Schlimmste Serie seit 71 JahrenFC Liverpool steht nach Horrorabend unter Schock

Wer heute früh auf die Ergebnisse der Champions League blickt, wird seinen Augen kaum trauen: Die PSV Eindhoven siegt mit 4:1 beim FC Liverpool. Was wie ein Fehler erscheint, ist nur die Spitze des Eisbergs einer Krise, die den stolzen Verein in Englands Nordwesten tief erschüttert.
Es ist die schlimmste Serie des ruhmreichen FC Liverpool seit 1953/1954. Damals stiegen die Reds ab, über 70 Jahre später ist es noch lange nicht so weit. Doch die Lage ist dramatisch. Neun Niederlagen aus den letzten zwölf Spielen, zwei davon in den vergangenen vier Tage in Anfield.
Die Ergebnisse der letzten drei Spiele lauten: 0:3 bei Manchester City, 0:3 gegen Nottingham Forest und jetzt 1:4 gegen PSV Eindhoven. Drei Niederlagen in Folge mit jeweils drei Tore Unterschied hatte es zuletzt im Dezember 1953 gegeben. Damals war Winston Churchill noch Premierminister des Vereinigten Königreichs.
"Das ist ein Schock für alle. Für die Spieler und für mich kommt das sehr, sehr unerwartet", sagte Arne Slot, der Meistercoach der vergangenen Saison, nach der Pleite seiner erneut leblosen Mannschaft, in der alte Kräfte ihre Form verloren haben und die superteuren Neuzugänge wie Florian Wirtz, Alexander Isak oder auch Hugo Ekitike mit Verletzungen und Form ringen.
"Ich spüre keine Wut mehr"
Wirtz, der teuerste deutsche Spieler jemals, verpasste die Demütigung gegen Eindhoven angeschlagen. War er anfangs noch das Gesicht der aufkommenden Krise, so haben sich die Probleme längst multipliziert. Alles wird in Liverpool hinterfragt.
Die Spieler ringen mit der Fassung. "Ich habe keine Antworten. Ich habe einfach keine. Das ist alles nicht mehr zu akzeptieren", sagte Liverpools Curtis Jones bei RTE: "Ich spüre schon keine Wut mehr. Ich bin an einem Punkt, an dem mir einfach die Worte fehlen."
Dann holte Jones Luft und sagte: "Wir werden versuchen, dieses Team wieder dahin zu bringen, wo es hingehört, allen wieder zeigen, wofür dieser Verein steht und warum die Leute ihn als das beste Team der Welt bezeichnen, aber im Moment stecken wir in der Scheiße und das muss sich ändern."
Buh-Rufe in Anfield
Der im Sommer mit beinahe einer halben Milliarde Euro verstärkte Meister der englischen Premier League ist auf dem spiegelglatten Boden der Realität nicht nur ausgerutscht, sondern hat sich dabei sämtliche Knochen gebrochen. Es erscheint mehr als unklar, ob Slot zugetraut wird, die schweren Verletzungen zu heilen.
Der Niederländer glaubt daran. Was soll er sonst auch tun? "Ich fühle mich sicher. Mir geht es gut. Von oben bekomme ich viel Unterstützung", sagte er nach dem Spiel auf die drängendste Frage. "Wenn man als Trainer arbeitet und keine guten Ergebnisse erzielt, ist es normal, dass Fragen gestellt werden. Es ist nicht das erste Mal, dass ich in einer schwierigen Lage bin. Jetzt ist es an der Zeit, das Blatt zu wenden."
Die Unterstützung für dieses Vorhaben aber schwindet in Liverpool. Das stolze Stadion buhte nach dem neuerlichen Debakel, auch wenn sie mit ihren "We love you Liverpool, we do"-Gesängen bald darauf ihre ewige Treue schworen. Was sollten sie auch tun? Der Schmerz ist das Wesen eines jeden Fußballfans und Liverpool nun das Zentrum dieser Welt des Leidens.
Die "Horrorshow"
Die BBC schrieb von der nächsten "Horrorshow", der Guardian zeigte sich ob des "erstaunlichen Einbruchs" verwundert und "The Independent" hielt fest: "Die miserable Saison der strauchelnden Reds wird immer schlimmer. Patzer in der Defensive verhelfen dem stark aufspielenden PSV zu einem Kantersieg."
Dabei war alles unter Kontrolle. Das frühe 0:1 durch Ivan Perisic per Elfmeter nach einem wilden Handspiel von Virgil van Dijk wirkte diesmal nur wie ein Ausrutscher. Bald glich Dominik Szoboszlai aus, die Reds kamen zu Chancen. Die Führung war nur noch eine Frage der Zeit. "Zur Halbzeit", sagte Slot, "hätte wohl niemand erwartet, dass wir dieses Spiel mit 1:4 verlieren würden".
In der zweiten Halbzeit aber knallten die Reds auf den Boden. Sie versuchten kaum noch, sich zu erheben. Sie waren lädiert, schwer gezeichnet von den letzten Wochen, konnten nichts gegen ihre eigenen Fehler tun. Guus Til (56.) traf zum 2:1 für Eindhoven, es folgte ein Doppelpack durch Couhaib Driouech (73/90+1).
"Diese Team hat ganz, ganz große Probleme"
An der Seitenlinie stand Arne Slot. Er wurde mit jedem Gegentreffer kleiner, wischte sich durchs Gesicht, doch das Unglück blieb. Sein Gegenüber Peter Bosz grinste vor Glück. Auf dem Platz war Eindhoven nicht mehr zu halten. Driouechs zweiter Treffer am Abend ließ sie vollkommen eskalieren. Slot schlich mit versteinerter Miene vom Platz.
In der Champions League steht Liverpool mit neun Punkten aus fünf Spielen noch im Verfolgerfeld der ersten Acht, der Einzug in die Playoffs dürfte den Reds noch gelingen. Jedoch beträgt ihr Vorsprung auf Rang 25, dem Platz unter der Linie, bei drei verbleibenden Partien nur noch drei Punkte. Viele Ausrutscher dürfen sie sich nicht mehr erlauben.
In der englischen Premier League jedoch zeichnet sich das Bild des Grauens noch deutlicher. Dort stehen sie auf dem zwölften Tabellenplatz, sogar hinter dem Lokalrivalen FC Everton. Mit ihren sechs Saisonniederlagen nach zwölf Spielen stehen sie in einer Linie mit den Blackburn Rovers (1995/1996) und Leicester City (2016/2017), die als Meister ähnlich schlecht in die Saison starteten. Am Wochenende reisen die Reds zum Füllkrug-Klub West Ham United.
Eine Niederlage dort würde die Krise in Liverpool nur verschärfen. Obwohl Krise? Davon wollte zumindest Klub-Legende Steven Gerrard nach dem Spiel nichts wissen. "Ich glaube, das ist noch keine", sagte er bei TNT. "Das ist ein großes Wort. Aber es gibt keine Entschuldigungen für eine Leistung wie heute. Es lässt sich nicht mehr verheimlichen: Dieses Team hat ganz, ganz große Probleme, sie haben einen unfassbaren Negativ-Lauf und ihr Selbstvertrauen ist auf einem Allzeittiefpunkt." Kein Wunder bei der schlechtesten Serie seit 71 Jahren.