Fußball

Aufstiegsrausch vor Rekordkulisse Hertha verzückt die Hauptstadt

Kleine Bühne im großen Stadion: Hertha BSC, Zweitligameister 2011.

Kleine Bühne im großen Stadion: Hertha BSC, Zweitligameister 2011.

(Foto: REUTERS)

Fußball wird auch gespielt, doch um Fußball geht es beim großen Saisonfinale der 2. Fußball-Bundesliga zwischen Meister Hertha BSC und dem Zweiten FC Augsburg nur am Rande. Die 77.116 Zuschauer sind gekommen, um Rekordspieler Pal Dardai und fußballerische Zweitklassigkeit mit einer großen Sause aus Berlin zu verabschieden.

In guten wie in schlechten Zeiten: Im Gegensatz zu ihrem Verein sind die Hertha-Fans in der Ostkurve immer erstklassig.

In guten wie in schlechten Zeiten: Im Gegensatz zu ihrem Verein sind die Hertha-Fans in der Ostkurve immer erstklassig.

(Foto: dapd)

Berliner gelten unter Zugereisten als kauzige Zeitgenossen. Nette Blicke in öffentlichen Verkehrsmitteln sind so selten wie die S-Bahn zuverlässig ist. Was sich am Sonntag auf der Strecke vom Ostkreuz zum Olympiastadion in den Waggons der S7 abspielte, kann man deshalb getrost als Mai-Revolution bezeichnen. Fast jeder Fahrgast hatte ein Lächeln auf den Lippen, vor allem, wenn er Blau-Weiß trug. Berlin war ein Freudenhaus, und der Grund war eine alte Dame: Die Hertha ist seit zwei Wochen wieder erstklassig und seit letzter Woche auch Zweitliga-Meister. Das Duell mit dem FC Augsburg ist offiziell das letzte Heimspiel der Saison. Tatsächlich ist es einfach eine große Party.

Die Dimension der großen Sause offenbart ein Blick ins Olympiastadion. Es ist voll bis unters Dach, am Marathontor wurde eine Extra-Tribüne errichtet. Genau 77.116 Zuschauer sind gekommen, neuer Rekord in Liga zwei. Sie bilden ein blau-weißes Meer, und dieses Meer singt und jubelt. Die rund 7000 Augsburger Fans in der Gästekurve, die als einzige im Stadion Rot-Grün statt Blau-Weiß tragen, feiern einfach mit. Augsburg ist seit letzter Woche schließlich ebenfalls erstmals in der Vereinsgeschichte aufgestiegen, sportlich geht es in Berlin um nichts mehr. Deshalb gibt es das Highlight des Nachmittags schon vor dem Anpfiff.

"PAAAL!",  "DAAARDAIII!!!!"

"Pal", brüllt der Stadion Sprecher mit kratziger Stimme dreimal ins Mikrofon, "Dardai", brüllt das Stadion aus einer Kehle zurück. Ohrenbetäubend und mit einem Blumenstrauß verabschiedet Hertha seinen Rekordspieler, eine Berliner Ikone. In seiner ersten Hertha-Saison 1996/97 stieg der Ungar mit dem Team prompt auf. Als er am Sonntag, 15 Jahre und 285 Spiele später, ein letztes Mal das blau-weiße Trikot überstreifte, schloss sich für ihn ein Kreis. Und wäre das Tor an diesem Tag ausnahmsweise drei Meter höher als normal gewesen, hätte sich Dardai, stets mehr Fußballarbeiter als Künstler, sogar mit einem Treffer verabschiedet. Die Fans feiern seine vergebene Chance trotzdem frenetisch, sie ist der erste Höhepunkt von ersten 40 Minuten, die feierlich stimmig sind und spielerisch dröge.

Hommage an Pal Dardai: Hertha-Fans verabschieden sich mit einem Transparent vom Berliner Rekordspieler.

Hommage an Pal Dardai: Hertha-Fans verabschieden sich mit einem Transparent vom Berliner Rekordspieler.

(Foto: dpa)

Der zweite ist Dardais Auswechslung in der 42. Minute, als ihm Hertha-Coach Markus Babbel einen heldenhaften Abgang beschert. Dardai verlässt den Rasen unter stehendem Beifall, dann macht er sich mit seinem Sohn auf den Schultern auf zu seiner persönlichen Ehrenrunde. Eine Szene, die Augsburgs Keeper Simon Jentzsch so sehr rührt, dass er nur zwei Minuten später eine Hertha-Flanke unterläuft und Pierre-Michel Lasogga das 1:0 für Berlin ermöglicht, den dritten Höhepunkt vor dem Pausenpfiff.

Babbel feiert im Trainingsanzug

Hertha-Coach Babbel, eigentlich einer der modebewussteren Vertreter der Trainerzunft, hatte seinen feinen Zwirn gegen den Jogginganzug und professionelle Sachlichkeit gegen die Lockerheit eines Aufstiegscoaches getauscht. Schon vor dem Anpfiff trägt er das Hertha-Meisterschafts-Shirt und wirkt, als hätte er eine Woche lang gefeiert, dass die Berliner unter seiner Führung den Betriebsunfall 2. Liga mit Stil wieder ausgebügelt haben.

Neun Punkte Vorsprung weist die Zweitligabelle nach 34 Spielen für Meister Hertha auf den Zweiten FC Augsburg aus, weil der beim Saisonfinale in Berlin zwar durch Stephan Hain (60.) noch ausgleicht, durch ein Elfmetergegentor von Herthas Lewan Kobiaschwili (74.) aber doch noch mit 1:2 verliert.

Der neue Berliner Weg

Bier und Babbel, das passt und findet im Olympiastadion zusammen.

Bier und Babbel, das passt und findet im Olympiastadion zusammen.

(Foto: dpa)

Was rein statistisch souverän und dominant aussieht, war nicht immer leicht. Verletzungspech, Schwächephasen und eine bittere Heimniederlage im Derby gegen Union Berlin begleiteten Hertha durch eine Zweitligasaison, die nicht nur für Pal Dardai die letzte gewesen sein soll. Doch der Wille, Erstligafußball zurück in die Hauptstadt zu holen, wog schwerer als jeder Rückschlag.

Die Architekten des Erfolgs, Coach Babbel und Manager Michael Preetz, planen schon fleißig das Projekt Erste Liga. Die Personalplanung läuft auf Hochtouren. Mit Thomas Kraft (vom FC Bayern) und Tunay Torun (Hamburger SV) wurden bereits junge Talente verpflichtet, die ebenso einschlagen könnten wie in dieser Spielzeit Pierre-Michel Lasogga. Der 19-Jährige, von Bayer Leverkusen II geholt, steht mit 13 Toren in 25 Spielen sinnbildlich für den neuen Berliner Weg, der große Talente großen Namen vorzieht.

In Berlin sind wieder Leute am Werk, die ihr Handwerk ganz offensichtlich verstehen und aus Fehlern gelernt haben. Wird der neue Weg konsequent fortgesetzt, wird man sich auf lange Zeit von Liga zwei verabschieden müssen. Traurig wäre darüber niemand. Das Schlimme an entrückend schönen Aufstiegsfeiern ist ja für einen Klub mit Herthas Ambitionen, dass man zuvor abgestiegen sein muss.

"Entschuldigen Sie, wir müssen jetzt feiern"

Das unerwünschte Gastspiel in Liga zwei hat den Berlinern immerhin den ersten Meistertitel seit 1931 beschert. Dass Mittelfeldspieler Patrick Ebert den wie eine Autofelge anmutenden Pokal eine "hässliche Schale" genannt hat, hindert die Deutsche Fußball-Liga (DFL) nicht an einer detailgenau festgelegten Übernahmezeremonie, tonnenschwere Bühnenkonstruktion auf empfindlichem Rasen inklusive. 15.30 Uhr notieren die Chronisten als Zeitpunkt, an dem Hertha-Kapitän Andre Mijatovic die Schale in den Himmel reckt und mit der Stimmung auch der Ausstoß zweier Konfettikanonen seinen Höhepunkt erlebt.  

Autofelge für die Aufstiegshelden: Herthas offizieller Lohn für die erfolgreiche Mission Wiederaufstieg ist eine "hässliche Schale".

Autofelge für die Aufstiegshelden: Herthas offizieller Lohn für die erfolgreiche Mission Wiederaufstieg ist eine "hässliche Schale".

(Foto: dpa)

Als Babbel später zur Pressekonferenz erscheint, hat er eine Flasche Bier dabei. Als kurz darauf seine Spieler Roman Hubnik, Nico Müller und Sascha Bigalke in den Presseraum stürmen, haben sie drei Flaschen Champagner dabei für ihren zuvor schon biergeduschten Trainer. Babbel hat noch kein Wort sagen können, nun grinst er: "Morgen acht Uhr dreißig Training."

Die Pressekonferenz, an der Augsburgs Coach Jos Luhukay aus Furcht vor Champagnerspritzern im Stehen teilnahm, gleicht einem kurzen Sit-In. Nachdem sich beide Aufstiegs-Trainer in einer kurzen Ansprache für eine tolle Saison bedankt haben, bittet Hertha-Pressesprecher Peter Bohmbach die Journalisten, auf Fragen zu verzichten: "Bitte entschuldigen Sie uns, aber wir müssen jetzt feiern." Berlin feiert mit.

Quelle: ntv.de

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