
Enttäuschen bislang: Cuisance (l.) und Reese.
(Foto: IMAGO/Jan Huebner)
Hertha BSC. Seit Jahren eine Geschichte des Scheiterns. Dabei macht der Klub viel richtig. Jetzt gerät der Umbau des Klubs ins Stocken. Die Leistungen auf dem Platz stehen in einem eklatanten Gegensatz zur restlichen Stimmung. Die droht zu allem Überfluss zu kippen.
Vier Spiele, zwei Punkte, ein Tor. Die Saison der 2. Bundesliga hat kaum begonnen, da stürzt sich der große Aufstiegsfavorit Hertha BSC direkt voller Leidenschaft in die erste Krise. Krisen sind aus den vergangenen Jahren in Berlin wohlbekannt. Fußballvereine umarmen viel lieber Erfolge, da sind sie sehr menschlich. Aber manchmal sind Fußballvereine sehr einsam. Die Umarmungen des Erfolgs bleiben in der Regel aus. Hertha BSC ist einer dieser Vereine.
Und doch kommt diese erste Krise der Spielzeit 2025/2026 überraschend. Vor dem Auswärtsspiel bei Tabellenführer Hannover 96 (20.30 Uhr/RTL, Sky und im Liveticker auf ntv.de) ist die Lage angespannt. Der Klub aus dem Berliner Westend kann sich in den nächsten Wochen keine Fehltritte mehr erlauben, will er sich nicht frühzeitig von seinem Saisonziel Aufstieg verabschieden. Der Umbau des Vereins erreicht einen kritischen Punkt. Hertha BSC will zurück zum Spitzensport und tut sich schwer damit.
Nach dem 0:2 (0:1) gegen die SV Elversberg vor der Länderspielpause brach es aus den Fans in der Ostkurve des Olympiastadions heraus. Sie pfiffen lautstark und sprachen eine Einladung aus, die das Team nicht ablehnen konnte. "Wir haben jetzt zwei Wochen Zeit bis zum nächsten Spiel. Es gibt einen Mannschaftsrat, der meldet sich bei mir", bot Hertha-Capo Kreisel, das Gesicht der Kurve, den Spielern an: "Wenn ich nichts von Euch höre, ist das auch ein Zeichen." Der Vorsänger hörte von ihnen.
"Der Austausch ist erfolgt - auf Augenhöhe", sagt Verteidiger Toni Leistner bei RTL/ntv. "Es ist verständlich, dass nicht nur die Ultras unzufrieden waren, sondern auch alle anderen Fans im Stadion, weil einfach die Leistung bis dahin noch nicht gestimmt hat. Da kann man auch mal das Gespräch suchen. Die Fans haben das gesucht. Es war ein ganz angenehmes Gespräch trotzdem." Eines, das die Spieler wohl trotzdem lieber nicht geführt hätten. Sie mussten den Ärger aushalten, sich für ihre Leistung verantworten. "Die Stimmung", sagt Leistner, werde immer durch den Erfolg gesteuert. "Den gab es die letzten vier Spieltage nicht."
Vier Spieltage des Grauens
In der Tat waren die ersten vier Spieltage der Saison bei Hertha geprägt von der vollkommenen Abwesenheit eben jenes Erfolgs. Die Spielzeit begann mit einem 1:2 beim FC Schalke 04. Schon vor Anpfiff fingen die Kameras einen von der Kulisse in der ausverkauften Arena beeindruckten Fabian Reese ein. Wer genau hinschaute, konnte in diesem Moment in seiner Mimik ein Zweifeln erkennen.
Dann überrannten die schwächer eingeschätzten Gelsenkirchener die Hertha. Immer wieder attackierten sie besonders Marton Dardai. Der Sohn des ewigen Trainers Pal Dardai, derzeit nur Gast auf der Tribüne, war heillos überfordert, auch in den folgenden Spielen. Ihm folgten andere Spieler. Mittelfeldspieler Michael Cuisance zeigt bislang nur noch Spurenelemente seines Talents. Er findet sich im System nicht zurecht. Kapitän Reese, als Superstar in die Saison gestartet, sucht in der Offensive seinen Platz. Er findet kaum statt.

"Wir haben jetzt zwei Wochen Zeit bis zum nächsten Spiel. Es gibt einen Mannschaftsrat, der meldet sich bei mir."
(Foto: IMAGO/Matthias Koch)
Die Abgänge von Jonjoe Kenny, unermüdlicher Antreiber in der Defensive, von Ibrahim Maza, dem Diamanten in der Zentrale, und Derry Scherhant, Reeses Partner in der Offensive, schmerzen Hertha. Maza und Scherhant brachten dem Klub dringend benötigtes Geld, sie kosteten Qualität. Maza ging für 12 Millionen Euro nach Leverkusen, Scherhant für etwa 2 Millionen Euro zum SC Freiburg.
Kenny, Maza, Scherhant: Sportliche Verluste, die Hertha auf dem Weg zur finanziellen Stabilität hinnehmen muss. Der vor Jahren ausgerufene Berliner Weg ist mit solchen Rückschlägen gepflastert. Doch für die 2. Bundesliga sollte es reichen. "Wirtschaftlich haben wir den Rahmen vorgegeben, um sportlich erfolgreich zu sein", sagt Ralf Huschen, seit 2024 Geschäftsführer Finanzen. Hertha habe immer noch ein Top-Drei-Budget in der Liga.
"Wir haben einfach schlecht Fußball gespielt"
Für den sportlichen Erfolg ist Trainer Stefan Leitl verantwortlich. Der war im Winter 24/25 bei Hannover 96 rausgeflogen und hatte Hertha in der Rückrunde übernommen. Da stand der Klub nahe am Abgrund zur 3. Liga. Er führte Hertha weit weg davon, rein in das graue Mittelfeld der Liga. Dort glitzerte es schillernd. Deswegen brach im Sommer die Aufstiegseuphorie aus. Trotz der Abgänge. Auch weil die, die kamen, hoch geschätzt wurden - zum Beispiel: Stürmer David Kownacki von Werder Bremen, Paul Seguin von Schalke 04 oder der junge Maurice Krattenmacher, der im Sommer noch mit dem FC Bayern an der Klub-WM teilgenommen hatte.
Auf ein eingespieltes Team aber konnte Leitl sich aufgrund zahlreicher Verletzungen bislang nicht verlassen. Auf eine konstante Trainingsgruppe ebenfalls nicht. Immer wieder fallen Leistungsträger aus, immer wieder fallen Spieler für die Kadertiefe aus.
Die, die in den Spielen aufliefen, zogen das Spiel in die Breite, bauten langsam und beharrlich auf und kamen so nur selten in gefährliche Positionen. Schalke hatte direkt im ersten Spiel das Selbstvertrauen aus Hertha gespresst. Im Heimspiel gegen Elversberg gelang Neuzugang Maurice Krattenmacher eher zufällig in der 35. Minute ein erster Abschluss. "Wir haben einfach schlecht Fußball gespielt," sagt der Verteidiger Leistner. Das stimmt.
1:2 auf Schalke, 0:0 gegen Karlsruhe, 0:0 in Darmstadt, 0:2 gegen Elversberg. Die ersten vier Spiele waren ein herber Rückschlag für den Klub, der vor der Saison fröhlich in den Chor eingestimmt und sich ebenfalls zum Aufstiegsfavoriten deklariert hatte. Das dritte Jahr der Zweitklassigkeit soll das vorerst letzte Jahr im hart umkämpften Unterhaus des deutschen Profifußballs sein. So wunderbar die Bilder aus den gefüllten Stadien auf Schalke, in Berlin oder Dresden sind, die großen Vereine wollen alle nur raus. Nach oben natürlich. In Berlin ist das nicht anders. Der Klub hat sich nach dem Chaos der Windhorst-Jahre ausgeruht. Jetzt will er zurück ins Rampenlicht. Alle waren sich sicher, dass die Grundlagen dafür da sind.
"Es geht hier um Spitzenleistung"
Alles war gut vor dem ersten Ballkontakt in Berlin. Dann kam der verdammte Fußball. Wenn der nicht wäre, dann würde Hertha strahlen. In Berlin ist ein regelrechter Hype um Hertha ausgebrochen. Liebe kennt keine Liga. Liebe kennt Zugehörigkeit. Die hat Hertha vermittelt. Im sportlichen Niedergang haben sich viele neue Anhänger hinter den Verein gestellt. Die Trainingsjacken der Hertha sind nicht nur an Spieltagen im Stadtbild präsent. Der Verein hat sich über die Jahre neu erfunden. Die Zukunft gehört zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich der alten Dame.
Bei all den Bekenntnissen zum Berliner Weg, der das Ende der Big-City-Jahre bedeutete, hat der Klub offenbar jedoch bislang eine Sache vergessen: den Sport. Das soll sich jetzt ändern.

Peter Görlich macht sich auf die Suche nach dem verlorenen Spitzensport.
(Foto: IMAGO/Matthias Koch)
Kurzfristig mit einem Sieg im Spiel bei Hannover 96, dem beinahe schon enteilten Tabellenführer der 2. Bundesliga, und mittelfristig mit dem neuen Geschäftsführer Peter Görlich. Der war im Fußball zuletzt bei der TSG Hoffenheim tätig, hatte nach seinem Abschied dort eine Heimat im Gesundheitswesen gefunden. Er sagt Dinge wie: "Es geht hier um Spitzenleistung." Eine Erkenntnis, die dem Verein etwas abhandengekommen war. "Jeder", sagt Görlich als er Anfang September vorgestellt wird, sei eingeladen, dabei mitzumachen. Wer nicht mitmachen will, gibt auch eine Antwort, würde Kreisel, der Vorsänger aus der Ostkurve, wohl anfügen.
Hertha hatte sich nach all dem Größenwahn der Windhorst-Jahre zunächst abseits des Platzes erholen müssen. Vom Finanzdesaster, vom Chaos und von dubiosen Investoren. Erst im vergangenen Jahr hatten sich die Berliner auf einer turbulenten Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit hinter ihren Weg gestellt. Ein mühsamer, von viel Spott begleiteter Weg. Einer, der sich langfristig auszahlen soll. Einer, auf dem es zuletzt eben aber auch an Orientierung fehlte.
"Ich bin nur interessiert an Erfolg", sagt nun Görlich. Der war nach einem langen Rekrutierungsprozess erst Anfang September zur Hertha gestoßen. Vorher gab es Gerüchte um Oliver Kahn, um Ralf Rangnick und um den ehemaligen HSV-Mann Jonas Boldt. Sie blieben das: Gerüchte.
"Zukunft tut manchmal auch weh"
Der Verein in Form von Präsident Fabian Drescher schwieg. Drescher schweigt oft. Der Anwalt hält keine großen Reden. Das überlässt er anderen. Drescher sagt: "Wir müssen die Kirche im Dorf lassen." Der Präsident will in dieser ersten Krise des Jahres beruhigen, stellt sich hinter Trainer und Mannschaft, sagt, dass noch 90 Punkte zu vergeben sind. Trainer Leitl und Verteidiger Leistner sagen das auch. Drescher sagt: "Ein Scheiß-Saisonstart ist mir im Zweifel lieber, als dass wir auf der Zielgeraden stolpern würden." Die Aufstiegsträume sind noch nicht ausgeträumt.
Auch nicht bei Görlich, für den der Aufstieg zudem eine Abkürzung auf dem Weg zur weiteren Konsolidierung des Vereins ist. Der Verein kann sich finanziell immer noch nicht strecken. Der Aufstieg, sagt Finanzgeschäftsführer Huschen, sei trotzdem keine Pflicht. Schön wäre er trotzdem. Das weiß auch Görlich, der über den Fehlstart sagt: "Wir wissen um die Situation. Wir können das jetzt ganz fürchterlich und schrecklich finden." Das aber wolle er nicht tun. "Wir haben immer noch gute Spieler." Man müsse Spitzenleistung einfordern im gesamten Verein, dann habe man eine Aufbruchsstimmung. "Zukunft tut manchmal auch weh", sagt er noch: "Aber wir können nur die Zukunft gestalten."
Bei einer Niederlage in Hannover wäre die Gegenwart schon schmerzhaft genug. Früh in der Saison geht es für Hertha in Hannover um mehr als nur drei Punkte. Die Entwicklung des Klubs hat einen entscheidenden Punkt erreicht. Euphorie ist endlich.
Quelle: ntv.de