Experimente plus Harakiri Ein Zombie rettet Löws flexible Fehlerkette
26.03.2015, 07:01 Uhr
Länderspiel im Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern: Deutschlands Mario Götze (in giftgrünen Schuhen) und Australiens Alex Wilkinson kämpfen um den Ball.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Bundestrainerwill die Nationalelf zukunftsfähig machen, dazu gibt's Testspiele. Gegen Australien probiert sich sich die Defensive aus, doch Löws Leitidee überfordert Abwehr und Torwart. Für Freude sorgt ein treffsicherer Untoter.
Fast-Blamage, Dusel-Remis, Stolperstart? Aber nein, es ist doch gar nichts passiert am Mittwochabend in Kaiserslautern. Die deutsche Nationalmannschaft hat einer besseren Mannschaft, dem aufmüpfigen Asienmeister Australien, ein 2:2 abgetrotzt. Gut, das ist nicht brillant oder gar weltmeisterlich. Aber es ist auch kein Grund, das weiße Trikot mit den vier Sternen für eine schmale Mark an traditionsverbundene Liebhaber abzutreten. Die Gäste aus "Down Under" waren einfach richtig gut. Wären die Deutschen auch richtig gut gewesen, dann wäre es auf dem Betze vielleicht ein richtig, richtig gutes Spiel mit richtig, richtig guter Stimmung geworden. So war’s zumindest offensiv unterhaltsam und defensiv erkenntnisreich.
Tore: 1:0 Reus (17.), 1:1 Troisi (40.), 1:2 Jedinak (50.), 2:2 Podolski (81.)
Deutschland: Zieler (Hannover, 26 Jahre, 5 Länderspiele) - Mustafi (Valencia, 22/7), Höwedes (Schalke, 27/32), Badstuber (FC Bayern, 26/31) ab 46. Rudy (Hoffenheim, 25/6) - Khedira (Real, 27/54) ab 63. Kramer (Gladbach, 24/9) - Bellarabi (Leverkusen, 24/5) ab 63. Schürrle (Wolfsburg, 24/43), Gündogan (BVB, 24/9), Özil (Arsenal, 26/63), Hector (Köln, 24/2) - Götze (FC Bayern, 22/42) ab 73. Kruse (Gladbach, 27/11), Reus (BVB, 25/24) ab 73. Podolski (Inter, 29/122). Trainer: Löw
Australien: Ryan (Brügge, 22/20) - Franjic (Torpedo Moskau, 27/19), Wilkinson (Jeonbuk, 30/20) ab 78. Wright (Preston, 22/2), DeVere (Brisbane, 25/1), Davidson (West Bromwich, 23/18) - Jedinak (Crystal Palace, 30/57), McKay (Brisbane, 32/55) - Milligan (Melbourne, 29/39) ab 68. Mooy (Melbourne, 24/5), Troisi (Waregem, 26/22) ab 87. Juric (Sydney, 23/11) - 16 Burns (Wellington, 26/11) ab 60. Oar (Utrecht, 23/23), Leckie (Ingolstadt, 24/23). - Trainer: Postecoglou
Schiedsrichter: Michael Oliver (England)
Zuschauer: 47.106 (ausverkauft)
Noch vor dem Spiel hatte Löw unmissverständlich erklärt, dass seine Mannschaft flexibler agieren müsse. Und das Testspiele immer ein guter Anlass seien, um etwas auszuprobieren. So gesprochen, war gegen Australien die Defensive gefordert. Statt gewohnter Viererkette sollten drei Mann zentral verteidigen. Doch das war offenbar zu viel für die elf Auserwählten. Die Defensive um Rückkehrer Holger Badstuber wirkte oft so unsortiert wie der Wühltisch in einem Ramschladen. In der Offensive sah es dagegen schon deutlich strukturierter aus – und hier machte vor allen Dingen ein viel Kritisierter mit guten Aktionen auf sich aufmerksam. Die DFB-Elf im Flexi-Check.
Ron-Robert Zieler: Spätestens seit der Weltmeisterschaft in Brasilien ist international bekannt: Der Torwart ist der flexibelste Mann im DFB-Kader. In Abwesenheit des stilprägenden Manuel Neuer versuchte sich Zieler an der modernen Interpretation des flexiblen Alleskönners und musste nachher etwas kleinlaut eingestehen: "Wir hätten vielleicht ein bisschen mehr auf Sicherheit spielen sollen." Stimmt. Vor allen Dingen für sein eigenes Spiel. Denn mit seinem zögerlichen Spielaufbau und Harakiri-Dribblings beschwor er gleich mehrmals Gefahr für sein Tor herauf, so auch Mitte der zweiten Halbzeit, als er in einem dieser Dribblings den Ball verlor, glücklicherweise folgenlos für sein Team. Auch beim Freistoß, der den Australiern die 2:1-Führung brachte, sah der Schlussmann nicht ganz glücklich aus. Mutig war er, aber flexibel?
Skhodran Mustafi: In Valencia glänzt der Verteidiger regelmäßig mit starken Leistungen. Doch wenn es zur Nationalmannschaft geht, wirkt es so, als bekäme seine gute Form keine Ausreisegenehmigung. Kam mit der Umstellung auf die Dreierkette augenscheinlich nicht gut zurecht. Hatte auf seiner rechten Seite viel Mühe mit den schnellen Außenangreifern der Gäste. Bekam allerdings von Bellarabi vor ihm auch nur wenig Unterstützung. Mustafi hatte seine stärkste Szene direkt zu Beginn, als er den alleine Richtung Tor marschierenden Nathan Burns mit einem starken Tackling noch rechtzeitig stoppen konnte. Danach fiel der Spanien-Legionär vor allem durch viele Abspielfehler auf, Ausflüge nach vorne gab es dagegen kaum. Leidet im DFB-Dress außerhalb Spaniens noch ziemlich an den WM-Nachwehen.

Benedikt Höwedes (l.) erreicht in dieser Szene den Ball vor James Troisi.
(Foto: picture alliance / dpa)
Benedikt Höwedes: Spielte in der ersten Halbzeit zentral in der versuchten Dreierkette. Bekam es dort oft mit dem aberwitzig schnellen Matthew Leckie zu tun. Und der Mann vom Zweitligisten FC Ingolstadt ließ den Schalker Weltmeister einige Male ziemlich steif aussehen. So auch in der fünften Minute, als der bärenstarke Leckie mit seinem schnellen Wackler die Hüfte des Deutschen direkt mal blockieren ließ. Und auch in der zweiten Halbzeit wirkte Höwedes wenig souverän, stand beim Außenpfostentreffer des Ingolstädters zu weit weg.
Holger Badstuber: Sein Comeback in der Nationalmannschaft nach 885 Tagen wird sicher nicht nachhaltig in Erinnerung bleiben. Badstuber, ebenso nervös wie froh, wieder den Adler auf der Brust zu tragen, kämpfte sich 45 Minuten lang über den Rasen. Er konnte der Mannschaft an der Seite des ebenfalls nicht souverän aufspielenden Höwedes keine Stabilität verleihen. Im Gegenteil: Dem Bayern-Profi unterliefen einige ziemlich destabilisierende Abspielfehler, die Australien zu gefährlichen, wenn auch nicht erfolgreichen Kontern nutzte. Sebastian Rudy, ab 46. Minute: Mit seiner Einwechslung war das Experiment Dreierkette erledigt. Rudy besetzte die rechte Außenverteidigerposition und kam schwer ins Spiel. Sein Ausrutscher in der 53. Minute ließ James Troisi alleine auf Zieler zulaufen, die mögliche Vorentscheidung zum 3:1 ließ der Australier aber aus. Nach dem Patzer machte Rudy seine Seite aber ziemlich unflexibel dicht, nach vorne ging kaum etwas.
Jonas Hector: Der junge Kölner feierte im zweiten DFB-Einsatz etwas überraschend sein Debüt in der Startelf. Und das ging direkt mal forsch los. Irgendwo zwischen Dreierkette und linkem Mittelfeld spielte der 24-Jährige munter drauflos, hätte in der 16. Minute aus 18 Metern direkt sein erstes Länderspieltor machen können. Klappte aber nicht, weil er den Schuss zu hoch ansetzte. Überzeugte über weite Strecken des Spiels mit klugen Spielverlagerungen und intelligenten Pässen in die Schnittstellen der australischen Defensivreihen. Allerdings: Beim Ausgleich durch Troisi verlor Hector das entscheidende Kopfballduell.

An Australiens Torwart Mathew Ryan vorbei: Marco Reus (M.) besorgt das 1:0.
(Foto: picture alliance / dpa)
Sami Khedira: In Abwesenheit des neuen Kapitäns schwang sich Khedira zum Leader auf. Brauchte zwar einige Minuten, um ins Spiel zu kommen, hatte dann aber deutlich mehr starke als schwache Szenen. Seine beste: Die Vorbereitung zum 1:0 durch Marco Reus. Der Noch-Madrilene schnappte sich das Leder im Mittelfeld, marschierte einmal quer über den Platz und brachte dann noch ein präzises Zuspiel auf den Dortmunder zustande. In den Zweikämpfen zeigte sich der Ersatzkapitän bissig und engagiert. Christoph Kramer, ab 63. Minute: Tja, besonders viel Werbung konnte er für sich nicht machen. Hatte wie Jonas Hector auch ein paar gute Szenen bei der Spielöffnung, ging aber sonst im allgemeinen Nach-WM-Blues der Mannschaft unter.
Karim Bellarabi: Der Leverkusener ist ein echtes Vorbild an Leidenschaft und Engagement. Ist sich für keinen Weg zu schade, geht vielen Bällen hinterher, hat kluge Ideen und bestritt deshalb sein fünftes Länderspiel in Folge. Nur: Vieles von dem, was sich Bellarabi vornimmt, spielt er nicht effektiv zu Ende. Hatte einen guten Abschluss Mitte der ersten Halbzeit, sonst aber kein Interesse auf seiner Seite für defensive Stabilität zu sorgen. Der Außenstürmer ließ seinen Hintermann Mustafi zu oft alleine – unflexibel! André Schürrle, ab 63. Minute: Zeigte direkt einmal, warum ihm derzeit eine Krise angedichtet wird. Seine erste nennenswerte Aktion war ein kapitaler Fehlpass mitten rein in die australische Kontereuphorie. Ihm fehlen Mut und Dynamik, auch die Körpersprache verheißt derzeit wenig Gutes. Immerhin konnte sich der 24-Jährige zum Ende der Partie noch etwas Selbstvertrauen holen, als er den Ausgleich von Lukas Podolski sehenswert mit einem Doppelpass über Hector vorbereitete.
Ilkay Gündogan: Über 550 Tage musste der Borussen-Profi warten, ehe er endlich wieder im Kreis der Nationalmannschaft weilen durfte. Nach endlich ausgeheilter Verletzung setzt der Bundestrainer große Hoffnungen in die Spielintelligenz des 24-Jährigen. Sein Vorzug gegenüber Kapitän Bastian Schweinsteiger ist ein Zeichen der Wertschätzung von Löw für den Dortmunder. Und Gündogan hatte zu Beginn des Spiels gleich mehrere richtige gute Szenen. So setzte er nach fünf Minuten einen Ball aus der Distanz nur knapp am Tor vorbei, ehe er mit feinem Füßchen wenig später Reus in Szene setzte, der den Ball aber aus aussichtsreicher Position nicht veredeln konnte. Mit zunehmender Spieldauer baute Gündogan sichtbar ab, wirkte am Ende froh, wenn andere Spieler sich intensiver um den Aufbau kümmerten. Sein etwas unbeholfenes Foul in der 50. Minute führte zum australischen Führungstreffer.
Mesut Özil: Der Mittelfeldspieler hat technische Fertigkeiten wie kaum ein anderer Spieler im Kader von Joachim Löw. Doch leider hat Özil auch das Talent, sich von schlechten Leistungen und negativer Kritik, wie derzeit in London, so dermaßen runterziehen zu lassen, dass man das Schmollen und Hadern des Feingeistes selbst unterm Stadiondach noch deutlich zu spüren bekommt. Zeigte gegen Australien im 63. Länderspiel eine ganz schwache Leistung im Deutschland-Trikot. Spielte im Angriffe den Ball oft zu spät ab oder zu fahrig weiter und verdarb seinen Mitspielern damit aussichtsreiche Torbemühungen. In der Defensive bot er dagegen nur Alibi-Zweikämpfe an, ein verlorenes Duell leitete den Ausgleich ein. In der Form gehört der Arsenal-Profi zu jenen Profis, die eine Nominierung des Bundestrainers besser nicht mehr als Selbstverständlichkeit betrachten sollten. Aber die Formfrage hat der Bundestrainer bei Özil noch nie gestellt.
Mario Götze: Beim Verkünden der Aufstellung kurz vor Spielbeginn wurde der Bayern-Profi Götze von den Fans frenetisch gefeiert. WM-Siegtorschütze, das macht auch träge Eventfans munter. Doch so ganz konnte der Bayern-Profi die damit verteilten Vorschusslorbeeren nicht zurückzahlen. Die Nummer 19 war zwar ständig in Bewegung, hatte auch viele Ballkontakte, aber nur wenige seiner Ideen fanden eine gute Umsetzung. In den ersten 20 Minuten war er an fast allen gefährlichen Aktionen der Deutschen beteiligt, außer dem Führungstreffer. Baute danach aber ab. Konnte später froh sein, dass er mit seinen giftgrünen Schuhen für jedermann sichtbar war, wäre sonst bis auf ein Strafraum-Kunststückchen gegen vier Australier wohl gar nicht mehr aufgefallen. Max Kruse, ab 73. Minute: Er wurde spät eingewechselt, war einige Male am Ball, konnte die Zeit aber nicht nutzen um Kreatives oder Erhellendes anzubieten. Unflexible Einsatzzeitnutzung.
Marco Reus: Er wird nach 73 Minuten tief durchgeatmet haben. Endlich mal wieder ein Länderspiel ohne Abgang mit medizinischem Betreuungspersonal. Der Dortmunder war gemeinsam mit Götze in der Anfangsphase sehr präsent. Der BVB-Antreiber erzielte in der 16. Minute ein Abseitstor und in der 17. Minute den Führungstreffer. Hatte auch dem 1:0 noch weitere gute Gelegenheiten, die er aber etwas unkonzentriert liegen ließ. Reus baute dann aber auch nach dem starken Beginn zunehmend ab, ist mit seiner Schusstechnik und seiner Antrittsstärke aber genau der richtige Mann für Löws flexible Vorstellungen. Lukas Podolski, ab 73. Minute: Dieser Mann soll schädlich fürs Spiel sein, liebe italienische Medien? Papperlapapp! Dieser Mann, vom Publikum frenetisch gefeiert, ist ein belebendes Element.
Mit der Einwechslung des 29-Jährigen erlebte die deutsche Offensive noch einmal eine späte Blüte. Der Mailänder erzielte in seinem 122. Länderspiel nicht nur den verdienten Ausgleich, als er eine Vorlage von Schürrle souverän einschob. Er suchte immer wieder mit Zug den Weg zum Tor und traute sich mehrfach ordentliche Abschlüsse zu. In dieser Form bleibt Lukas Podolski der Parade-Zombie des DFB-Teams, tausendmal totgesagt, aber nicht totzukriegen. Auch wenn 17 Minuten gegen einen zum Ende hin müden Gegner eigentlich kein Maßstab für höhere Aufgaben sein können, gab es sogar ein Lob vom Bundestrainer: "Manche, hat man das Gefühl, wollen ihn gern abschreiben. Aber dann weiß man, dass der Lukas immer mal für Belebung sorgen kann, für ein Tor sorgen kann. Das 48. Tor für Deutschland, diese Quote spricht schon auch für sich."
Quelle: ntv.de