Ärger nach Bochumer Brutalo-Foul Union Berlin wird vom Tabellenletzten aufgefressen
25.10.2022, 11:09 Uhr (aktualisiert)
Rani Khedira vermisste die Basics bei Union Berlin.
(Foto: IMAGO/Matthias Koch)
Woche für Woche überrascht Union Berlin die Fußball-Bundesliga. Das Märchen der Eisernen will einfach nicht enden. Bis zu diesem Sonntagnachmittag. Ausgerechnet beim Schlusslicht stolpert der Tabellenführer. Ein knallhartes Foul des Bochumers Ivan Ordets sorgt für mächtig Ärger.
Sie rannten und rannten und rannten. Und niemand von ihnen rannte mehr als Christopher Antwi-Adjei. Und als er das in der 71. Minute zum Gott weiß wievielten Male machte, da sah die Fußball-Bundesliga den perfektesten Konter der Saison. In elf Sekunden kombinierten sich Antwi-Adjei und sein VfL Bochum vom eigenen Strafraum zum 2:0. Über fünf Stationen ging es, ehe der eingewechselte Gerrit Holtmann den Ball im höchsten Tempo und leicht verdreht über die Linie drückte. Antwi-Adjei hatte ihn perfekt freigespielt. Das Ruhrstadion bebte und die Liga war wieder spannend. Der Tabellenletzte (vor diesem Spieltag, danach dann 17.) war hier auf dem besten Wege, den Tabellenführer zu entzaubern.
Der Tabellenführer, das vergisst man ja immer noch leicht, ist Union Berlin. Diese Mannschaft aus Köpenick, die in dieser Saison Kompaktheit, Gier und gnadenlose Effektivität auf eine ganz eigene Weise perfektioniert hatte. Diese Mannschaft, an der der FC Bayern verzweifelte (1:1) und gegen die der BVB völlig chancenlos war (0:2). An diesem Sonntagnachmittag aber wurde Union Berlin mit den eigenen Waffen geschlagen. 2:1 stand es schließlich nach einem gnadenlos intensiven Spiel "anne Castroper". Der Anschlusstreffer des Ex-Bochumers Milos Pantovic, der aus Berliner Sicht die tragische Figur war, kam viel zu spät (93.). Zuvor hatte Philipp Hofmann den VfL direkt vor der Pause (44.) verdient in Führung gebracht. Denn es war tatsächlich so: Bochum war das bessere Team.
Fußball ist manchmal seltsam. Nicht zu erklären. Die Dinge laufen, wie sie laufen. Und an diesem Nachmittag liefen sie eben für die Gastgeber, die früh Glück mit der Milde von Schiedsrichter Deniz Aytekin hatten. Denn nach einem rustikalen Zweikampf hätte sich Ivan Ordets nicht beklagen dürfen, wenn er nach 17 Minuten mit Rot vom Platz geflogen wäre. Ja, der Ukrainer traf im Duell im Janik Haberer auch den Ball aber noch viel mehr erwischte er das linke Sprunggelenk des Unioners, der kurz danach runter musste. Trainer Urs Fischer gab nach dem Spiel leichte Entwarnung. Das änderte aber nichts daran, dass er angesichts der Entscheidung von Aytekin noch immer fassungslos war. "Da lag Herr Aytekin für mich heute eindeutig falsch. Das ist für mich eine klare Rote Karte. Mit der Geschwindigkeit, offene Sohle - da hat Bochum Glück gehabt."
Riemann - der Elfmeterkiller
Und noch ein weiteres Mal hatte Bochum Glück. Oder eben Manuel Riemann. Der extrovertierte Torwart hielt in der 76. Minute einen Elfmeter von Pantovic. Erhan Mašović war Diogo Leite unabsichtlich auf den Fuß getreten. Riemann bewahrte sein Team vor einer dramatischen Schlussphase und lieferte einen weiteren Nachweis, dass es unglaublich schwer ist, einen Strafstoß gegen ihn zu verwandeln. In der Bundesliga hat er nun sieben von 14 Versuchen abgewehrt. Und als er wieder einmal zum Helden im Duell vom Punkt geworden war, als auch die Situation rund um den Nachschuss bereinigt war, da peitschte er sich und seine Vorderleute an, da schrie er seine Emotionen in den Nachmittagshimmel. Die Leidenschaft ist zurück im Ruhrstadion.
Der neue Trainer Thomas Letsch steht nun bei drei Siegen in fünf Pflichtspielen (zweimal in der Liga, einmal im DFB-Pokal, wo in der nächsten Runde ein Heimspiel gegen den BVB ansteht). Der Nachfolger des Aufstiegsriesen Thomas Reis hat sich erstaunlich schnell von dessen Erbe emanzipiert. Die Mannschaft entwickelt wieder jene Tugenden, mit der sie vor zwei Jahren aufgestiegen waren und sich vergangene Saison in der Liga gehalten hatten. "Das Aggressive, das auf den Sack gehen, niemals aufgeben - das ist genau das, was er sehen will", sagte Hofmann über den Letsch-Fußball. "Man hat von Anfang an gemerkt, dass die Mannschaft den Willen hat, etwas zu holen. Wir haben hoch gepresst, den Gegner angelaufen", freute sich dann auch der Coach. "Wir haben ein super Spiel gemacht und verdient gewonnen." Zweifel an dieser Blitzanalyse gab es nicht. Auch nicht bei Unions Trainer Fischer. "Bochum war einfach besser. Sie waren schärfer, agiler und frecher. Sie haben uns so ein bisschen aufgefressen, wir hatten nicht die richtigen Antworten."
Zum Beispiel nicht auf die Bochumer Außenspieler Antwi-Adjei und Jordi Osei-Tutu. Beide rannten den Gegner nicht nur in Grund und Boden. Beide erspielten sich immer wieder starke Aktionen in der Vorbereitung oder im Abschluss. "Alle waren von der ersten Minute an hellwach und sind gut auf die zweiten Bälle gegangen. Der Trainer meinte vorm Spiel, dass es darum geht, eklig zu spielen und dass wir uns dafür belohnen. Das haben wir geschafft", sagte der überragende Antwi-Adjei. Aber auch Osei-Tutu, der die Fans vor drei Jahren als Leihspieler verzaubert hatte (nachdem er nicht mehr als rechter Verteidiger sondern als rechter Stürmer auflief) und zu dieser Saison zurückgekehrt war, machte ein Riesenspiel. Er dribbelte sich frei, scheiterte unmittelbar vor der Bochumer Führung am glänzenden Frederik Rönnow und traf später noch einmal die Latte (62.).
Holtmann sorgt für Irritationen beim Coach
Osei-Tutu spielte dieses Mal von Beginn an und ersetzte Holtmann. Der sorgte später für reichlich Irritationen bei seinem Trainer. Zu seinem mäßigen Saisonstart nach einer starken vergangenen Spielzeit sagte er nach dem Spiel: "Ich bin nicht zu 100 Prozent fit, ich laufe seit Wochen mit einer Schambeinentzündung herum. Ich lasse mich auch dauerhaft spritzen." Letsch reagierte auf die Aussagen verblüfft. "Eine Schambeinentzündung ist eine Verletzung, aber über die bin ich nicht informiert. Dass er sich täglich spritzt, weiß ich nicht. Dass hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin im ständigen Austausch mit meinem medizinischen Personal. Er war spielfit - deswegen hat er gespielt", sagte Letsch. Holtmann gestand aber auch, dass die Psyche mit seinem Durchhänger zu tun habe: "Das liegt bei mir auch ein bisschen an der Birne, da muss ich klar werden." Es gibt Redebedarf.
Auch bei Union. Zwar hängen sie die Pleite im Ruhrstadion nicht zu hoch. Nach der bisherigen Monster-Saison sind die Ansprüche indes gestiegen und ein solches Spiel, auch wenn es immer passieren kann, passt da nicht rein. Kapitän Christopher Trimmel bemühte sich daher um Gelassenheit. "Wir haben intern gesagt, dass wir nicht gegen den Letzten, sondern gegen Bochum spielen. Sie haben in den letzten Wochen sehr gut performt. Dazu haben sie eine super Mentalität. Wenn diese Sachen zusammenkommen, verlierst du auch mal gegen so eine Mannschaft." Deutlich alamierter war derweil Rani Khedira. "Das war unnötig und ärgerlich. Das erste Gegentor schießen wir praktisch selbst, beim zweiten rennen wir in einen Konter rein", sagte er bei DAZN. Und weil der VfL genau mit den Berliner Stärken erfolgreich war, per Standard und mit einem schnellen Gegenzug traf, mahnte Khedira: "Wenn man die Basics nicht abruft, wird es schwer. Wir müssen einfach in jedem Spiel ans Limit gehen."
Schwinden die Kräfte nach englischen Wochen mit Bundesliga, Europa League und DFB-Pokal? "Ein Profi muss in der Lage sein, alle zwei Tage zu spielen", sagte Khedira. Eine Ausrede sollte nicht herhalten. Und auch Kapitän Trimmel wollte davon nichts wissen, gestand aber: "Es ist viel Fußball, Training, Spielanalyse, Entspannung - es fehlt ein bisschen der Ausgleich, mal zwei Tage, um den Kopf freizubekommen." In Bochum fehlte ein wenig die Fantasie, um nach einem Rückstand Druck auf den Gegner auszuüben. Dass Union nicht in der Lage sei, das Spiel auch zu gestalten, glaubt Khedira allerdings nicht. "Jede Mannschaft tut sich bei einem Rückstand schwer, weil sich natürlich für den Gegner auch Räume auftun." Und die vom VfL berannt und berannt. Wie im Rausch.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 24. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, tno