Fußball

Bosse würgen wilde Debatte ab Hansi Flick darf machen, was er für richtig hält

Mächtig unter Druck: Hansi Flick.

Mächtig unter Druck: Hansi Flick.

(Foto: dpa)

Die Nationalmannschaft spielt seit Monaten im Krisenmodus. Die vergangenen Spiele gegen die Ukraine und in Polen haben die Kritik an Bundestrainer Hansi Flick massiv wachsen lassen. Die Bosse verteidigen den Coach und dessen Plan. Nun geht es gegen Kolumbien.

Hansi Flick hatte in den vergangenen Tagen nicht dazu beigetragen, die Menschen ins Stadion zu locken und die DFB-Elf anzufeuern. Den Länderspiel-Dreierpack, der am Dienstagabend in Gelsenkirchen gegen Kolumbien (ab 20.45 Uhr bei RTL und im ntv.de-Liveticker) das Ende findet, mag der Bundestrainer intensiv nutzen, um Dinge auszuprobieren. Erst ab September, wenn die Saison läuft und damit auch der Countdown für das angepeilte Sommermärchen Reloaded, beginne für ihn die entscheidende Phase. In diese schleppt Flick allerdings eine zunehmend schwere Hypothek mit hinein. Die Zweifel an seinem Plan wachsen, die Diskussionen wuchern.

Sorge um seinen Job muss der Bundestrainer nicht haben. Entgegen aller angestoßenen Debatten um mögliche Nachfolger, sogar DFB-Direktor Rudi Völler wurde als Retter des deutschen Sorgenkinds genannt (obwohl er den Job des Trainers seit 18 Jahren nicht mehr ausgeübt hat), stehen die Bosse des DFB zu Flick. Völler etwa lobte den Chefanleiter am Wochenende gleich mehrfach als "absoluten Toptrainer". Und natürlich werde Flick bleiben. "Das steht nicht zur Debatte." Völler rückversicherte sich noch auf dem Rückflug aus Warschau, wo die DFB-Elf am Freitag mit 0:1 unterlegen war, bei Präsident Bernd Neuendorf und telefonierte am Samstag lange mit DFB-Vize Hans-Joachim Watzke. Die allgemeine Einschätzung: Flick bleibt bis zur Heim-EM, komme was wolle.

"Das ist ein normaler Vorgang"

Die Situation sei "das Schicksal eines Trainers", bekannte Völler. Da müsse man "ein bisschen etwas aushalten können". Sein Eindruck: "Das kann der Hansi auch." Hinwerfen werde er nicht. Der sich in seiner Argumentation oft wiederholende Weltmeister von 1990 ist von Flicks Masterplan für ein starkes Heim-Turnier überzeugt. Die taktischen und personellen Experimente werden toleriert. Die Hoffnung des DFB-Direktors: "Qualität wird sich am Ende durchsetzen." Daher sei er lieber "Sportdirektor von unserer Mannschaft als Sportdirektor von Polen".

Wegen der jüngsten Ergebniskrise "direkt das Ende des Abendlandes auszurufen, ist völlig überzogen", sagte DFB-Präsident Neuendorf am Sonntagabend im ZDF. "Ich erlebe ihn (Anmerk. d. Red.: Flick) und sein Trainerteam am Campus, da sieht man, wie akribisch und sorgfältig sie arbeiten, dass sie sich Gedanken machen." Die personellen und taktischen Experimente ein Jahr vor der Heim-EM müsse man dem Coach zugestehen. "Das ist ein normaler Vorgang", meinte Neuendorf. "Wenn er Dinge ausprobiert, ist das keine Ratlosigkeit, das ist das Ringen darum: Wie kriegen wir die beste Mannschaft auf den Platz?" Dass Flick mit Blick auf die Endrunde in zwölf Monaten die Zeit weglaufe, verneinte er: "Wir sind noch ein Jahr weg!"

Allzu viel sollte nicht mehr passieren, denn schon jetzt schrillen alle Alarmglocken rund um das Team. Die zarte Euphorie, die im Sommer 2021 aufgekommen war, als der 58-Jährige die Mannschaft übernommen und die am Ende zähe Ära von Joachim Löw beendet hatte, ist längst aufgefressen. Für viele Dinge, die Flick tut, fehlt vielen Fans das Verständnis. Wie ein wilder Professor experimentiert er. Seit Jahren wird darüber diskutiert, wer das Sturmproblem in Deutschland lösen kann. Die Top-Lösung, also die auf höchstem internationalen Niveau gibt es nicht. Dafür aber Niclas Füllkrug. Achtmal lief er für Deutschland auf, siebenmal hat er dabei getroffen. Das ist herausragend. Aber gesetzt ist der Stürmer von Werder Bremen, der in diesem Sommer womöglich vor einem Wechsel steht, aber nicht. Zumindest nicht immer.

Übernimmt jetzt İlkay Gündoğan?

Im Ringen um Stabilität und eine neue Achse in der Nationalmannschaft sammelt kaum ein Spieler derzeit mehr Argumente als der 30-Jährige. Aber gut, der September kommt erst noch und dann vielleicht endgültig die Zeit von "Lücke". Ein anderer Mann, der international für Begeisterung sorgt, aber in der Nationalmannschaft noch immer nicht seinen Platz gefunden hat, ist İlkay Gündoğan. Kaum zu fassen eigentlich: Bei Manchester City, der besten Vereinsmannschaft der Welt, ist er Kapitän, für Josep Guardiola tatsächlich unverzichtbar und nicht bloß eine Heldenerhebung ohne Substanz. Im DFB-Team aber pendelt er zwischen Platz und Bank. Joshua Kimmich, Leon Goretzka und jahrelang auch Thomas Müller waren auf den möglichen Positionen höher eingeschätzt.

In Gelsenkirchen nun, seiner Geburtsstadt, wird Gündoğan von Beginn an spielen. Ein Hoffnungsschimmer für diese Mannschaft, die sich zwar bemüht, aber immer wieder fatale Fehler macht und ohne Tempo und Ideen durch die vergangenen Monaten taumelt. Vom peinlichen WM-Aus in Katar hat sich das DFB-Team nie erholt. Und für Flick gilt sogar: Er hat große Teile seines Vertrauens verspielt, wirkt bisweilen ratlos. Was er natürlich negiert. Negieren muss. Und so muss er aushalten, dass die personellen Entscheidungen immer vehementer diskutiert werden. Bestes Beispiel: Niklas Süle. In der Abwehr gibt es außer Antonio Rüdiger keine Konstante - und keine zuverlässigen Alternativen. Süle aber liefert seit Jahren. Ihn abzustrafen, weil er sein Potenzial nicht ausschöpfe (was vermutlich auch etwas mit seiner Ernährung zu tun hat), wirkt angesichts der teilweise dicken Patzer der Konkurrenten reichlich unangebracht.

Auch an anderen Ecken entbrennen wilde Diskussionen. Thomas Müller steht offenbar vor einer Rückkehr, um Mats Hummels gibt es zumindest Spekulationen. Erneuter Abbruch des Umbruchs? Und Experten wie Bastian Schweinsteiger bringen sogar ins Gespräch, sich bei der Nominierung nicht nur auf die fußballerische Klasse zu konzentrieren, sondern auch verstärkt Mentalitätsspieler zu nominieren. Spieler, die vor Stolz platzen, für die Nationalmannschaft zu spielen, die jeden noch so schmerzhaften Meter gehen. Spieler wie Füllkrug eben, wie es Rani Khedira von Union Berlin wäre.

In Bremen pfeifen die Menschen schon

Mehr zum Thema

Aber gut, Flick experimentiert auf seine Weise. Beim Personal. Beim System. Da ist die Dreierkette. Er möchte, dass die Mannschaft auch diese Variante beherrscht, um flexibler zu sein. Bislang ist das Experiment gescheitert. Und nichts deutet darauf hin, dass der Trainer einer erfolgreichen Lösungsformel dicht auf der Spur ist. Dieses Try-and-Error-Prinzip (viel Try, noch mehr Error) führt dann bisweilen zu Pfiffen, wie zuletzt beim 3:3 gegen die Ukraine in Bremen. Dem Team mangelt es an Überzeugung und Automatismen. Die jüngsten vier Siege gelangen gegen eine italienische B-Elf, den Oman, Costa Rica und Peru. Eine bittere Wahrheit über den Zustand des Teams.

Die Sorge bei den teils verunsicherten Spielern scheint derweil deutlich größer als bei den Verantwortlichen. "Die Lage ist todernst", sagte Robin Gosens. Antonio Rüdiger vermisste im Warschauer Nationalstadion gegen einen in seinen Mitteln beschränkten Gegner "die letzte Gier". Joshua Kimmich mahnte. "Bei anderen Nationen, die die letzten Turniere gewonnen haben, da war es nicht so, dass die in der Vorbereitung auf das Turnier angefangen haben, guten Fußball zu spielen", sagte Kimmich: "Die haben es geschafft, sehr viele Spiele zu gewinnen." Und beginnt die entscheidende Phase nun vielleicht doch schon in Gelsenkirchen: "Am Dienstag", betonte Völler, "ist es kein Freundschaftsspiel. Wir müssen den Menschen zeigen, dass sie auf uns bauen können."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen