Fußball

Was läuft da eigentlich schief? FC Augsburg geht mit "großmäuligem" Sandro Wagner "voll ins Risiko"

Sandro Wagner hat den FC Augsburg sportlich noch nicht im Griff.

Sandro Wagner hat den FC Augsburg sportlich noch nicht im Griff.

(Foto: IMAGO/osnapix)

Im Frühjahr dieses Jahres sorgt Sandro Wagner für eine dicke Überraschung. Er kündigt die Zusammenarbeit mit Bundestrainer Julian Nagelsmann zum Sommer hin auf. Der Assistent möchte raus aus dem Schatten und selbst die Verantwortung übernehmen. An Gerüchten, wer den schillernden Typen Wagner holen will, mangelt es nicht. Dann folgt die nächste dicke Überraschung: Wagner geht zum FC Augsburg. Zwei Welten stehen sich da plötzlich gegenüber. Der omnipräsente Trainer und der gerne als Underdog vor sich hinlebende Bundesligist.

So groß die Euphorie über den vermeintlichen Coup war, so schnell hat sich die Begeisterung abgekühlt. In der Liga taumelt die Mannschaft nach mehreren desaströsen Leistungen dem Tabellenkeller entgegen, im Pokal blamierte sich der FCA gegen Zweitligist VfL Bochum in der zweiten Runde. Gegen den BVB zeigte sich zuletzt in Augsburg die Wut. Im Fanblock wurde Kritik am "Personalkult" im Verein laut. Was läuft schief? Florian Eisele, Sportredakteur und FCA-Experte (unter anderem beim Podcast "Viererkette") bei der "Augsburger Allgemeinen", klärt die wichtigsten Fragen.

ntv.de: Warum funktioniert derzeit eigentlich fast nichts beim FC Augsburg, Herr Eisele?

Florian Eisele: Der FC Augsburg hat mit der Verpflichtung von Sandro Wagner eine Abkehr vom lange praktizierten Fußball vollzogen. Unter Jess Thorup, seinem Vorgänger, wurde sehr defensiv gespielt. Der Klub wollte damit brechen. Sandro Wagners Idee ist eine ganz andere. Er will das Spiel viel aktiver gestalten, will die Mannschaft früh anlaufen und hoch pressen lassen. Das klappt eigentlich ganz gut, aber nach Ballgewinnen entstehen gleich zwei Probleme. Zum einen, weiß die Mannschaft, wie schon früher, nur wenig mit dem Ball anzufangen. Beim 0:6-Debakel gegen Leipzig waren die Augsburger bei den Torschüssen gleichauf mit RB, aber es kam nichts Gefährliches dabei herum. Dann gibt es direkt ein zweites Problem. Defensiv hat die Mannschaft ihre Stabilität verloren. Manchmal reicht ein Ball, eine Kopfverlängerung und schon wird es gefährlich. Das sieht man ja an der Anzahl der Gegentore: kein Team in der Liga kassiert mehr, 21 sind es nach neun Spielen. Die Balance passt hinten und vorne nicht.

Und so werden die Zweifel immer größer, ob diese Art Fußball spielen zu wollen, mit dieser Mannschaft wirklich funktionieren kann. Aber der FCA wollte ganz bewusst diesen Weg gehen, weg vom Beton anrühren, von dieser defensiven Ausrichtung. Das Spiel soll mutig sein, den Bus vor dem eigenen Tor zu parken, ist keine Option mehr.

Sandro Wagner ist ein Lautsprecher, ein Typ, der sofort das Rampenlicht auf sich zieht. So viel Aufmerksamkeit wie mit dem ehemaligen Stürmer des FC Bayern hatte der Klub noch nie. Jedes Wort des meinungsfreudigen Wagner landet schnell in den großen Medien. Für den Klub ist das eine völlig neue Situation.

Ist der schillernde Typ Sandro Wagner womöglich eine Nummer zu groß für den FC Augsburg?

Ja, dieser Meinung kann man schon sein. Wobei ich denke, dass "schillernd" per se nicht das Problem für den FCA ist. Vielmehr muss man sich die Frage stellen, ob der Charakter von Wagner zum Klub und seiner Identität passt. Augsburg ist gerne der Underdog, der die großen Vereine mal ärgert. Aber Augsburg ist eben auch ein Verein ohne den großen Glamour-Faktor. Und so ehrlich muss man sein, er wird diesen Glamour-Faktor auch nicht bekommen. Der Klub steht für andere Werte: für Bescheidenheit, für gutes Wirtschaften, aber auch für Mut. Ein charismatischer Trainer kann da durchaus ein Upgrade sein, aber er muss von der Persönlichkeit passen.

Die Zweifel, ob Wagner da passt, sind absolut erlaubt. Augsburg ist eben nicht die Stadt, in der die Leute mit der "Hoppla-hier-komm-ich"-Mentalität um die Ecke kommen. Anders eben als Wagner, mit seinem großmäuligen Auftreten und seinen sich teilweise auch widersprechenden Aussagen. Er hat ja bereits versucht, sich bei den Pressekonferenzen zurückzunehmen, seine Mimik zu kontrollieren. Aber zurücknehmen kann dieser Mensch sich nicht. Sandro Wagner redet gerne über Sandro Wagner.

Und so stülpt sich derzeit die Person Sandro Wagner über diesen Klub. Wenn man die überregionalen Medien liest, ist nicht mehr vom FCA die Rede, sondern vom Wagner-Klub. Möchte man das? Möchte man als Verein wirklich, dass man vor allem über die Person Wagner und dessen Habitus wahrgenommen wird? Mein Eindruck ist immer mehr: Viele im Umfeld möchten das nicht. Und auf den Beweis, dass Wagner und Augsburg wirklich zusammenpassen, warten ich und viele andere bis heute.

Sieben Punkte nach neun Spielen, Abstiegskampf und Pokal-Blamage, das ist nicht das, was man sich vorgestellt hat. Andere Klubs haben nach schwachem Saisonstart bereits die Trainer-Handbremse gezogen und den Chef ausgetauscht. Bei Bayer Leverkusen hat sich der Blitz-Wechsel von Erik ten Hag zu Kasper Hjulmand ausgezahlt, bei Borussia Mönchengladbach geht es unter Eugen Polanski nur langsam bergauf. In Augsburg wurde die Kritik, wie bereits angesprochen, zuletzt größer. Droht auch hier der Knall?

Wie groß ist der Rückhalt für Sandro Wagner in Augsburg noch?

Da muss man zwischen Verein, Mannschaft und Fans unterscheiden. Im Klub ist der Rückhalt offiziell bei 100 oder sogar 1000 Prozent, wie Präsident Markus Krapf zuletzt im Interview mit unserer Zeitung sagte. Der Verein ist mit Wagner auch voll ins Risiko gegangen. Mit Jess Thorup wurde der beliebteste Trainer der Augsburger Bundesliga-Geschichte trotz einer soliden Saison vom Hof geschickt. Auch auf der Management-Ebene wurde reichlich gewechselt. Aber gerade mit Wagner ist man All-in gegangen. Deswegen muss der Verein ihn möglichst lange stützen, aber es ist auch klar, dass es bei weiteren Debakeln schnell eng werden könnte. Vier davon gab es diese Saison: in Überzahl gegen Mainz, bei der erschreckenden Pleite gegen Heidenheim, gegen Leipzig und gegen Bochum. Normalerweise ist das auf eine ganze Saison gerechnet schon zu viel. Nun sind es gerade einmal elf Spiele.

Aus der Mannschaft hört man bis jetzt ebenfalls wenig kritische Stimmen. Die Spieler betonen, dass sie große Lust auf die Art Fußballzuspielen haben, die Wagner vorgibt. Aber eines ist auch klar: Wenn du noch weitere Spiele auf diese Art verlierst, werden sicher auch die Zweifel bei den Spielern größer.

Bei den Fans dagegen bröckelt der Rückhalt massiv. Die Spruchbänder beim Spiel gegen den BVB waren deutlich. Der Personenkult um Wagner nervt viele massiv, niemand soll größer als der Verein sein, beklagten sie ja auch. Dabei war die Stimmung am Anfang echt euphorisch, mit nur ein paar leisen Stimmen, ob das wirklich passen kann. Doch die werden jetzt eben immer lauter. Es ist wirklich nicht mehr die große Liebe.

Gegen Borussia Dortmund machte der FCA (0:1) seine desolate Woche mit Leipzig-Debakel und Pokal-Blamage zuletzt perfekt. Drei Heimspiele nacheinander wurden vergeigt. Und dennoch gab es nach dem Spiel viele positive Worte. Wagner lobte nicht nur seine Spieler, sondern auch die Fans für ihr gutes Gespür: "Sie haben schon gesehen, dass die Mannschaft Bock hat, dass sie füreinander kämpft."

Gibt es Hoffnung auf schnelle Besserung beim FC Augsburg?

Ja, Hoffnung gibt es. Beim Sieg gegen den VfL Wolfsburg, der allerdings auch desolat war, konnte man sehen, wie Wagner sich den Fußball vorstellt und wie er funktionieren kann. Das war sehr aktiv, sehr weit nach vorne ausgerichtet, mit sehr hoch stehenden Innenverteidigern, die das Spiel mitaufbauen. Und was man vielleicht außerhalb der Augsburger Stadtmauern nicht weiß: Die Qualität im Kader ist absolut da. Mit Finn Dahmen gibt es einen Torwart, der zuletzt ja für die DFB-Elf berufen wurde.

Innenverteidiger Christian Matsima war ehemaliger U21-Kapitän Frankreichs, der jetzt lange verletzte Jeffrey Gouweleeuw ist ein sehr solider Bundesliga-Verteidiger, Alexis Claude-Maurice ein herausragender Offensiv-Spieler. Ein Keven Schlotterbeck schaffte es wegen des großen Konkurrenzkampfs nicht immer in die Startelf. Hinzukommen Top-Talente wie Noahkai Banks oder Mert Komür, die ja wegen Wagner verlängert haben, weil er auf sie setzt. Dazu kam mit Fabian Rieder ein Super-Kicker für acht Millionen Euro in diesem Sommer. Aber es steht eben über allem die Frage: Kann Wagner mit seiner Spielidee die Qualität des Kaders abrufen?

Der junge Franzose Matisma kam im Sommer für rund fünf Millionen Euro aus Monaco, er war Teil einer großen Investitionsstrategie des FCA. Insgesamt wurden knapp 25 Millionen ausgegeben, um den Kader auf ein höheres Niveau zu heben. Spieler kam für alle Mannschaftsteile. Nur nicht für das Sturmzentrum.

Wurden beim FC Augsburg auch Fehler in der Kaderplanung gemacht?

Klassische Fehler in der Kaderplanung wurden eher nicht gemacht. Aber es fehlt ein echter Neuner, den Wagner als Stammspieler sieht. Phillip Tietz und Samuel Essende sind das nicht. Wagner wünscht sich vorne eigentlich einen Zocker, wie es ein Rieder oder ein Kömür sind. Aber es ist schon so, dass der Klub das Thema echter Neuner gerne neu besetzen will. Gerüchte gibt es um Niclas Füllkrug - aber der verdient in England angeblich über vier Millionen Euro und würde damit das Gehaltsniveau des FCA völlig sprengen, von daher kann ich mir das nicht vorstellen. Aber nochmal: Die Qualität des Kaders ist nicht das Problem. Es geht um die risikobehaftete Spielweise und die stets gleiche Frage, ob diese Mannschaft wirklich in der Lage ist, das zu beherrschen.

Am Sonntag treffen die Augsburger auf den formstarken VfB Stuttgart (17.30 Uhr bei DAZN und im Liveticker bei ntv.de). Wagner versucht, sein Team mit ungewöhnlichen Maßnahmen vorzubereiten. Zwei Tage vor der Partie gab er seinen Fußball-Profis noch einmal trainingsfrei. "Vielleicht hilft der kleine psychologische Trick etwas." Den freien Tag begründete Wagner vor allem mit einer langen und harten Trainingswoche nach dem zurückliegenden Freitagabend-Spiel gegen Borussia Dortmund. Dazu wird sein Team auch erst am Spieltag die eher kurze Busfahrt nach Stuttgart antreten. "Wir spielen erst spät. Da können die Spieler zu Hause in ihrem Bettchen schlafen." Eine positive Nachricht ist, dass Kapitän Gouweleeuw wieder fit ist. Der 34-Jährige fehlte seit September wegen einer Knieverletzung. Wagner ließ aber noch offen, ob der Routinier gleich wieder in der Startelf stehen werde.

Mit Florian Eisele sprach Tobias Nordmann

Quelle: ntv.de

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