Demnächst wird alles besser DFB-Elf rast zur nächsten Sternstunde der Bedeutungslosigkeit
17.06.2023, 10:30 Uhr
Hansi Flick und Joshua Kimmich sind in etwas, was mehr als eine Krise ist.
(Foto: picture alliance/dpa)
Beim zweiten Sommer-Länderspiel zeigt die DFB-Elf in der zweiten Halbzeit bei den zweitklassigen Polen einige gute Ansätze. Ein Tor will jedoch nicht fallen. Das Spiel geht verloren. Doch das ist nicht so schlimm. Denn in der Zukunft wird alles besser. Versprochen.
Immerhin Superstar Robert Lewandowski gab der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach dem 0:1 (0:1) in Polen noch ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg. "Deutschland hat noch Zeit bis zur EM. Man muss geduldig bleiben. Deutschland wird besser spielen", sagte der Kapitän der polnischen Auswahl in Warschau. Es waren wahre Worte des ehemaligen Bayern-Spielers. Denn es geht kaum noch schlechter. Wieder einmal blieb das DFB-Team nicht ohne Gegentor, wieder einmal konnte übermäßiger Ballbesitz nicht in Tore verwandelt werden, wieder einmal haderte die Mannschaft später mit den vergebenen Chancen. Mal war da Torhüter Wojciech Szczesny und mal war da die Latte. Irgendwas war immer.
"In der zweiten Halbzeit sind wir besser ins Spiel gekommen. Wir hatten viele Chancen, Szczesny hat richtig gut gehalten. Vielleicht fehlt uns da auch das Quäntchen Glück", analysierte Bundestrainer Hansi Flick im Anschluss und versicherte erneut, dass alles gut werden wird. Nur eben gerade nicht. "Es gibt Phasen, die dann so verlaufen. Aber wir werden da rauskommen. Ich bin absolut von unserem Weg überzeugt. Ich kann der Mannschaft das Engagement nicht absprechen."
Rudi Völler füllt Bierhoffs Rolle gut aus
Das immer engagierte DFB-Team hat nun nur vier der letzten 15 Spiele gewinnen können. In dieser Länderspiel-Saison gelangen nur gegen den Oman, Costa Rica und Peru Siege, allesamt Federgewichte des internationalen Fußballs. Auch der halbherzige Neuanfang nach dem katastrophalen, imageschädigenden Auftritt bei der WM in Katar ist längst verpufft. Rudi Völler, der öffentlich starke Mann beim DFB, gelang es innerhalb eines halben Jahres, seine Popularitätswerte auf Oliver-Bierhoff-Niveau abzukühlen.
"Wir möchten, dass das ganze Land hinter dem Turnier steht. Viele haben noch gar nicht begriffen, welch eine Riesennummer die EM werden wird, ähnlich wie 2006, unser Sommermärchen", ordnete Völler in dieser Woche im "Stern" eine nationale Euphoriewelle an. Politik, Fans, Wirtschaft - alle müssen sich hinter der Nationalmannschaft vereinen. Wieso das passieren sollte, wurde dabei nicht ganz klar.
Auch Hansi Flick rettete sich in eine Alternativrealität. Joshua Kimmich, fabulierte er, habe die Einstellung eines Kobe Bryant oder eines Michael Jordan. Kritik an den Spielern sei daher nicht erlaubt, nur an ihm. Es waren Maßregelungsversuche, die einer verdutzten Öffentlichkeit präsentiert wurden. Die hatte sich da gerade noch gewundert, wie der DFB-Trainer sich ohne Not BVB-Verteidiger Niklas Süle herauspickte und ihn öffentlich an den Pranger stellte. Nicht nur Borussia Dortmund reagierte überrascht, auch DFB-Verteidiger Toni Rüdiger konnte sich auf die Ausbootung keinen Reim machen.
Julian Brandt warnt vor Trägheit
Die Öffentlichkeit jedoch wendet sich zunehmend von der Mannschaft ab, weiß teilweise nicht einmal mehr, dass ein Länderspiel stattfindet. Drei sind es in diesen Wochen nach dem Ende einer langen Saison. Auf das erstolperte 3:3 gegen die Ukraine folgte nun das 0:1 in Polen. Am Dienstag erwartet das DFB-Team in Gelsenkirchen dann Kolumbien. Wieder wird Flick seine Mannschaft auf mehreren Positionen verändern, wieder wird er die Chance verstreichen lassen, seine Mannschaft für das kommende Jahr zumindest in Fragmenten zu finden. In seiner Heimat wird İlkay Gündoğan, das Herz des besten Klubteams der Welt, das Herz von Manchester City, wieder einmal eine Chance erhalten.
Von Gündoğan, der weiterhin keine zentrale Rolle im DFB-Team einnimmt, dürfte dann erwartet werden, eine vollkommen verunsicherte Mannschaft zu stützen. Eine Mannschaft, in der auch die verheißungsvollen Jungstars Kai Havertz, Florian Wirtz und Jamal Musiala viel zu selten an ihre Vereinsform heranreichen. Eine Mannschaft, die mit dem Adler auf der Brust immer wieder tief auf den Boden gedrückt wird. "Wir müssen sehen, dass wir nicht zu träge werden. Unser Spiel ist zu langsam, wir haben zu viele Kontakte", erklärte Julian Brandt nach der Pleite in Warschau. Diese Trägheit ist beim DFB-Team nun schon, mit der Ausnahme des WM-Spiels gegen Spanien, seit mindestens einem Jahr zu bewundern. Sie ist längst Teil der Vereinbarung.
Bald ist schon wieder Zukunft
"Die entscheidende Phase" beginne nun mit den Länderspielen im September, erklärte Flick nun. Da kommt es einmal zur WM-Revanche gegen Japan und dann wartet mit Frankreich noch ein echter Gigant des Weltfußballs. Nach allem, was bisher bekannt ist, wird auch dann wieder eine Wundertüte an wilden Ausreden und Durchhalteparolen mit dem DFB-Team anreisen. Denn darin liegt momentan die bewundernswerte Stärke des deutschen Fußballs. Alles ist immer ein Prozess. Alles wird und nichts ist. Die Zukunft leuchtet den Weg aus einer tristen Gegenwart, in der jeder Kick zu einer Sternstunde der Bedeutungslosigkeit wird. In der immer alles besser werden wird, wenn nur von außen endlich die Euphorie einsetzt. In der Hansi Flick strahlen wird, wie einst beim Pandemie-Turnier der Champions League in Lissabon. Die Vergangenheit war gut, die Zukunft wird überragend, da ist die Gegenwart egal.
Völlers verstörende Worte im "Stern"-Interview in dieser Woche, Flicks bizarre Vergleiche, die Durchhalteparolen nach all den Rückschlägen: Es sind Symptome einer zunehmenden Verzweiflung, hinter der sich nicht erst seit der Niederlage in Polen eine ganz andere, drängende Frage auftut: Wieso sollte sich überhaupt noch jemand für diese Nationalmannschaft interessieren? Eine überzeugende Antwort darauf kann aktuell niemand geben.
Quelle: ntv.de