Ein reichlich absurder Abend Der BVB überrascht, aber nicht mit Niko Kovac
30.01.2025, 23:25 Uhr
Beim BVB liegt einiges im Argen.
(Foto: IMAGO/DeFodi Images)
Borussia Dortmund kämpft in der Champions League um Form, Selbstvertrauen und ein bisschen noch um die direkte Qualifikation für das Achtelfinale. Und während dieser Kampf auf dem Rasen tobt, gibt es einen neuen Trainer.
Zum Ende eines erfolgreichen und ereignisreichen Mittwochabends kam es vor der Dortmunder Südtribüne noch zu einem kleinen Disput. Die in der Champions League gegen Schachtjor Donezk endlich wieder siegreiche Mannschaft des BVB (3:1) hatte sich um kurz nach 23 Uhr aufgestellt, an den Händen genommen und war bereit, eine kleine Welle der Erleichterung zum Liga-Finale nach den tief erschütternden Ereignissen der vergangenen Wochen anzustimmen. Doch von der "Süd" kamen andere Signale. Einige Spieler bogen daraufhin ab und zogen weiter. Es hagelte Pfiffe. Trainer Mike Tullberg holte seinen kleinen Trupp der "Abtrünnigen" zurück. Von den wieder versöhnten Fans gab es Applaus und motivierende Aufforderungen für den BVB weiterzukämpfen.
Tullberg darf das noch genau einmal machen, wie - reichlich absurd - während des Spiels final durchgesickert war. Er steht beim 1. FC Heidenheim am Samstag ein drittes, ein letztes Mal an der Linie, ehe am Sonntag dann Niko Kovac übernimmt. Eine besonders große Überraschung war die Entscheidung für den Kroaten nicht mehr, auch wenn Sportdirektor Sebastian Kehl aus der Sache vor Anpfiff nochmal einen spannungsgeladenen Blockbuster machen wollte. Man solle sich doch "einfach mal überraschen lassen". Hatte Kehl im Trainerpoker ein Blatt auf der Hand, mit dem niemand mehr gerechnet hatte? Nein, hatte er nicht. Überrascht wurde man in Dortmund dennoch, aber nicht von der plötzlich hereinschwappenden Kovac-Welle.
Keine Transfers, Spieler nur besser machen?
Kehl sagte nämlich noch etwas anderes. Und erreichte damit eine große Wucht. Er sprach davon, dass der Verein womöglich doch nicht weiter auf dem Transfermarkt aktiv werde. Der Kader sei deutlich besser, als er das bisher gezeigt habe. Dabei ruft das völlig ausgelaugte Aufgebot seit Monaten nach Veränderungen und Verstärkungen. In der desaströsen Hinrunde hat sich schnell manifestiert, dass doch nicht passt, was man sich im Sommer unter großem Applaus unter anderem mit den Nationalspielern Waldemar Anton, Pascal Groß, Maximilian Beier und Superstürmer Serhou Guirassy zusammengebaut hat. Weder in der Stimmigkeit noch in der Anzahl der Teile. Der Kader klappert und ächzt, aber Kovac und der BVB wollen offenbar vor allem den Weg gehen, die vorhandenen Spieler besser zu machen. So hat es Kehl gesagt.
Das war tatsächlich eine Ansage, die angesichts der Lage im Dortmunder Vorstand völlig absurd klingt. Um Kehl und Kaderplaner Sven Mislintat gibt es seit Wochen Berichte, wie uneins sie sich sind und wie arg zerstritten. Öffentlich gehen sie dem Konflikt aus dem Weg. Aber in der kommenden Woche soll es zum Showdown kommen. Mislintat soll laut "Ruhr Nachrichten" gefeuert werden, aber die winterliche Transferphase noch mitgestalten. Aber welche nur, wenn doch womöglich nichts mehr geschieht? Und warum sollte sich der Kaderplaner nochmal richtig ins Zeug legen, wenn er doch weiß oder ahnt, dass er den Machtkampf verliert? Allerdings scheint auch Kehl, trotz Vertragsverlängerung bis 2027, nicht unantastbar.
Bislang wurde als Reaktion auf die schwere Verletzung von Mittelfeldspinne Felix Nmecha mit Salih Özcan nur ein Profi zurückgeholt, der am Mittellandkanal zu den Nichtschwimmern gehörte. Als großer Hoffnungsschimmer geht die abgebrochene Leihe eher nicht durch. Kovac und Özcan, zwei Typen, die beim VfL Wolfsburg keine gute Zeit hatten, als Anker für den in den Wellen kämpfenden Tanker BVB? Das ist schon eine wilde Konstellation. Die Zurückhaltung beim Handeln bisher versuchte Boss Lars Ricken damit zu erklären, dass man keine Spieler ohne Abstimmung mit dem neuen Trainer verpflichte. Womöglich hätte ein Transfer ja gar nicht in dessen Vorstellung gepasst. Aber wie passt dann der Abgang von Donyell Malen in dieses Bild? Und die Wechselgerüchte um Karim Adeyemi, auch wenn sie wegmoderiert werden? Im Kosmos der Spekulationen wird indes weiterhin der hochbegabte Franzose Rayan Cherki von Olympique Lyon gehandelt, ein Esprit-Spieler für die Offensive.
Und so wurde dieser Mittwoch zu einem Abend, der den BVB in einem kleinen Moment des Glücks in einem Nirwana der nicht zu greifenden Emotionen zurücklässt. Schon der Weg zum Stadion war anders gewesen als sonst. Natürlich pilgerten sie wieder in Massen zum Stadion, aber sie pilgerten nicht im Gefühl der Euphorie, sondern in einem Gefühl der Gleichgültigkeit. Als der Mannschaftsbus um 19.33 Uhr über die Strobelallee ins Stadion abbog, wurde das zu großen Teilen nur zur Kenntnis genommen. Wäre ein Linienbus vorbeigefahren, es wäre kaum weniger aufregend gewesen. Es ist doch einiges kaputtgegangen in den vergangenen Monaten, in denen der schwarzgelbe Gigant schneller schrumpfte als die Kinder von Wayne Szalinski.
Wasserkopf an Funktionären ist in Seenot geraten
Der BVB implodierte vor den schwarzgelben Augen. Nuri Şahin wollte und sollte im vergangenen Sommer eine neue Ära des Erfolgs einleiten. Er übernahm für Edin Terzić, der den Klub auf kaum erklärliche Weise ins Finale der Champions League geführt hatte (0:2 gegen Real Madrid). Und Sahin scheiterte. Auf seinen letzten Metern brach er ratlos zusammen. Die Bosse konnten sich um den Trainer kaum noch kümmern, sie kümmerten sich, offenbar in großer Abneigung verbunden, vor allem um sich selbst. Auf der Führungsebene krachte es. Nicht nur zwischen Kehl und Mislintat. Das Theater, in dem auch der große Borusse der vergangenen Jahre, Hans-Joachim Watzke, noch herumschwirrt hatte große Vibes des FC Hollywood.
Der Wasserkopf an BVB-Funktionären war massiv in Seenot geraten. Der externe Berater Matthias Sammer zertrümmerte die Mannschaft als TV-Experte und bekam dafür einen Rüffel von Boss Ricken, der zu seinem Amtsantritt im Mai noch große Champions-League-Momente moderierten durfte und lange Zeit seltsam passiv wirkte, in diesem kaum zu begreifenden Alphatier-Dschungel. Wie weit der Glanz der Champions League schon weg ist. Schwarzgelb ist nur noch ein biederes Grau und bietet kaum noch Ablenkung gegen die Winter-Tristesse.
Die Mannschaft stemmt sich dagegen, in großen Teilen verunsichert und formlos, aber gewillt, die Dinge zu ändern. Aber es hakt halt. Im Zentrum fehlt es an Kreativität. Gefahr entsteht nur, wenn die Außen in die Tiefe geschickt werden. Julian Brandt, der seit Jahren das Gesicht des BVB werden soll, kann derzeit wieder einmal die Last der Verantwortung nicht tragen. Auch wenn er das erlösende 2:0 gegen Donezk sehr fein für Guirassy vorbereitet hatte (44.). Der Stürmer hatte auch schon das 1:0 erzielt, er war in einen Schuss von Karim Adeyemi gelaufen und hatte den Ball damit unhaltbar für den starken Torwart Dmytro Riznyk abgefälscht. Er steht nun bei neun Toren in acht Spielen. Das ist herausragend und damit derzeit etwas Einzigartiges im Spiel des BVB.
In diesem Jahr hatten die Borussen noch kein Spiel gewonnen, waren auf erschütternde Weise in der Champions League in Bologna kollabiert. Ein Sieg dort oder mindestens ein Remis hätten Dortmund direkt ins Achtelfinale geführt. Sahin flog unmittelbar danach, Tullberg übernahm und der BVB muss in die Playoffs der Königsklasse. Es geht gegen Sporting Lissabon oder den FC Brügge. Im Achtelfinale würden der OSC Lille oder Aston Villa warten.
Ein Magier ist auch der dänische Nachwuchscoach nicht, aber ihm gelang, was seinem Vorgänger immer weniger gelungen war. Er gab der zuckenden Mannschaft Energie. Ließ sie laufen und kämpfen. Kapitän Emre Can und Nico Schlotterbeck peitschten sich und das Team nach erfolgreichen Zweikämpfen mit der Tullberg-Energie an. Und der Trainer brachte dem unermüdlichen Kämpfer Julian Ryerson plötzlich gefährliche Standards bei. Der Däne spricht eine einfache Sprache und jubelte nach Toren wie ein Derwisch-Klopp. Das waren authentische Momente, die der sich selbst verlorene BVB lange nicht erlebt hatte. Das brachte ihm große Sympathien ein. Und Argumente, die aber nicht reichten für eine Weiterbeschäftigung bei den Profis.
Gegen Donezk war es erneut die Bereitschaft, die den BVB im Spiel hielt. Und nicht die feine Kunst, die allerdings ab und an mal aufblitzte. Etwa beim 3:1, das Ramy Bensebaini nach Hakenvorlage von Giovanni Reyna elegant veredelte.
Die Trainer haben das bessere Blatt
Der Genesungsprozess des Patienten BVB schritt voran. Anstelle des jungen Doktor Tullberg übernimmt nun der erfahrene Mediziner Kovac. Er steht für Disziplin, wird leb- und seelenlose Auftritte seiner neuer Mannschaft, davon gab es einige zuletzt, nicht hinnehmen. Und er steht für einen stabilen, nicht aber mitreißenden Fußball. Den hätte Roger Schmidt versprochen, der aber wollte nach seinem Benfica-Aus (noch) nicht wieder aktiv werden. Ob der neue Trainer mit der Borussia warm wird, ob es ein gutes Match wird? Die Begeisterung für den Kroaten hält sich in der Fanszene vorerst, um es vorsichtig zu formulieren, in überschaubaren Grenzen.
Zumal auch nicht klar scheint, wie überzeugt der BVB selbst von der Lösung ist. Warum gab es Anfang der Woche ein Treffen mit Ralf Rangnick, der auch noch für alles steht, was die Fans der Borussia ablehnen, wenn Kovac der Wunschkandidat war? Warum wollte man dem 53-Jährigen erstmal nur ein Feuerwehrmann-Papier geben und nicht direkt auch über die Saison hinaus binden? Womöglich weil die Auswahl an interessierten, tauglichen und verfügbaren Kandidaten nicht sonderlich groß war? Wohl auch deshalb konnte Kovac, völlig verständlich aus seiner Sicht, sich einen Vertrag über anderthalb Jahre herauspokern (laut Gerüchten aber mit einer Trennungsklausel im Sommer). Der BVB ist kein stolzer, vor Kraft strotzender Riese mehr, sondern einer, der derzeit Wege des geringen Widerstands gegen muss.
Kovac' Trainervita ist ein munteres Auf und Ab. Mit Eintracht Frankfurt schrieb er einst eine bemerkenswerte Geschichte, gewann den DFB-Pokal. Mit dem FC Bayern holte er das Double und verlor aber die Kabine. Unter anderem, weil er Thomas Müller verbal degradierte. Bei der AS Monaco lief es sportlich zunächst gut, aber sein angeblich zu "militärischer" Führungsstil kam nicht gut an und beim VfL Wolfsburg zuletzt lief es gar nicht. Nun also der BVB, seine Chance. Im ersten Spiel trifft er am 8. Februar auf den VfB Stuttgart, mit Sebastian Hoeneß. Nicht wenige in Dortmund hätte den gerne zur neuen Saison als Trainer bei der Borussia gesehen.
Quelle: ntv.de