Fußball

Die mit dem Feuer spielenDie Bundesliga steckt mitten in einer wüsten Kneipenschlägerei

17.12.2025, 19:21 Uhr Stephan-UersfeldVon Stephan Uersfeld, Hannover
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Es brennt lichterloh in den deutschen Stadien. (Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Was ist nur in den Stadien los? An jedem Wochenende geht es nicht nur um Tore und Punkte, sondern auch um die Belange der Fans. Die befinden sich in einem steten Kampf. Mal gegen den Populismus und mal gegen den Kapitalismus. Aber was macht das mit den Protagonisten des Spiels? Nicht alle sind glücklich.

Wer wissen wollte, wie verfahren die Situation in deutschen Fußball-Stadien mittlerweile ist, musste am vergangenen Wochenende zwischen 18.30 Uhr und 22.30 Uhr nur die Top-Spiele der ersten und zweiten Liga verfolgen. Dort zeigte sich die Dynamik von beiden Seiten. Sie entspricht mittlerweile der einer Auseinandersetzung auf X. Eine Auseinandersetzung dort ist nun nichts anderes als eine auf den digitalen Raum ausgeweitete, wüste Kneipenschlägerei, in deren Verlauf man schnell den Überblick verliert.

Wer am lautesten brüllt, bekommt die meiste Aufmerksamkeit. Zwei ineinander verhakte Seiten sorgen für immer neue Spannungen rund um die Stadien. Die Protagonisten des Spiels müssen sich mit einer neuen Situation auseinandersetzen und ihr Handeln anpassen. Die Hauptfiguren sind nicht nur erfreut darüber. Einige sind sogar regelrecht erbost.

Auf der einen Seite gab es an diesem dritten Advent-Wochenende das Schweigen der Zuschauer, auf der anderen Seite waren Pyro-Proteste und Spielunterbrechungen. Der Grund dafür ist in der Auseinandersetzung zwischen den organisierten Fans und dem Sicherheitsapparat zu suchen. Die auf den ersten Blick positiven Resultate der Innenministerkonferenz haben das Misstrauen der Fans nur verstärkt (mehr dazu u.a. hier).

Kurzzeitig verlor Bochums Trainer Uwe Rösler am vergangenen Samstag nach dem 0:0 bei Hannover 96 die Fassung. Er hatte genug von den eigenen Fans. "Wir kommen alle ins Stadion, um Fußball zu sehen. Und dann unterbricht man das Spiel zweimal für 15 Minuten. Ich weiß nicht, was die Leute sich dabei denken", schimpfte Rösler nach dem Spiel: "Die Spieler sind das Wichtigste. Niemand anderes", sagte er: "Die sollen ihr Spiel spielen. Darum kommen alle ins Stadion." Ganz so lang war das Spiel in Hannover nicht unterbrochen, am Ende dauerte es trotzdem über 108 Minuten. Der VAR hatte daran nur einen geringen Anteil.

Mit Pyrodemonstrationen gegen Law-Order-Politiker

Die erste Halbzeit im Topspiel der 2. Fußball-Bundesliga zog sich ins Unendliche. Irgendwann aber war sie vorbei. Das war an diesem Vorabend des dritten Advents 2025 lange zweifelhaft. Umso größer die Erleichterung unter den Besuchern des Spiels, als Stadionsprecher Frank Rasche um 21.26 Uhr zum Mikrofon griff. "Liebe Fußballfans, das waren die ersten 45 Minuten", sagte er.

Diese Aussage war glatt gelogen und doch entsprach sie der Wahrheit. Die ersten 45 Minuten hatten sich über lange 56 Minuten erstreckt. Es stand 0:0. Viel war passiert, nicht alles hatte mit Fußball zu tun. Schiedsrichter Tobias Reichel hatte zumeist ohne sein Zutun im Mittelpunkt gestanden. Es war an dem 40-Jährigen, das Recht durchzusetzen und einen ordnungsgemäßen Ablauf des Spiels zu garantieren.

"Fans & Vereine: Gemeinsam weiter gegen Populismus!", hatten die organisierten Fangruppen vor dem Spiel vermeldet. Dort waren sie auf das Ergebnis der IMK eingegangen und hatten ihre großen Bedenken geäußert. "Auch das Thema Pyrotechnik spielt weiterhin eine große Rolle und ist den Law-and-Order-Politikern ein Dorn im Auge", hieß es zum Ende hin und darum ging es nun in Hannover.

Protest. Sichtbarkeit. Lautstärke. Gegen die vorerst abgeräumten Maßnahmen wie personalisierte Tickets, Gesichtsscanner und KI-Methoden an Stadioneingängen. Dagegen hatten die vereinten Fußballfans Deutschland seit Monaten mobil gemacht. Am Ende stand Anfang Dezember "nur" eine zentrale Stadionverbotskommission. Der Dachverband der Fanhilfen klagte trotzdem laut über Intransparenz, über wohlklingende Worte ohne Handlungszwang und sah in allem allenfalls einen "Versuch der Beruhigung der Öffentlichkeit ging und keine ernsthaften Absichten". Das war die Lage vor dem Wochenende.

Die Probleme der Schiedsrichter

Nach 14 Minuten knallte und zischte es im ehemaligen Niedersachsenstadion. In den Kurven fackelten die Pyros. Die Anhänger entrollten ihre Banner. "Bullenhass" war dort zu lesen und andere Nettigkeiten in Richtung Polizei. Sie sangen ihre Lieder, Rauchschwaden zogen durch das Stadion. Schiedsrichter Tobias Reichel unterbrach die Partie. Nur noch schemenhaft waren die anderen Tribünen auszumachen. Ein Blinken hier, ein Blinken da. An Fußball war längere Zeit nicht zu denken.

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Klare Botschaften aus der Fankurve. (Foto: IMAGO/DeFodi Images)

"Wir waren darauf vorbereitet, dass es zu Unterbrechungen kommen kann, insofern sind wir nicht überrascht worden. Auch wenn es aufgrund der Witterungsverhältnisse etwas länger gedauert hat", sagt Reichel im Gespräch mit ntv.de. "Das Problem sind nicht mal so sehr die Sichtverhältnisse im Stadion, sondern vor allem, dass der Nebel die Kameras der halbautomatischen Abseitstechnologie und der Torlinientechnik beeinträchtigt. Deshalb müssen wir so lange warten, bis der VAR in Köln grünes Licht gibt, dass es weitergehen kann."

Reichel schritt über das Feld, sprach mit den Profis, stand bald im Mittelkreis. Dort verschaffte er sich einen Überblick. Weitere Bälle rollten aufs Spielfeld. Da war das Spiel bereits seit sechs Minuten unterbrochen. In der Kurve der Hannover-Anhänger brannte eine einsame Fackel, die Rauchschwaden standen über dem Spielfeld. Die Spieler beider Mannschaften passten sich die vier Zusatzbälle hin und her und Reichel kommunizierte bald mit seinen Assistenten, dann mit den Spielern.

"In der Unterbrechung muss man als Schiedsrichterteam vor allem Ruhe ausstrahlen, den Überblick bewahren und ansprechbar sein", erklärt Reichel. "Denn die Spieler und die Mannschaftsverantwortlichen fragen verständlicherweise immer mal wieder nach, wie lange die Unterbrechung noch dauert. Deshalb habe ich schließlich auch die Mannschaftskapitäne gerufen und sie informiert. Darüber hinaus heißt es auch für uns, genau wie für die Spieler: Warm bleiben, Fokus hochhalten, Spannung nicht verlieren."

Das veränderte Spiel

Die Spieler waren es mit den Bällen angegangen, hatten Zeit, sich das bisherige Spiel in Erinnerung zu rufen. Doch so viel Zeit war nicht vergangen. Der Trainer der bis dahin dominanten Gastgeber fühlte sich im Nachgang nicht wohl mit der Pause. "Wenn du eine lange Unterbrechung in einem Spiel hast, ist es grundsätzlich nicht gut. Du wirst kalt, bist aus dem Spielfluss raus", sagte Christian Titz nach dem Spiel: "Es wäre für uns mit Sicherheit nicht von Nachteil gewesen, wenn es keine Unterbrechung gegeben hätte."

An der Seitenlinie tigerte VfL-Trainer Uwe Rösler, die Hände in den Taschen, mit kurzer Hose durch die Coaching Zone. Seine Wut dürfte ihn gewärmt haben. Irgendwann verschwand der Nebel, dann öffnete sich der Blick aufs Spielfeld. Die Uhr stand auf 23.52 Minuten. Da gab der VAR Grünes Licht, da pfiff Reichel das Spiel wieder an. Es ging tatsächlich weiter. Hannover verschoss noch einen Elfmeter, Reichel unterbrach das Spiel noch zweimal kurz in der zweiten Halbzeit, wieder waren Proteste gegen die Polizei zu sehen. Die zweite Halbzeit ging mit für den Fußball 2025 nahezu normalen 6:48 Minuten Nachspielzeit über die Bühne. Das Spiel dauerte beinahe 108 Minuten.

Die Eskalation in Leverkusen

Wenige Stunden zuvor hatten sich etwas weiter westlich große Teile der Kölner Fanszene beim Derby in Leverkusen von genau diesem Gedanken verabschiedet. Sie gingen nicht ins Stadion. Sie klagten über die aus ihrer Sicht überzogenen Kontrollen des Sicherheitsdiensts der Gastgeber. Das Wort "Nacktkontrollen" war in aller Munde. Was genau vorgefallen war, darüber herrscht weiterhin große Uneinigkeit. Ein Fan habe sich "selbstständig" die Hose ausgezogen, übermittelte die Polizei. Der Rest sei normal abgelaufen. Was wirklich stimmt, blieb offen, wie eine in das Getöse einer digitalen Empörung eingeworfenen Erklärung. Was stimmt schon, wenn es tausend Wahrheiten gibt? Die eine Seite hört dies, die andere Seite das. Keine Versöhnung. Aber Empörungsangbote hüben wie drüben.

Fakt blieb: Die Kontrollen wurden nicht akzeptiert. Die Kölner gingen heim. Die Ultragruppen des Lokalrivalen solidarisierten sich, fackelten ihre Pyros ab und verschwanden danach aus dem Stadion. Leverkusener Funktionäre freuten sich im Nachgang des 2:0 über die tolle Stimmung, die Kölner Funktionäre widersprachen. Derby-Gerangel. Immerhin unter Funktionären. Aber eben nicht auf den Tribünen. Dort vereinten sich verfeindete Anhänger gegen einen gemeinsamen Feind, wie so oft in den vergangenen Jahren.

"Wir blicken trotz des Derbysiegs auf einen schwarzen Tag für die Fanszene in Leverkusen zurück", hieß es später von den Ultras Leverkusen. "Es ist das passiert, was jeder gerne verhindert hätte, was jedem wehgetan hat und was einem Derby unwürdig war: ein Derby ohne Fahnen, ohne organisierten Support, ohne unsere Gruppe und ohne weitere Teile der aktiven Fanszene - und das auf beiden Seiten." Diese rechneten in der Folge mit ihrem eigenen Verein ab und griffen die Leverkusen-Bosse Fernando Carro und Simon Rolfes für ihre populistischen Aussagen und ihr fehlendes Rückgrat an.

Der Kampf der Kurven geht weiter

Zwei Spiele an einem Wochenende mit einem Überthema: Die Auseinandersetzung der organisierten Fans in Deutschland auf der einen und dem Sicherheitsapparat auf der anderen, hat rund um die Spiele der Topligen nach der Innenministerkonferenz (IMK) Anfang Dezember nur an Fahrt aufgenommen. Beide Seiten vereint das große Misstrauen in das Gegenüber. Beide Seiten demonstrieren ihre Macht und fahren immer weiter auf. Sie sind unversöhnlich. Sie machen mit ihren Mitteln Alarm.

Auf der einen Seite steht die Macht der Fans, auf der anderen Seite der Druck der Innenminister und mittendrin staunend die Spieler, Schiedsrichter und Trainer. Sie wollten doch eigentlich nur Fußball spielen. Doch das ist im Jahr 2025 nicht nur aufgrund der ewigen Aufregung um den VAR nur unter anderen Bedingungen möglich. Die Beteiligten auf dem Platz werden sich darauf einstellen müssen.

"Die nächste Innenministerkonferenz kommt und unser Kampf für freie und selbstbestimmte Kurven ist noch lange nicht vorbei", hieß es von den Fans vor dem Wochenende. Das Spiel mit dem Feuer geht weiter. Wer laut ist, wird gehört. Das haben die Fans, die sich mit immer neuen Mitteln gegen die Veränderungen des Spiels (wie beim drohenden Investorendeal) oder die meist tatsächlich populistische Sicherheitsdebatte zur Wehr setzen. Ihr Kampf, das darf nicht vergessen werden, ist in großen Teilen einer, der den Fußball in der Bundesliga am Leben hält. Sie setzen sich für den Erhalt der Fankultur, des Wettbwerbs ein und wehren sich auch gegen die Übernahmeversuche der Investoren.

Eine auf Polizeiangaben basierende Statistik zeigte Ende Oktober einen Rückgang der Gewalt rund um Fußballspiele der ersten drei Ligen, trotz steigender Zuschauerzahlen. Das Stadion ist ein sicherer Ort, es ist dieser Tage jedoch auch ein befremdlicher Ort. Wie überall sonst dominiert das Extreme, das Geschrei. Die Debatte hat längst das Ausmaß einer wüsten Auseinandersetzung auf X angenommen. Aber das haben Sie bereits ganz oben gelesen.

Quelle: ntv.de

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