"Trainer sind nicht blind" Flick bittet Matthäus um Geduld
04.09.2021, 15:10 Uhr
Hansi Flick bittet um Geduld.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Flick-Debüt gegen Liechtenstein erinnert an die bleierne Zeit unter Joachim Löw. Der neue Bundestrainer bekommt direkt Gegenwind. Seinen Kritikern antwortet er mit einer Bitte um Geduld und einem Vier-Punkte-Plan für die Nationalmannschaft. Er sagt: "Das braucht seine Zeit."
Hansi Flick hatte was zu sagen. Nach dem 2:0 gegen Liechtenstein blieb, wir erinnern uns, wenig von der Aufbruchsstimmung übrig. War im Vorfeld nur über die Höhe des Sieges spekuliert worden, hagelte es im Anschluss wieder Kritik. Vorneweg marschierte RTL-Experte Lothar Matthäus, der kaum ein gutes Haar an dem Auftritt in St. Gallen lassen wollte. "Schade für die Zuschauer", hatte der 60-Jährige gesagt: "Alle haben mehr erwartet. Viel, viel Arbeit liegt noch vor uns." Als Antwort präsentierte der Neu-Bundestrainer einen Vier-Punkte-Plan.
Denn die Kritik wollte Flick so nicht auf sich und der Mannschaft sitzen lassen. Er stellte sich mit breiten Schultern vor sie, ließ alles an sich abprallen und erklärte geduldig. Noch bevor ihm auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Armenien am Sonntag (20.45 Uhr/RTL und im Liveticker auf ntv.de) die erste Frage gestellt werden konnte, holte Flick aus. "Was mir wichtig ist", setzte er an: "Wir Trainer, wir sind nicht blind. Wir sind auch nicht dazu da, die Dinge schönzureden. Wir können, gerade nach einem 2:0 gegen Liechtenstein, was die Torausbeute betrifft, nicht zufrieden sein."
Daran will Flick arbeiten
Aber, und das war das große "Aber", das sei jetzt am Anfang der neuen Zeit nicht die oberste Priorität. Zu viele Baustellen gilt es für das neue Trainer-Team aktuell zu bearbeiten. Zu viele für zu wenig Trainingseinheiten. "Am Beginn eines Weges", erklärte Flick, "sind aber für einen Trainer andere Dinge entscheidend." Und dann legte er los. Sprach von dem "Einsatzwillen" und der "Einsatzbereitschaft", die die Mannschaft gegen Liechtenstein gezeigt habe. Nach wenigen Trainingseinheiten. "Das braucht seine Zeit", sagte Flick. Dann präsentierte er seinen Vier-Punkte-Plan für die nähere Zukunft. Es geht nicht um Marketing, es geht nicht um Sachen außerhalb des Platzes. Das ist für Flick nicht wichtig. Er arbeitet Fußball. Das ist, was er mag und das ist, wofür er zum DFB gekommen ist. All die andern Sachen interessieren ihn, zumindest öffentlich, nicht.
Bei den kommenden Länderspiel-Runden, erklärte Flick, gehe es um die "Positionierung" der Spieler, die ihren Platz auf dem Feld finden und den Raum dort erkennen soll. Der nächste Schritt: Das "Passspiel" und die Frage, wohin der Ball soll. In den Rücken? "Nicht immer nur", sagte Flick. Ein guter Gedanke, der mit Punkt drei, der "Präzision" zu tun hat. Bei den Pässen und beim Torabschluss. Schlussendlich noch die "Überzeugung", die irgendwann abhandengekommen sei und im Abschluss gegen Liechtenstein gefehlt habe. "Das sind die Dinge, an denen wir arbeiten."
Probleme mit Sané? Unsinn!
Stück für Stück und mit einem durchaus wohlwollenden Spielplan. Nach dem Auftakt gegen Liechtenstein und dem Spiel gegen Armenien geht es zum Abschluss nach Island und somit zu einem Team, das abseits des Platzes momentan für viel Unruhe, auf dem Platz aber für wenig Aufregung sorgt. Die Rädchen können langsam ineinandergreifen. Flick, auch bei den Bayern einst kein Schnellstarter, kann seine Fußball-Idee langsam auf das neue Team übertragen. Die Mannschaft ist ebenfalls voller Optimismus. "Wenn die Abläufe klarer werden", sagte Timo Werner, der gegen Liechtenstein traf, sonst aber wenig in Erscheinung trat, "wenn die Abläufe klarer werden, wird auch vor dem Tor die Klarheit und die Konsequenz wieder besser sein." Positionierung, Passspiel, Präzision, Überzeugung. So soll es sein.
All das zeigte im Liechtenstein-Spiel der oft gescholtene Leroy Sané, der nicht nur ein Tor schoss, sondern auch zum Vorbild für das restliche Team wurde. In einer Videositzung. Dort gab es eine Szene nach einem Ballverlust Sanés in der zweiten Halbzeit zu sehen. Der Bayern-Flügelspieler hatte den Ball direkt zurückerobert und all die Dinge gezeigt, die manch Kritiker bei ihm so oft vermisst. Flick übrigens zählt sich nicht dazu. "Wenn er so spielt, ist alles gesagt, dann sind wir super happy", sagte er und wischte Berichte über angebliche Probleme mit Sané während der Münchener Zeit als "Unsinn" beiseite.
Radio Müller wird geehrt
Beim Spiel in Stuttgart werden auch die Zuschauer wieder zurückkehren. 18.000 Tickets wurden an die Fans der Nationalmannschaft als Freikarten verteilt. Die Menschen griffen schnell zu, können sich vor dem Spiel sogar noch impfen lassen und dann Hansi Flick etwas bescheren, was er als Chef-Trainer kaum kennt: Eine Kulisse! Absolvierte er doch den größten Teil seiner Zeit bei den Bayern unter klinischen Corona-Bedingungen, ohne Zuschauer, dafür aber mit "Radio" Müller als Lautsprecher auf dem Platz.
"Wir können uns alle darauf freuen", sagte er über die langsam rückkehrenden Fans, unter denen sich auch Thomas Müller befinden wird. Der Bayern-Star war bekanntlich mit einer kleineren Verletzung von der Nationalmannschaft abgereist, kehrt nun aber für eine Ehrung zurück. Er hat 100 Länderspiele absolviert, sogar schon mehr. Genaugenommen absolvierte er sein Jubiläums-Spiel bereits im November 2018, gegen die Niederlande. Aber dann kam sein Ende unter Löw, die Pandemie, Müllers Rückkehr vor der EM und erst jetzt auch die der Fans. Manchmal dauern Dinge länger. Auch die Umsetzung eines Vier-Punkte-Plans.
Quelle: ntv.de, sue