Fußball

Brutales Relegations-Drama Die Welt von Fortuna Düsseldorf bricht zusammen

Herrje, Fortuna...

Herrje, Fortuna...

(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)

Fortuna Düsseldorf ist der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga so nah: Das Hinspiel beim VfL Bochum endet 3:0. Vor den eigenen Fans muss diese gigantische Chance veredelt werden, doch das Rückspiel wird zu einem der größten Dramen der jüngeren Geschichte.

Wie grausam kann Fußball sein? Fortuna Düsseldorf bekam die Antwort darauf am Montagabend, um 23.17 Uhr, als der eingewechselte Takashi Uchino den letzten Elfmeter im Relegations-Rückspiel in den Nachthimmel hämmerte. Fortuna Düsseldorf bleibt Zweitligist, der VfL Bochum, der sich nach dem 0:3 aus dem ersten Duell im heimischen Ruhrstadion von den Toten erhoben hatte, erwarb sich das erneute Startrecht fürs Oberhaus. Der Japaner sackte über dem Elfmeterpunkt zusammen, brach in Tränen aus. Torwart Florian Kastenmeier sprintete zu ihm, richtete ihn auf, nahm ihn in den Arm. Andere Kollegen folgten. Auch sie weinten, wie der ganze Verein. Fortuna, Namenspatronin des Klubs, Glücks- und Schicksalsgöttin, hatte den falschen Segensspruch gewählt.

Zwischen den Ketten von Polizei und Ordnungskräften lagen Menschen in roten Trikots. Leer, fassungslos. Sie konnten nicht glauben, was ihnen passiert war. Wie ihnen dieses Duell so bitter aus den Händen gleiten konnte. Wie sie eine Leistung auf den Platz gebracht hatten, die von dem grandiosen ersten Auftritt nicht meilenweiter entfernt sein konnte. Kein Mut mehr, keine Überzeugung. Stattdessen wackelige Füße, Fehlpässe. Und eine klar unterlegene Körpersprache. Im Tunnel der gigantischen Enttäuschungen schleppten sich die Spieler vor die Fans. Applaus und Dank für eine tolle Saison, die ungekrönt bleibt. Die Relegation ist ein kaum zu ertragender Schweine-Wettbewerb.

"Das haben die Jungs nicht verdient"

Fortuna Düsseldorf - VfL Bochum 0:3 n.V., 5:6 i.E.

Düsseldorf: Kastenmeier - Zimmermann, Oberdorf, de Wijs (97. Hoffmann), Iyoha - Tanaka (75. Johannesson), Engelhardt, Sobottka (83. Uchino), Klaus (75. Niemiec), Tzolis - Vermeij (82. Daferner); Trainer: Thioune
Bochum: Luthe - Oermann (59. Loosli), Ordets, Schlotterbeck - Losilla (99. Masovic) - Passlack (59. Asano), Bero, Stöger, Wittek - Hofmann (91. Paciencia), Daschner (82. Osterhage); Trainer: Butscher
Schiedsrichter: Deniz Aytekin (Oberasbach)
Tore: 0:1 Hofmann (18.), 0:2 Hofmann (66.), 0:3 Stöger (70. Handelfmeter)
Elfmeterschießen: 0:1 Paciencia, Luthe (Bochum) hält gegen Hoffmann, 0:2 Bero, 1:2 Johannesson, Kastenmeier (Düsseldorf) hält gegen Masovic, 2:2 Engelhardt, 2:3 Asano, 3:3 Oberdorf, 3:4 Stöger, 4:4 Tzolis, 4:5 Schlotterbeck, 5:5 Niemiec, 5:6 Wittek, Ushino (Düsseldorf) schießt über das Tor
Gelbe Karten: Engelhardt - Hofmann, Oermann, Wittek, Masovic
Zuschauer: 51.500 (ausverkauft)

Statt Party nur Leere. Der Gang in die Katakomben der Arena läuft nur noch per Autopilot. Niemand redet. Eine schweigende Schlange windet sich den Weg in die Kabine, in der die Altbierfässer bereitstanden, in der eine magische Nacht beginnen sollte. Der verletzte Top-Innenverteidiger Jamil Siebert wartet auf Krücken, bietet seine Schulter zum Ausweinen aus. Einen Kollegen nach dem anderen drückt er an sich. Minuten nach den Spielern folgten die Partnerinnen. Einige weinten, anderen trösteten. Aus der größten Nacht im Leben ihrer Männer wurde ein Horrortrip. "Es herrscht totale Leere. Die Mannschaft hat so ein unfassbares Jahr gespielt. Ich habe so viele Tränen gesehen. Das haben die Jungs nicht verdient. Mein Team hat mehr verdient, als nächstes Jahr in der 2. Bundesliga spielen zu müssen", sagte Coach Daniel Thioune und verlor dabei fast seine Stimme. Bis ins Pokal-Halbfinale waren sie vorgerückt, dort an Bayer Leverkusen gescheitert und nun dem zweiten großen Traum so nahe gewesen. Schon als er am ganz frühen Dienstagmorgen in den Pressekonferenzraum trat, strahlte er aus, dass er viel lieber nicht hier wäre. Lieber für sich alleine, bei seiner Familie. Oder in der 1. Liga.

"Das 3:0 ging völlig in Ordnung, wir haben zu keinem Zeitpunkt Kontrolle über das Spiel gehabt und keinen Druck auf den Gegner ausgeübt", gestand der schwer angeschlagene Trainer. "Hinten raus war es ein sehr offenes Spiel, aber das ist sportlich der Grund, warum wir die Liga nicht verlassen haben. Als Mensch ist es schwer, das gerade zu akzeptieren. Wir haben unsere Stärken und Schwächen. Die Schwäche kommt gerade zu tragen, dass ich auch nicht wirklich stabil bin."

Dass der Traum wieder einmal zerplatzt war, das konnte in Düsseldorf niemand begreifen. "Es tut gerade einfach nur weh. Es tut richtig, richtig weh", gestand Innenverteidiger Andre Hoffmann, der seit 2017 für die Fortuna spielt und den ersten Elfmeter im Duell von Punkt vergeben hatte. Er hatte feuchte Augen. "Es bricht eine Welt in einem zusammen, das muss ich so deutlich sagen." Nur wenig lindernder Balsam auf die klaffende Wunde der Enttäuschung war der warme Empfang der Fans in der Kurve. Vor dem Spiel mit einer mächtigen Choreo und reichlich Pyro. Nach dem Spiel mit Liedern und Applaus. Sie taten alles, um ihren gescheiterten Helden eine große Stütze zu sein. Das mache ihn "sprachlos", sagte Hoffmann. "Ich weiß, wie sehr sich jeder Einzelne da draußen diesen Aufstieg gewünscht hat. Dann diese Reaktion zu bekommen, das ist unglaublich. Das bedeutet uns als Gruppe wahnsinnig viel."

Wie ist dieser Kollaps zu erklären?

Aber wie konnte das passieren? Wie in Gottes Namen war dieser Kollaps zu erklären? Vielleicht wurde zu viel über Feier-Location und Aufstiegsparty am Rathaus gesprochen? Letztlich scheiterte das phasenweise panische Team an den eigenen Nerven. Das Spiel war im Prinzip eine umgekehrte Schablone des ersten Duells, das die Düsseldorfer so herausragend bestritten hatten. Bochum schoss die Tore zur rechten Zeit. Das 1:0 durch Philipp Hofmann wirkte wie ein sich schnell ausbreitendes Gift in den Körpern der Gastgeber, die bis dahin das leicht bessere Team waren (18.). Doch danach wich die mentale und physische Kraft von Minute zu Minute.

Das Stadion tat alles, um als emotionales Gegengift zu wirken. Aber die Dosis reichte nicht, um Fortuna aus der lähmenden Verkrampfung zu reißen. "Die Hälfte der Jungs könnten meine Söhne sein, sind im selben Alter wie meine Kinder. Sie waren total enttäuscht, haben geweint und so ein paar Tränen muss man dann auch als Trainer wegräumen, wenn es auch mir danach zumute war", sagte Thioune. "In dem Moment ging es nur um die Jungs. Da sagt man nicht viel und schaut nur in tieftraurige Gesichter." Es werde ein paar Tage dauern, diesen Schlag zu verarbeiten. "Sie dürfen sich so viel Zeit nehmen, wie sie wollen."

Wo war die Überzeugung, mit der etwa im ersten Duell das 2:0 herausgespielt worden war? Schnelle, klare, harte Pässe, saubere Mitnahmen, eiskalter Abschluss. Nichts davon war zu sehen. Weil die Schlüsselspieler der Fortuna zur Unzeit einen schwachen Abend erwischten und weil Christos Tzolis, dessen Verbleib als Leihspieler von Norwich City nach einer grandiosen Saison alles andere als sicher (und eher nicht wahrscheinlich) ist, sowie Ao Tanaka gnadenlos abgemeldet wurden. Beide waren den Bochumern am vergangenen Donnerstag auf der Nase herumgetanzt. Düsseldorf tat das total weh. Immer wieder versuchten sie, die Offensiven in Szene zu setzen. Es gelang nicht. Die Verzweiflung wurde immer größer. Auf dem Rasen, auf den Rängen. In die laute Anfeuerung mischte sich immer wieder lautes Entsetzen, wenn der Ball leichtfertig verdaddelt worden war. "Sie haben uns gezeigt, warum sie Erstligist sind. Für uns waren sie heute eine Nummer zu groß", sagte Thioune.

Das Drama in der 118. Minute

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Bis in die 117. Minute hinein, schien das Comeback an diesem Abend nahezu unmöglich. Dann stand Tzolis plötzlich alleine auf der linken Angriffsseite. Doch er nahm den Ball unglücklich ein, Ivan Ordets eilte herbei, klärte. Zur Ecke. Die landete bei Joker Jona Niemiec. Der knallt den Ball erst auf Takuma Asanso, der kurz vor der Linie rettet und scheitert wenig später mit einem zweiten Versuch an Noah Loosli, der das freie Tor mit einem spektakulären Block vernagelte. Fassungslosigkeit bei Niemiec. Bei den Mitspielern. Bei Thioune. Bei der Bank. Auf den Tribünen. Das Alles-oder-Nichts-Duell Elfmeterschießen muss entscheiden. Ein Kampf der Gladiatoren. Strahlende Helden werden geboren, tragische Helden ebenfalls. An diesem Abend heißt er Uchino. "Dieses Drama nach 120 Minuten und dann den kleinen Takashi da sitzen zu sehen, das fasst mich richtig an", sagte Coach Thioune. Minutenlang saß der Japaner auf der Treppe im Kabinengang und weinte.

Einen Vorwurf wollte ihm niemand machen. Er hatte sich seiner Verantwortung gestellt, alles riskiert und war eben nicht belohnt worden. Mitten in diesem Drama richtete Sportvorstand Klaus Allofs den Blick wieder nach vorne. "Ich habe große Lust, im nächsten Jahr wieder anzugreifen", sagte er, schränkte angesichts der großen Konkurrenten wie dem Hamburger SV, dem 1. FC Köln, Hertha BSC oder Schalke 04 aber ein: Man werde in dieser "mega schweren zweiten Liga" eine konkurrenzfähige Mannschaft zusammenstellen. Eine, "die hoffentlich die Rolle spielen kann, die die Mannschaft in diesem Jahr gespielt hat". Allerdings, betonte der erfahrene Manager, werde Fortuna "von den wirtschaftlichen Möglichkeiten (...) noch weniger ein Anwärter auf die ersten Plätze sein, als wir es in diesem Jahr eigentlich waren". Fußball, er kann so grausam sein.

Quelle: ntv.de

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