
Grealish ist für City so unverzichtbar wie Haaland.
(Foto: REUTERS)
Manchester City geht als Favorit ins Champions-League-Finale gegen Inter Mailand. Das Starensemble besticht mit Rekordtorjäger Erling Haaland, mit den Mittelfeld-Superstars İlkay Gündoğan und Kevin De Bruyne. Und mit Jack Grealish, der sich vom Enfant Terrible zu einem Unverzichtbaren wandelt.
Teure, ausgefallene Kleidung abseits des Fußballplatzes, eine Haarpracht, die jedem Boyband-Mitglied zu Ehren gereicht, viel Gerede um sein Privatleben und seine Vorliebe für Partys. Die Rede ist nicht etwa von David Beckham, sondern von Jack Grealish. Der Linksaußen in Diensten von Manchester City liebt es zu leben, wer liebt seine Freiheit. Aber die berüchtigte, englische Boulevardpresse hat auch deswegen immer ein Auge auf ihn, weil sie hofft, er biete einen ausschlachtbaren PR-Vorfall.
So wie vor einem Jahr, nach Citys letztem Meisterschaftsgewinn, als Grealish - in jeder Hand ein Getränk, eine extravagante Sonnenbrille auf - sich zu einem spöttischen Witz über einen Gegner hinreißen ließ. Warum er es tat, wusste der Offensivmann anschließend selbst nicht mehr, er mache eine Menge "dummes Zeug". Er hat sich längst entschuldigt, aber es war ein gefundenes Fressen.
Auch nach dem diesjährigen Sieg im FA-Cup sprach er davon, feiern zu wollen: "Ich gewinne nicht jede Woche einen FA-Cup, also werde ich es genießen." Da war das Double bereits perfekt, das am Abend mit dem Titel in der Champions League zum Triple anwachsen könnte (21 Uhr/ZDF, DAZN und im ntv.de-Liveticker).
117,5 Millionen Euro Ablöse für Grealish
Grealish, der in Birmingham geboren wurde, ist wahrlich nicht der geborene Musterprofi. Bei Aston Villa, wo er seit seiner Kindheit spielte, gilt er zwar als Wunderkind, schlittert aber auch von einem Skandal in den nächsten. Partynächte, Auto-Crashs, Alkohol, Lachgas, Reisen nach Ibiza und Las Vegas, sogar Partys während der Corona-Pandemie - kurz nachdem er selbst die Fans dazu aufgerufen hatte, zu Hause zu bleiben - er ließ nichts aus. Als er im August 2021 zu Manchester City wechselte, war die Aufregung groß. Ja, er war ein verheißungsvoller Spieler, ja, er war bereits brillanter Nationalspieler, aber die Transfersumme schockte die Fußballwelt dann doch. 117,5 Millionen Euro Ablöse zahlte Man City für Grealish. So viel wie für niemanden zuvor in der Vereinsgeschichte, was den Stürmer zugleich zum teuersten englischen Spieler machte.
Es scheint durchaus überraschend, dass Trainer Josep Guardiola einen wie Grealish in seinem Team haben wollte. Das fußballerische Potenzial ist unstrittig, aber ist der Linksaußen auch einer, der ins System des Erfolgstrainers passt? Einer, der dem ungeheuren Willen von Perfektion gerecht werden kann? Englands Nationaltrainer Gareth Southgate - bekannt als Disziplinfanatiker - zögerte lange, ihn erstmals zu nominieren. Weil Grealishs Großeltern aus Irland stammen, durchlief er die irischen Jugend-Nationalmannschaften, wechselte erst in der U21 ins englische Team. Und obwohl Grealish bei Villa groß aufspielte, nominierte Southgate ihn erst im September 2020 erstmals. Er kam einfach nicht mehr am neuen "Enfant terrible" des englischen Fußballs vorbei.
Das kam auch Man City ganz offensichtlich nicht, doch die erste Saison unter Guardiola verlief für Grealish schleppend. "Es ist so anders als das, was ich bei Aston Villa gewohnt war", sagte Grealish im März 2023 rückblickend bei Sky Sports. "Als ich unter Dean Smith spielte, sagte er zu mir: 'Geh und finde heraus, wo in der Verteidigung deiner Meinung nach das schwächste Glied ist. Wenn du willst, geh nach rechts, in die Mitte oder halte dich an der Seitenlinie.'" Guardiola aber verbietet solche Freiheiten, ein Flügelspieler hat klare Aufgaben in seinem System. Grealish absolvierte in seiner ersten Saison 39 Pflichtspiele, aber er konnte nicht glänzen, er sorgte selten für spielentscheidende Szenen und in der Champions League gab Guardiola Phil Foden und Raheem Sterling den Vorzug.
Bei Aston Villa selbst der Größte, nun einer von vielen
Doch das Bild hat sich gewandelt. Denn Grealish hat auch seine Ehrfurcht vor den eigenen Mitspielern abgelegt, das Ensemble aus Weltstars wie Kevin De Bruyne hatte den Spieler, der bei Aston Villa mit Abstand selbst der Größte war, Furcht und Selbstzweifel eingebracht. Guardiola erzählte rückblickend: "Jack hat öffentlich zugegeben, dass er ein wenig mit dem Glauben kämpft. 'Bin ich ein Spieler von Man City? Bin ich in der Lage, hier zu spielen?' und in dem Moment, als sich seine Einstellung änderte, war er unglaublich: 'Natürlich bin ich gut genug, um hier zu spielen, natürlich habe ich die Fähigkeit'.
Nun ist Grealish sicher dabei, wenn Schiedsrichter Szymon Marciniak das Finale der Champions League gegen Inter Mailand am Abend in Istanbul anpfeift. Zu Beginn der Saison bremste ihn noch eine Knöchelverletzung aus, auch für City lief es mies, der FC Arsenal zog schnell davon. Grealishs horrende Ablösesumme stand für viele im Gegensatz zur gezeigten Leistung, doch Guardiola verteidigte den inzwischen 27-Jährigen: "Wir haben ihn nicht wegen der unglaublichen Tore oder Assists bei Aston Villa verpflichtet, es hatte andere Gründe."
Inzwischen hat Grealish das Positionsspiel seines Trainers verinnerlicht, dessen Konsequenz für Ballbesitz und Ballführung und schafft es dennoch, seine brillanten Dribblings vom Flügel ins Zentrum zu zeigen. Er bindet mit seiner Kreativität mehrere Gegenspieler, das schafft Platz für seine Mitspieler. Rekordstürmer Erling Haaland profitiert als Zielspieler und weil Grealish auch gegen den Ball arbeitet, ist er mannschaftsdienlich. "Die Qualität, um die Abwehrkette zu attackieren, hatte er schon immer", so Guardiola. "Seine Bereitschaft, ins Risiko zu gehen und wichtige Entscheidungen zu treffen, macht aktuell den Unterschied." Dass er in dieser Königsklassen-Saison kein Tor geschossen hat, ist unwichtig. Guardiola meint auch Grealish, wenn er sagt: "Es geht darum, wie man spielt, wenn man sein Maximum gibt, um seinen Teamkollegen zu helfen."
Und so ist der Linksaußen längst nicht mehr aus dem Champions-League-Team wegzudenken, in den bislang zwölf Spielen stand er elfmal in der Startelf und spielte sechs Partien durch. Er lebt seinen Traum: "Meine Mutter hat mir vor dem Spiel geschrieben: 'Das sind die Nächte, von denen du als Kind geträumt hast', und das stimmt", sagte er, nachdem er Champions-League-Halbfinale im Santiago-Bernabeu-Stadion von Real Madrid spielen durfte.
Grealish ist auch Werbestar
Auf dem Spielfeld hat Grealish die Kontrolle gefunden. Und auch abseits davon ist es ruhiger geworden. Seine letzten Eskapaden drehten sich nicht um Vorfälle mit der Polizei, sondern um seine Luxus-Handtasche und seinen Lamborghini, den er nach dem Double in das Himmelblau von Manchester City umlackieren ließ. Überhaupt kann Grealish Privates und Berufliches offenbar gut trennen: "Ich bin beeindruckt, wie professionell er ist", lobte Guardiola nach der Rückkehr vom Viertelfinale beim FC Bayern München. Wenn er hart feiere, arbeite er noch härter, heißt es über den 27-Jährigen. Er trinkt zwar, anders als viele Profis, Alkohol, aber er hält sich an seine von Wissenschaftlern vorgegebene Ernährung und legt viel Wert auf seine körperliche Fitness.
Dass er auf Glitzer und Glamour steht und ein Typ ist, macht ihn natürlich auch interessant. Nicht umsonst ist er Markenbotschafter der Luxusfirma Gucci und hat einen Ausrüster-Deal mit Puma abgeschlossen. Berichten zufolge ist es ein Rekordvertrag, er soll mehr verdienen als sein Nationalmannschafts-Kapitän Harry Kane. "In letzter Zeit hat es eine große Verschiebung bei den Kriterien gegeben, die einen Spieler wirklich vermarktbar machen - Authentizität ist dabei der wichtigste Faktor", sagt Dan Connor, Mitinhaber von And the new, einer Sportmarketing-Agentur, gegenüber "The Athletic". "Es gibt keinen authentischeren Spieler als Jack". Grealish ist unverzichtbar - für Marken und für Manchester City.
Quelle: ntv.de