Fürchterlicher Abend für Tah Der Schiedsrichter bringt Nagelsmann richtig auf die Palme
11.09.2024, 07:28 Uhr
Auf das magische Torfestival gegen Ungarn folgt ein turbulenter Kampf mit den Niederlanden: Im zweiten Spiel der Nations League zeigt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft etwas, das dem Bundestrainer gut gefällt. Der hat dennoch schlechte Laune.
Julian Nagelsmann hatte unmittelbar nach dem Abpfiff von Schiedsrichter Davide Massa schlechte Laune. Nicht zum ersten Mal an diesem Dienstagabend. Die Spieler seiner deutschen Nationalmannschaft waren gerade auf dem Weg, einen aussichtsreichen Konter in Richtung des niederländischen Tores zu laufen, da ertönte der Pfiff, der das Spiel beendete. Niemand weiß, ob Deutschland, wäre das Spiel noch ein paar Sekunden länger gelaufen, doch noch gewonnen hätte. Was Nagelsmann aber wusste: "Wir haben eine Topchance weggepfiffen gekriegt in der letzten Sekunde, wo wir alleine aufs Tor laufen. Ich verstehe es nicht ganz", schimpfte er bei RTL.
So trennten sich das DFB-Team und die Gastgeber, die Elf von Bondscoach Roland Koeman, nach 2:2 (1:2). Ein turbulentes Spiel blieb ohne Sieger, beide Mannschaften in der Nations League ungeschlagen. Drei Tage nach der magischen Nacht von Düsseldorf, als die deutschen Fußballer die EM-Euphorie in ein Torfestival gegen Ungarn gegossen hatten (5:0), stand in der Heimspielstätte von Ajax die erste echte Belastungsprobe für das neue DFB-Team an, das sich nach den Rücktritten der alten Helden Toni Kroos, Thomas Müller, Manuel Neuer und İlkay Gündoğan erstaunlich schnell gefunden zu haben schien.
In der zweiten Minuten klingelt's schon
Zu schwach waren die Ungarn gewesen, um das Gewicht des Sieges seriös zu bewerten. Mit dem Halbfinalisten der Europameisterschaft war das nun ganz anders. Und was für ein Kaliber sich ihnen da in den Weg stellte, das erfuhren die Nagelsmänner bereits nach wenigen Sekunden. Im Mittelfeld entschied sich Robert Andrich zu spät für den richtigen Zweikampf. Der herausragende Ryan Gravenberch, der einst beim FC Bayern gar nicht klarkam, spielte einen vorzüglichen Pass in den Raum, den weder Nico Schlotterbeck noch Jonathan Tah im Blick hatten, auf Tijjani Reijnders. Der lief allen auf und davon und schob den Ball unter Marc-André ter Stegen durch (2.).
Was für ein Auftakt. Und die Niederländer blieben dran, immer wieder suchten sie Brian Brobbey, der seinen bulligen Körper gut gegen Tah einsetzte. Der erlebte einen fürchterlichen Abend, gewann keinen seiner fünf Zweikämpfe, wandelte nach einer frühen Verwarnung auf dem schmalen Grat zum Platzverweis und blieb in der Pause in der Kabine. Nach einem Jahr mit durchgehend starken Leistung bekam er dieses Mal nichts auf die Kette. Ob das Theater um den umtosten und geplatzten Wechsel zum FC Bayern doch nachwirkt? "In der Summe waren es vier, fünf Fouls und ich hatte die Sorge, dass er die Gelb-Rote Karte kriegt", sagte Nagelsmann zur Entscheidung, Tah vor einem ganz dicken Ende zu bewahren. "Der Schiedsrichter hat mir in der Pause einen Wink gegeben und da wollte ich es nicht riskieren."
"Wir vermitteln den Glauben. Die Spieler glauben an sich"
Ja, der Schiedsrichter. Er war nicht immer nur gegen das deutsche Team, wie Nagelsmann das hernach irgendwie befand. Noch vor der Pause hatte sich die DFB-Elf zurückgekämpft. Zwei prima herausgespielte Angriffe führten zum Ziel. Erst veredelte Stürmer Deniz Undav sein Startelfdebüt mit seinem ersten Länderspieltreffer und dann traf Kapitän Joshua Kimmich auf Undavs "Gammelvorlage" zur Halbzeitführung (2:1). Diese war nicht gänzlich unverdient, aber doch ein wenig glücklich.
Die gefährlichere Mannschaft waren die Niederländer gewesen. Aber das DFB-Team war unter Druck nie in Panik geraten, hatte sich immer wieder Anteile erkämpft und seine Widerstandsfähigkeit unter Beweis gestellt. Das ist eine Qualität, auf die der Bundestrainer ja großen Wert legt. "Nackenschläge sind das Schwerste im Fußball. Die muss man bekämpfen", sagte Nagelsmann. Seine Arbeit zwischen den Ohren der Spieler, wie er es gerne nennt, wirkt: "Wir vermitteln den Glauben. Die Spieler glauben an sich." Auch in schwächeren Phasen, an Abenden mit Kampf und ohne Zauber. An einem Abend gegen Widerstände. "Ich hatte auch ein paar Ballverluste, da müssen wir ballsicherer und cleverer sein", räumte der selbstkritische Jamala Musiala ein. Man müsse zwar "besser spielen", aber nehme "viele positive Sachen mit", ergänzte der Münchner.
Nach der Pause wurde es kurz richtig wild. Denzel Dumfries erzielt das 2:2 (51.). Auch dieses Mal hatte Brobbey seine Füße im Spiel, er zog im Strafraum an Schlotterbeck vorbei und spielte den Ball perfekt in die Mitte. Dumfries hat dort wenig Mühe, auch weil David Raum das nicht mitbekommen hatte. Im Gegenzug konnte das 3:2 für Deutschland stehen. Raum flankte scharf und gefährlich in den Strafraum. Florian Wirtz legte auf Kai Havertz weiter, der unter Druck den Ball aus kürzester Distanz knapp über das Tor drückte. Nagelsmann drehte sich verzweifelt ab (52.). Nächste Szene: Die Deutschen spielten sich den Ball im Strafraum zu. Gefährlich wurde es nicht, aber Xavi Simmons traf Jamal Musiala, der dieses Mal nicht den Zauber von Düsseldorf entfachen konnte, nach dessen Flanke klar am Fuß. Ein Pfiff? Kein Pfiff! Nagelsmann schüttelte mehrfach den Kopf, diskutierte mit seinen Co-Trainern, mit dem Vierten Offiziellen. Es änderte nichts.
Bei Musiala sei es "ein klarer Elfmeter" gewesen, das habe er schon während des Spiels "auf dem iPad" gesehen. Als er die Szene dann im Fernsehen sah, meinte Nagelsmann aufgebracht: "Er kommt einfach klar zu spät und trifft Jamal am Fuß, ich glaube nicht, dass man da unterschiedlicher Meinung sein kann. Es ist halt leider ein Foul, im Mittelfeld kriegst du garantiert ein Foul. Die Bewertungskarte für den Schiedsrichter zeigt nicht die volle Punktzahl an." Musiala, der Getroffene, sagte: "Ich will nicht zu viel über den Schiri reden. Ich muss mir die Szene anschauen, aber gefühlt gab es ein paar Situationen, wo es nicht in unsere Richtung ging." Aber eine Sache wollte der Bundestrainer dann doch noch betonen: "Der Schiedsrichter hat auf beiden Seiten nicht gut gepfiffen. Aber es ist, wie es ist. Ich rege mich oft auf, das bringt aber meistens nichts."
"Am Ende geht es über die Konstanz"
Als der Ärger über Massa schließlich verraucht war, konnte der Bundestrainer seinen Frieden mit dem Spiel und der Leistung seiner Mannschaft machen. Allerdings nicht ohne Dinge zu bemängeln: "Sehr unterhaltsam, es ging hin und her. Beide Defensivabteilungen waren ein bisschen zu anfällig. Dafür war es dann ein spannendes und offenes Spiel. Offensiv waren wir stärker und haben mehr versucht zu kreieren. Holland hat es oft relativ simpel überspielt. Leider haben wir im Mann-gegen-Mann-Pressing in der ersten Situation einen Fehler gemacht. Wie wir dann zurückkommen, war gut. Die Mannschaft glaubt an sich, und das ist der Schlüssel. Wir sind auf einem sehr guten Weg."
Mit seiner Abwehr, die reichlich Probleme mit der niederländischen Angriffswucht hatte, wollte Nagelsmann derweil nicht zu hart ins Gericht gehen. Zu Tahs fürchterlichem Abend sagte er: "Er hat einen schweren Stand gehabt." Und Nico Schlotterbeck empfahl er: "An ihm liebe ich es, dass er jeden Ball haben will. Aber es gibt Momente, die keine Momente der Balleroberung sind. Man muss auch mal stellen." Richtig euphorisch nach diesem Duell war derweil sein Pendant: "Ein großes Kompliment an Deutschland und Holland für dieses Spiel", sagte der beeindruckte Bondscoach Koeman.
Aus dem zehntägigen Lehrgang nimmt Nagelsmann viel Positives mit. "Es waren sehr gute Tage als gesamte Gruppe. Es ist eine angenehme Mannschaft, die sehr viel Leidenschaft versprüht. Es macht Spaß, mit ihnen zu arbeiten", sagte der 37-Jährige und betonte: "Alle haben gezeigt, dass sie viel Lust haben." Im Oktober gastiert das DFB-Team zunächst in Bosnien-Herzegowina, dann kommt es zum Rückspiel gegen die Niederlande. Man habe zwar schon "viel Weltklasse" und es gebe nicht "den einen Punkt, in dem wir uns verbessern müssen", sagte Nagelsmann. Aber: "Am Ende geht es über die Konstanz. Da fehlt uns noch ein bisschen."
Quelle: ntv.de, tno