Logischer Deal mit Beigeschmack Der DFB versenkt Adidas zur absoluten Unzeit
22.03.2024, 06:14 Uhr
Noch mehr als zweieinhalb Jahre gehen Adidas und der DFB Seite an Seite, dann trennen sich die Wege. Nike wird der neue Begleiter des Verbands. Völlig überraschend wird das verkündet. Die Entscheidung ist nachvollziehbar, Art und Timing eher nicht.
Die ewige Zeit der drei Streifen im deutschen Fußball läuft ab. Die großen Momente aber bleiben unvergessen. Der magische Abend von Rom 1990, die magische Nacht von Rio 2014. Es waren so viele mehr, auch bei den DFB-Frauen und den Junioren. Aber es hängen auch die Enttäuschungen von 2018, 2022 oder aber der DFB-Frauen im vergangenen Jahr in den Jerseys. Ab 2027, nach dann 77 Jahren, ist die Zeit der Trikots von Adidas Geschichte, dann rückt Nike an die Stelle der drei Streifen, als Ausrüster der Nationalmannschaften.
Für Romantiker ist diese Nachricht schwer zu ertragen. Für Menschen hingegen, die sich mit der kalten Logik der Ökonomie identifizieren können, ist der Wechsel ein logischer Schritt. Der Deutsche Fußball-Bund kämpft seit Jahren mit großen finanziellen Problemen (wegen explodierender Campus-Kosten und juristischem Ärger) und kann sprudelnde Geldquellen dringender denn je gebrauchen. "Der DFB hat ein Alleinstellungsmerkmal: Er ist ein Sport-Fachverband, der seine Mitgliedsverbände und die Basis im Amateurbereich finanziert und nicht von ihnen finanziert wird", teilte der Verband als Begründung und gleichermaßen Rechtfertigung mit. "Er steckt das Geld in den Fußball. Damit Fußball ein Volkssport bleibt."
Und davon, von dem Geld, soll demnächst reichlich fließen. Wie das "Handelsblatt" unter Berufung auf "Branchenkreise" berichtet, habe der US-Riese Nike mit einem Angebot im dreistelligen Millionen-Bereich pro Jahr den Verband überzeugt. Mit mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr würde der Sieben-Jahres-Vertrag dem DFB somit deutlich über den bisher von Adidas gezahlten 50 Millionen pro Jahr liegen und das Gesamtvolumen des Deals über die Laufzeit von sieben Jahren eine halbe Milliarde Euro klar übertreffen.
Wie bei Hansi Flicks Rauswurf
Weniger nachvollziehbar als die Entscheidung gegen Adidas und für Nike sind Art und Zeitpunkt der Verkündung. Wieder einmal beweist der größte Einzelsportverband der Welt ein schlechtes Timing. Wie schon bei der Trennung von Bundestrainer Hansi Flick. Verkündet wurde das, als Deutschlands Basketballer gerade dabei waren, Weltmeister zu werden. Der Moment hätte ihnen alleine gebührt, der DFB drängelte sich dazwischen. Dabei wäre das eigene Anliegen ohne Weiteres um ein paar Stunden aufzuschieben gewesen.
Dieses Mal stiehlt der Verband zwar niemandem die Show, macht sich aber selbst das Leben schwer. Ohne jede Not, zumindest ist keine bekannt, platziert der DFB den Ausrüsterwechsel vor den wichtigen Länderspielen der A-Nationalmannschaft gegen Frankreich und die Niederlande und damit über zweieinhalb Jahre vor dem Vollzug. In den anstehenden Duellen will Bundestrainer Julian Nagelsmann mit seiner radikal umgebauten Elf eine Aufbruchstimmung erzeugen. Im Sommer steht bekanntermaßen die Heim-Europameisterschaft an, das Teamquartier wird dann in Herzogenaurach liegen - auf dem Gelände von Adidas. Die EM soll das Land aus dem festen Klammergriff der Trübsal reißen. Die Aufgabe wird schwer genug, weil die Gegner stark sind und das Vertrauen in die eigene Mannschaft im Land erschüttert ist.
Schon einmal wollte Nike zugreifen
Nun klebt sich der Verband eine aufwühlende Diskussion an die Backe. Wie sehr das, eine Mannschaft belasten kann, hat der DFB in Katar im Binden-Streit erlebt. Auch wenn das natürlich eine andere Dimension hatte, ohne Zweifel. Ja, am Ende geht es dieses Mal nur um ein Stück Stoff. Aber für Fußball-Fans ist das eben eines, das die Welt bedeutet, das emotionalisiert. Im Fußball gibt es Heiligtümer, die besser nicht angefasst werden. Oder aber mit spitzen Fingern und sorgfältiger Vorarbeit. Dass Nike schon einmal, vor über 15 Jahren nach den DFB-Jerseys griff, sich aber an den Traditionalisten im Verband trotz offenbar verlockender Offerte die Zähne ausbiss, darf da nicht als Ausweis einer entsprechenden Vorbereitung herangezogen werden.
Wie groß die Kreise sind, die nun gezogen werden, machte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Abend deutlich, als er sich in die Debatte einmischte, nicht als Fan, sondern als Ökonom: "Ich kann mir das deutsche Trikot ohne die drei Streifen kaum vorstellen. Adidas und Schwarz-Rot-Gold gehörten für mich immer zusammen. Ein Stück deutscher Identität. Da hätte ich mir ein Stück mehr Standortpatriotismus gewünscht." Es vermischt sich alles, der angeschlagene Wirtschaftsstandort Deutschland mit der angeschlagenen Nationalmannschaft. Was für eine gigantische Wucht. Kaum vorhersehbar.
Warum so kurz nach dem Marketing-Coup
Die überraschende Ankündigung kommt auch aus einem zweiten Grund noch unerklärlich daher, wenige Tage nach dem Marketing-Coup mit dem neuen Trikot. Das pinklila Jersey, der neue Auswärtsdress, legte den besten Verkaufsstart in der Geschichte hin. Und wird intensiv besprochen. Ein weiteres kleines Ausrufezeichen in der langen und so extrem erfolgreichen Partnerschaft. Bei allen vier WM-Titeln und bei allen drei EM-Titeln der Männer sowie bei den beiden WM-Titeln und den acht EM-Trophäen der Frauen war Adidas der Ausrüster.
Bleibt noch die Frage nach dem Stil. Laut Adidas wurde der Konzern von der Entscheidung überrumpelt. Sollte das tatsächlich so gewesen sein, wäre das nun wahrlich ein kommunikatives Debakel. Und das unwürdige Ende dieser Partnerschaft. Wirtschaftliche Zwänge hin oder her. "Wir verstehen jede Emotionalität. Auch für uns als Verband ist es ein einschneidendes Ereignis, wenn feststeht, dass eine Partnerschaft, die von vielen besonderen Momenten geprägt war und ist, nach mehr als 70 Jahren zu Ende geht. Das lässt uns nicht kalt", schrieb der DFB auf X. Schließen ließ sich das Fass der großen Emotionen damit nicht mehr. Und das alles ohne Not.
Quelle: ntv.de