Fußball

HSV in der Relegation gegen Fürth Der Dino braucht den Defibrillator

Ist die Zeit des Bundesliga-Dinos abgelaufen?

Ist die Zeit des Bundesliga-Dinos abgelaufen?

(Foto: imago/Sven Simon)

Es ist ein Fußball-Wunder, dass der HSV noch die Chance auf den Klassenerhalt hat. Die grauenvolle Saison war voll von peinlichen Geschichten und erbärmlichen Leistungen - und die Hoffnung ruht nur auf wenigen Schultern.

Elbphilharmonie, Gefahrengebiet, Rote Flora - Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hat nun weiß Gott genug zu tun. Jetzt muss er sich auch noch um den Artenschutz kümmern. Der letzte verbliebene Bundesliga-Dino, der einst so ruhmreiche Hamburger SV, er ist schon seit Jahren ein Pflegefall. Nun kämpft er ums Überleben. Ab 20.30 Uhr (im n-tv.de-Liveticker) empfangen die Hanseaten den Zweitliga-Dritten Greuther Fürth zum Hinspiel in der Relegation. Tags zuvor schaute Bürgermeister Scholz in der Kabine vorbei und wünschte Glück. "Das war eine fantastische Geste", sagte Trainer Mirko Slomka. "Die Stadt trägt uns." Das Stadion wird mit 57.000 Zuschauern ausverkauft sein, Slomka will jeden einzelnen mitnehmen: "Wir müssen mit voller Energie in das Spiel gehen."

Absichtserklärungen, Gesten, Hoffnung. Das ist den Hamburgern geblieben nach einer grauenvollen Saison, die nur dank der beispiellos schlechten Konkurrenz nicht direkt in Liga 2 endete. Symptomatisch für diesen Verein, dass der damalige Trainer Torsten Fink vor der Saison noch den Europapokal als Saisonziel ausgegeben hatte. Dabei hat sich der Verein in den letzten Jahren mit schlechten Entscheidungen und peinlichen Possen immer weiter von den eigenen Ansprüchen entfernt – und muss nun darauf hoffen, dass die Mannschaft dem Verein die Erstklassigkeit rettet, die er schon so lange nicht mehr verdient hat. Das Problem: Diese Mannschaft kann sich gar nicht retten, sie kann sich nur retten lassen.

Drei Spieler als letzte Hoffnung

Als Team hat der HSV in dieser Saison auf der ganzen Linie versagt. Erbärmliche 27 Punkte stehen zu Buche, dazu 75 Gegentore – die meisten nicht nur der Bundesliga, sondern aller drei Profiligen. Der Gegner aus Fürth kommt mit der Empfehlung der besten Offensive der Zweiten Bundesliga und nur einer Niederlage aus den letzten vierzehn Spielen. "Wir können Historisches schaffen und den HSV in die 2. Liga schießen", sagt Torwart Wolfgang Hesl angriffslustig. Einen Vorteil sehen die Fürther beim Gegner, sagt Verteidiger Niko Gießelmann: "Der HSV hat die besseren Individualisten." Wer die Hamburger in den vergangenen Wochen gesehen hat, möchte zuspitzen: Sie sind die einzige Hoffnung, die der HSV noch hat.

Hohn und Spott: Fans des FC Bayern stellen die Bundesliga-Uhr des HSV neu.

Hohn und Spott: Fans des FC Bayern stellen die Bundesliga-Uhr des HSV neu.

(Foto: imago/Contrast)

Allen voran geht Pierre-Michel Lasogga. Der 22-Jährige hat 13 Saisontore erzielt, mit ihm kommt Energie und Leidenschaft ins Hamburger Spiel. Als die Leihgabe von Hertha verletzt fehlte, verfügte der HSV schlicht über keinen erstligareifen Stürmer mehr. Mittelfeld-Juwel Hakan Calhanoglu machte mit seiner überragenden Ballbehandlung und seinem starken Schuss die Klubs aus den oberen Tabellenregionen auf sich aufmerksam. Und Kapitän Rafael van der Vaart findet nach einem ausgedehnten Formtief so langsam wieder zurück in eine normale Verfassung.

Hinter diesen Dreien kommt lange nichts. Abwehr-Routinier Heiko Westermann leistet sich zu viele Aussetzer, das selbe gilt für den sonst so starken Torwart Rene Adler. Beide wurden von Bundestrainer Joachim Löw nicht in den vorläufigen WM-Kader berufen, was Mirko Slomka mit einem Satz kommentierte, der als treffendes Urteil über den Rest dieses HSV-Teams gelten kann: "Das ist auch ein Produkt einer Mannschaftsleistung über die Saison hinweg."

Die spielerische Bankrotterklärung, sie ist der fußballerische Ausdruck einer Gesamtmisere, die den Verein zur Lachnummer der Bundesliga hat werden lassen. Die Reihe der Peinlichkeiten allein in dieser Saison ist so lang, es lohnt ein kursorischer Überblick:

  • Trainerwechsel: Am 5. Spieltag verlor der HSV 2:6 bei Borussia Dortmund, zu diesem Zeitpunkt Tabellenführer. Sportdirektor Oliver Kreuzer entließ Torsten Fink -  und Kapitän Rafael van der Vaart sagte: "Ich verstehe den Zeitpunkt nicht so ganz." Es kam der renommierte Bert van Marwijk. In 17 Spielen holte er im Schnitt 0,88 Punkte, nach 143 Tagen und einem 2:4 in Braunschweig zog der HSV die Reißleine, Mirko Slomka übernahm. Aus der Arbeitslosigkeit ätzte Torsten Fink: "Mit mir würde der Verein besser dastehen." Kreuzer nahm den Fehdehandschuh auf: "Torsten sollte den Mund halten".
  • Oliver Kreuzer: Kritiker lästern, seine beste Amtshandlung sei der Verkauf von Hakan Calhanoglu an den HSV gewesen - als Kreuzer noch Manager beim Karlsruher SC war. In Hamburg fiel der Ex-Bayern-Spieler vor allem durch rätselhafte Transfers auf. Die Winterneuzugänge Ola John und Ouasim Bouy fallen in die Kategorie "Desaster". An Selbstbewusstsein mangelt es Kreuzer aber nicht. Seine flapsigen Sprüche sind bemerkenswert: So unterstellte er den Bayern vor dem 33. Spieltag, sie würden lustlos nach Hamburg kommen. Der Meister machte kurzen Prozess mit dem HSV. Endstand: 1:4.
  • Vereinsführung:  Sportlich war van Marwijk ein Fehlgriff, aber eines hat er in der kurzen Zeit beim HSV begriffen: "Ich habe das Gefühl, der Verein zerstört sich selbst", sagte er kurz vor seiner Entlassung. Da hatte der Aufsichtsrat sich gerade bis auf die Knochen blamiert. Bis in die Morgenstunden hatte das Gremium im Luxushotel "Grand Elysee" getagt - und dann ohne Kommentar das Etablissement verlassen. Es fand sich keine Mehrheit für die Ablösung von Kreuzer und van Marwijk, aber auch keine für einen Neuanfang mit Felix Magath. Der hatte sich dem Verein über Facebook angedient, mit Mäzen Klaus-Michael Kühne verhandelt, und dann in Fulham unterschrieben. Was der Aufsichtrat vor lauter Selbstbeschau nicht verstand, brachte der glänzende Analytiker Lothar Matthäus auf den Punkt: "Magath hat den HSV verarscht."
  • Der Charakter der Mannschaft: Auf dem Platz agiert das Team zweitklassig und ratlos, und auch menschlich fehlt es offenbar an allen Ecken und Ende. Mitte Februar verstarb Klublegende Hermann Rieger, der von 1978 bis 2004 als Physiotherapeut beim HSV arbeitete, und bei Spielern und Fans Kultstatus erlangte. Zu seiner Beerdigung reiste Günter Netzer extra aus der Schweiz an, tausende Fans erwiesen dem "Geschnitzten" (so nannte Ernst Happel Rieger) die letzte Ehre. Und die Mannschaft? Ganze vier Spieler kamen nach dem Training vorbei. Kapitän Rafael van der Vaart war nicht darunter.
  • Rafael van der Vaart: "Wir müssen uns alle den Arsch aufreißen", sagte der Kapitän vor einigen Tagen. Er versprach einen Treffer in der Relegation - es wäre eine späte Wiedergutmachung für seine schlechte Saison. Van der Vaart versorgte den Hamburger Boulevard zuverlässig mit Schlagzeilen, aber seine Mitspieler nicht mit vernünftigen Pässen. Er versteckte sich, wich Zweikämpfen aus, kurz: ließ alles vermissen, was einen Führungsspieler ausmacht.

Der Gedanke an einen kompletten Neuanfang in Liga 2 liegt in dieser Situation nahe. Doch auch das geht nicht so einfach: Den HSV drücken Schulden in Höhe von rund 100 Millionen Euro, die Lizenz hat die DFL nur unter Auflagen erteilt.

So oder so steht dem HSV ein Kraftakt bevor - in der Bundesliga wären die Voraussetzungen deutlich besser. Darum geht es in diesen 180 Minuten der Relegation. Immerhin glaubt Klubidol Uwe Seeler noch an seinen HSV: "Ich gehe davon aus, dass wir gegen Fürth die Oberhand behalten." Hoffentlich behält er recht. Sonst ist Bürgermeister Olaf Scholz auch noch als Seelsorger gefordert.

Quelle: ntv.de, mit sid/dpa

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