aus: Für die Werkself ist das eine Befreiung, nachdem man "unter einer Lawine begraben" war.

Reiner Calmund traut dem Braten nicht so recht. Das Trauma wirkt auch nach mehr als 20 Jahren noch nach, der frühere Boss von Bayern Leverkusen ist ein gebranntes Kind. "Ich spreche erst von der Meisterschaft, wenn es rechnerisch perfekt ist. Vorher nicht", sagte der 75-Jährige vor dem ersten Titelmatchball seines Herzensvereins: "Das hat natürlich auch mit meiner Vergangenheit zu tun. Das spielt sich automatisch ab, da habe ich Respekt."

Er sei noch ein Vertreter der Generation "Vizekusen", führte Calmund aus: "Ich habe so viele Vize-Meisterschaften erlebt, das geht nicht aus dem Kopf. Deswegen mache ich das nicht." Mit einem Sieg gegen Werder Bremen am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) würde Bayer die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte perfekt machen, danach gäbe es noch fünf weitere Chancen. Bei einer Pleite des FC Bayern am Nachmittag gegen den FC Köln (15.30 Uhr/ Sky) und des VfB Stuttgarts gegen Eintracht Frankfurt (18.30 Uhr Sky/alle im Liveticker auf ntv.de) wäre der Titel sogar schon auf dem Sofa perfekt gemacht. Das Ende vom schier unüberwindbaren Mythos "Vizekusen" scheint eine Frage der Zeit - es winkt die Befreiung.

Das Meisterschaftsbanner musste nach dem 34. Spieltag wieder abgehangen werden.

Das Meisterschaftsbanner musste nach dem 34. Spieltag wieder abgehangen werden.

"Keiner wird mehr Vizekusen sagen", sagte Rudi Völler bei einem Telekom-Termin in Bonn: "Der Begriff ist mir ein bisschen auf den Keks gegangen." Der Fluch wäre "damit beendet", sagte auch Christoph Daum: "Wenn ein solcher Ausdruck wie Vizekusen permanent wiederholt wird, dann wird ja damit fast suggeriert, du kannst nicht Meister werden. Aber jetzt siehst du: Selbst Vizekusen kann Meister werden." Die Bayer AG hatte sich als Muttergesellschaft des Vereins den Begriff "Vizekusen" im Jahr 2010 gar als geschütztes Markenrecht eintragen lassen. Zu viel war rund um die Jahrtausendwende passiert.

Daum: "Unter einer Lawine begraben"

1997, 1999, 2000, 2002 und ein letztes Mal 2011 blieb jeweils nur die Vize-Meisterschaft, vor allem die Jahre 2000 und 2002 sind untrennbar mit dem Mythos "Vizekusen" verknüpft. Leverkusen hätte 2000 als Tabellenführer bereits ein Unentschieden in Unterhaching zur ersten Schale gereicht. Ein Eigentor von Michael Ballack (20.) sowie ein Kopfballtreffer von Markus Oberleitner (72.) beendeten in Haching den Traum.

Selbst Oberleitner hatte nach dem "surrealen" Erlebnis "ein bisschen Mitleid". "Es war vor dem Spiel ja alles angerichtet für Leverkusen. Und dann das", sagte der Torschütze und Party-Schreck. "Wenn man überlegt, wer da alles gespielt hat. Aber irgendwie haben sie es nicht auf den Platz gebracht." Dass Bayer nun vor der Erfüllung seines Traums steht, "ist ihnen zu gönnen. Sie haben in Xabi Alonso einen überragenden Trainer und eine überragende Mannschaft." Oberleitner, der auch für den FC Bayern spielte, würde sich auf jeden Fall freuen.

Jener 20. Mai 2000 sei immer noch "total präsent, weil das sicherlich eine Zäsur war", sagte der damalige Bayer-Coach Daum: "Es fühlte sich an, als würdest du unter einer Lawine begraben werden. Alles ist zusammengestürzt und über dich hereingefallen. Diese Gefühle und Erlebnisse, wie ich nach dem Spiel mit meinem Sohn weine." Ballack sprach vom "Bittersten", was der Verein erlebt habe. Doch nur zwei Jahre später wurde es ähnlich schlimm.

Leverkusen fällt Stein vom Herzen

In der Liga verspielte Bayer an den letzten drei Spieltagen einen Vorsprung von fünf Punkten, verlor dazu das Pokalfinale gegen Schalke und das Endspiel der Champions League gegen Real Madrid. Spätestens mit diesem "Triple" war "Vizekusen" omnipräsent. "Ich habe das immer als eine absolute Scheiße angesehen", sagte Daum: "Aber im Klub habe ich das nie so negativ empfunden." Dort sei das vielmehr als "Riesenauszeichnung" aufgefasst worden.

Und doch wird allen Beteiligten sicher ein Stein vom Herz fallen, wenn "Vizekusen" ab Samstagabend oder Sonntag Geschichte wäre.

Quelle: ntv.de, dbe/sid

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