"Niemals 2. Liga"? HSV-Sieg ist nur ein Hoffnungsschimmer
04.02.2017, 07:43 Uhr
(Foto: picture alliance / Axel Heimken/)
War das die große Wende oder ein Strohfeuer? Der Sieg des HSV mag zuversichtlich stimmen. Doch der nächste Einbruch könnte schnell folgen. Das verraten Blicke in die Vergangenheit - und auf den Spielplan.
Die Euphorie ist groß, der Jubel beim Abpfiff ohrenbetäubend. Die Fans des Hamburger SV feierten den 1:0 Sieg gegen Bayer 04 Leverkusen voller Begeisterung. Außenstehende hätten am Freitagabend glauben können, der Klassenerhalt wäre bereits sicher. "Niemals 2. Liga", sangen die Anhänger in der Nordkurve. Auch Jens Todt war die Erleichterung anzusehen: "Heute war alles da, was man braucht, um im Abstiegskampf zu bestehen. Das war eine kompakte und aggressive Teamleistung."
Zum ersten Mal durfte der Sportchef ein positives Ergebnis analysieren. Vor zwei Wochen musste er noch erklären, warum sich der HSV mit unnötigen Platzverweisen immer wieder selber schwächt. Die Hanseaten verloren gegen Wolfsburg in Unterzahl mit 0:1. Noch schlimmer der Auftritt vergangenen Samstag gegen den FC Ingolstadt: Die Norddeutschen gingen mit 1:3 regelrecht unter. Viele Experten schrieben den HSV ab. "Vielleicht ist im Februar schon alles vorbei", sagte Stefan Effenberg dem NDR.
Er vergaß offenbar, dass die Hamburger die Überlebenskünstler der Bundesliga sind. Wann immer der HSV am Boden liegt, drehen sie richtig auf. Plötzlich gehen sie voller Leidenschaft in jeden Zweikampf, laufen den Gegner in Grund und Boden und ziehen den Kopf so aus der Schlinge. "Wir müssen jetzt jede Woche so ein Gesicht zeigen", sagt Nicolai Müller. Das klingt einerseits löblich, andererseits unwahrscheinlich. Konstanz ist in Hamburg ein Fremdwort. Kaum hat der HSV den Kopf aus der Schlinge gezogen, kehrt der Schlendrian ein.
Hoffnungsschimmer Heimstärke
Der ehemalige Sportdirektor Oliver Kreuzer sagte einmal bei Sky 90: "Bereits zu meiner Zeit folgte nach einem guten Spiel meist ein schlechtes. Wir haben dafür nie eine Erklärung gefunden." Ist es vielleicht ein Mentalitätsproblem? Neigen die Hamburger, die sich noch heute in den großen Erfolgen der früheren Jahrzehnte sonnen, zur Selbstzufriedenheit? Markus Gisdol spielt das Problem herunter: "Außer den ersten beiden Mannschaften in der Bundesliga ist kein Team dazu in der Lage, konstant 15 oder 20 gute Spiele zu machen."
Was er nicht sagt: Noch in diesem Monat droht der nächste Einbruch. Denn die ersten beiden Mannschaften der Bundesliga, die Gisdol als so konstant bezeichnet, zählen zu den nächsten Gegnern. Die Hamburger müssen auswärts bei RB Leipzig und beim FC Bayern München antreten. Dazwischen findet ein Heimspiel gegen den SC Freiburg statt. Selbst die gelten als Angstgegner: Nur eines der letzten acht Aufeinandertreffen gewann der HSV. Niederlagen kann sich der HSV eigentlich nicht leisten. Gegen Wolfsburg und Ingolstadt wurden bereits genug Punkte verschenkt. Dabei wollte der HSV gerade gegen die direkten Konkurrenten punkten.
Mergim Mavraj (vorne) versucht gegen Torhüter Bernd Leno von Bayer Leverkusen ein Tor zu erzielen.
(Foto: picture alliance / Axel Heimken/)
Hoffnung macht immerhin die wiedergewonnene Heimstärke. Die letzten drei Spiele vor eigenem Publikum wurden gewonnen. Acht weitere Partien im Volksparkstadion folgen noch. Hinzu kommt das Pokalspiel am Dienstag gegen den 1. FC Köln. "Wenn man noch so viele Heimspiele hat, muss man dort zuschlagen und die Punkte holen", sagt Gisdol. Auch spielerisch gibt es genügend Aspekte, die dem Trainer Mut machen. Das neue Innenverteidiger-Duo Mergim Mavraj und Kyriakos Papadopoulos sorgt für Sicherheit. Torwart Rene Adler ist wieder fit. Auch die Außenspieler Nicolai Müller und Filip Kostic sind in guter Form.
Der Sieg gegen Bayer war nur der Anfang
Die Schwachstelle bleibt aber das defensive Mittelfeld. In der Hinrunde musste Gisdol dort teilweise zwei Außenverteidiger auflaufen lassen. Der Kader ist in der Zentrale einfach zu dünn besetzt. Fraglich ist, ob Walace das Problem lösen kann. Kurz vor Transferschluss holte der HSV den defensiven Mittelfeldspieler an die Elbe. Eigentlich wurde ein deutschsprachiger und bundesligaerfahrener Spieler gesucht, der sofort helfen kann. Stattdessen kam für über 9 Millionen Euro ein Brasilianer, der noch nie in Europa gespielt hat und kein Deutsch spricht. "Er kann nicht auf einen Schlag unsere gesamte Problematik beheben", weiß Gisdol. Das wäre aber notwendig, um in Leipzig oder Bayern zu bestehen.
Auf der Geschäftsstelle wird längst für die 2. Bundesliga geplant. Dazu ist der HSV sogar verpflichtet: Im Lizenzierungsverfahren muss bis zum 15. März ein Etat für die 2. Liga aufgestellt werden. Eine schwierige Aufgabe, wenn man mit rund 75,1 Millionen Euro in den roten Zahlen steckt. Zweitklassig würde die Situation erst richtig dramatisch werden: Fernseh-, Sponsoren- und Ticketeinnahmen würden rapide sinken - nicht jedoch die Spielergehälter. Über 50 Millionen Euro streichen die HSV-Profis im Jahr ein.
Viele abstiegsgefährdete Vereine gestalten die Verträge so, dass die Spieler im Falle des Abstiegs weniger verdienen. Nicht aber der HSV. Laut "Sport Bild" gelten alle Verträge unverändert auch in der 2. Bundesliga. Offenbar hat niemand mit einem Abstieg gerechnet. Unverständlich: Befindet sich der HSV innerhalb der letzten sechs Spielzeiten doch bereits zum vierten Mal im Abstiegskampf. Sämtliche Leistungsträger müssten verkauft werden, um Liquidität herzustellen – notfalls weit unter dem Marktwert.
Immerhin bleiben noch 15 Spieltage Zeit, um das Unheil abzuwenden. Der Sieg gegen Leverkusen kann nur der Anfang gewesen sein.
Quelle: ntv.de