
Am Ende waren sie geknickt.
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Auch in diesem Jahr erfüllt sich nicht der Traum von Hertha BSC: das Finale des DFB-Pokals im eigenen Stadion. Nach emotionalen Tagen erleben die Berliner gegen den 1. FC Kaiserslautern den nächsten schwierigen Abend.
Um kurz vor 23 Uhr steht Toni Leistner in den Katakomben des Berliner Olympiastadions. Bedröppelt, anders lässt es sich nicht beschreiben. Eine blau-weiße Hertha-Decke umhüllt das breite Kreuz des Innenverteidigers. Auf ihn wartet die Pflicht, noch ist Trainer Pal Dardai dran. Der Kapitän muss den wartenden TV-Kameras erklären, was in ihm vorgeht. Dabei bedarf es dafür eigentlich keiner Worte: Von draußen dringt das Feiern der Kaiserslautern-Fans in den Stadionkeller, aus Leistners Blick spricht die absolute Leere.

"Wir Herthaner": Die Fans gedenken ihres verstorbenen Präsidenten.
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Für Hertha BSC ist das Aus im DFB-Pokalviertelfinale nach der 1:3-Niederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern eine "sehr, sehr bittere Geschichte", wie Flügelstürmer Fabian Resse es nach dem Spiel zusammenfasste. "Wir haben gefühlt diese Riesenchance, diese wundervolle Geschichte weiterzuschreiben, einfach kampflos in 45 Minuten verschenkt und das vor einer Wahnsinnskulisse", sagte er. "Und das Traurige ist: Manchmal hat man nur ein, zwei Mal Chancen im Leben, um etwas ganz Besonderes zu erreichen. Heute war so eine und wir haben sie leichtfertig vergeben."
Der Pokal ist für die Berlinerinnen und Berliner eine besondere Sehnsucht. Das Finale im eigenen Stadion, vor den eigenen Fans: Davon träumt der blau-weiße Teil der Hauptstadt jedes Jahr. Nur 1993 schafften es die Amateure, die Hertha Bubis. Diesmal standen die Chancen so gut wie schon lange nicht mehr - sämtliche Favoriten sind bereits raus, im Halbfinale stehen maximal zwei Erstligisten. Diesmal war es jedoch auch umso emotionaler. Diesmal wollte sie es vor allem für einen schaffen: Für Kay Bernstein, dem Hertha-Präsidenten, der völlig überraschend vor zwei Wochen verstarb.
Schon vor Anpfiff wurde es emotional
Erstmals hatte die Hertha das Berliner Olympiastadion in dieser Saison ausverkauft. 74.245 Menschen fanden am Mittwoch, dem Zwischen-Streik-Tag (nach den Lokführern der GDL, vor den Flughäfen-Sicherheitskräften am Donnerstag und dem ÖPNV am Freitag), den Weg in die kalte und zugige Betonschüsssel. Es lag eine besondere Stimmung in der Luft: Die Vorfreude war groß auf eines der größten Spiele der jüngeren Vereinsgeschichte - letztmals war Hertha im Pokal vor acht Jahren so weit gekommen, damals scheiterten die Berliner im Halbfinale mit 0:3 gegen Borussia Dortmund.
Und auch, wenn der Spielplan nach Bernsteins Tod für Normalität sorgt, so wirklich normal war noch nichts. Vor dem Stadion gibt es noch immer die improvisierte Gedenkstätte. Der Platz des Präsidenten blieb auch diesmal leer. Seine Witwe, Eileen Bernstein-Rose, hatte sich vorher mit einem emotionalen Text an die Berliner Fans gewandt. "Mich überwältigt jede kleinste, aber ehrlich gemeinte Geste, jedes liebe Wort, jede Zeile eurer Spruchbänder", schrieb sie.
Sie verfolgte von der Ehrentribüne aus, mit einem Taschentuch in der Hand, wie die Fans schon vor Anpfiff ihres verstorbenen Ehemannes gedachten. Eine große Choreografie erstreckte sich über die Ostkurve und Teile der Gegengerade. Es war ein Satz aus dem letzten Tweet Bernsteins. "Lasst uns diese Gemeinschaft pflegen und stärken, um daraus Kraft zu gewinnen, die uns nicht nur träumen, sondern auch Ziele erreichen lässt." Der 43-Jährige zeigte den Fans in seiner nur anderthalb Jahre währenden Amtszeit, wie das funktionieren könnte. Er gab ihnen ihren Klub zurück. Seine Vision von der Hertha für alle heilte nach den turbulenten Investorenjahren, die noch immer nicht vorbei sind, so manche blau-weiße Wunde.
"Wir waren blockiert"
Doch der große emotionale Rahmen, er beflügelte die Spieler wenig. Eher im Gegenteil: Auf den Rängen brannten die Kaiserslautern-Fans eine Pyrofackel nach der nächsten ab. Der Rauch der ersten Runde hatte sich noch nicht einmal verzogen, da erzielte Kaiserslautern schon das 1:0 (5. Minute). Das frühe Tor von Jan Elvedi setzte den Ton für die restliche erste Hälfte. Während die ideenlose Hertha die meiste Zeit den Ball hatte, machte Kaiserslautern in der 30. Minute das 2:0. "Vielleicht haben wir zu viel geträumt und zu viel über die Chance geredet und gelesen", sagte Hertha-Trainer Dardai bei Sky: "In der ersten Halbzeit waren wir blockiert. Das war ein Versteckspiel."
Erst nach der Pause keimte wieder so etwas wie Hoffnung bei den Berlinern auf. Nach 53 Tagen Zwangspause gab Publikumsliebling Reese sein Comeback. Der 26-Jährige hatte lange mit den Folgen einer Corona-Infektion zu kämpfen, die Zeit ohne Fußball nannte er selbst eine "Reifeprüfung". "Ich wollte das Spiel unbedingt gewinnen: für Kay, für den Verein, die Stadt", sagte er nach dem Spiel. Er habe "irgendwie das Ruder herumreißen" wollen.
Man merkte ihm an, dass er noch etwas bewegen wollte. Reese rannte, flankte, animierte das Publikum, forderte jeden Ball. Doch es half alles nichts: Seine Flanken fanden nur selten das Ziel und kaum einer der insgesamt 21 Berliner Torschüsse wurde so richtig gefährlich für das Tor der Kaiserslauterer. Am Ende wiederholte sich das gleiche Bild aus der ersten Hälfte: Die Hertha blieb harmlos und in der 70. Minute beendete Filip Kaloc mit seinem 3:0 jede Berliner Pokalhoffnung, daran änderte auch nicht Reeses 1:3-Anschlusstreffer in der Nachspielzeit.
"Über Taktik brauchen wir nicht reden"
Ausgerechnet in diesem wichtigen Spiel hatte Trainer Dardai umgestellt, er ließ anders als üblich mit Dreier- statt Viererkette spielen. Das funktionierte nicht so richtig - in der Pause stellte er wieder um. Reese nahm den Coach in Schutz: "Über Taktik brauchen wir heute nicht mehr reden. Wir hätten heute mit jeder Formation ins Spiel gehen können." Dardai selbst wollte einen Überraschungseffekt kreieren. Er vermisste dagegen "diese letzte Qualität, den Ball auch mal ins Netz zu schieben", erklärte er. "Wir haben auch unser Limit, und das wurde heute erreicht."
Stattdessen lobte Dardai seine Elf trotzdem nach dem Spiel. Er habe sich bislang öffentlich nicht darüber beschwert, doch nach dem Wintertrainingslager hätten 60 Prozent der Mannschaft mit dem Norovirus flachgelegen. "Das hinterlässt Spuren." Auch jetzt sei das halbe Team angeschlagen gewesen. "Wir sind dieses Jahr 2024 ein bisschen verhext, aber wir geben nicht auf", bilanzierte Dardai die ersten vier Wochen.
Derweil scheint Kaiserslautern den Fluch durchbrochen zu haben. Die Roten Teufel machten wahrliche Chaos-Wochen durch: Der Traditionsklub musste noch vor wenigen Tagen eine Nachricht aus einer Facebook-Gruppe dementieren, dass Trainer Dimitrios Grammozis schon nach wenigen Wochen wieder entlassen wurde - er hatte nur eines der ersten vier Spiele gewinnen können. Danach zeigte Rio-Weltmeister Miroslav Klose, dass ein Weltklasse-Torjäger vielleicht doch sein Gespür für Timing verlieren kann: In einem Interview erzählte mitten in dem Trubel, dass er sich um Grammozis' Trainerposten beworben hatte. Ruhe brachte das keine.
Und nun? Nach dem 4:1-Erfolg in der zweiten Liga über Schalke und dem Pokaltriumph in Berlin sah sich Grammozis selbst gezwungen zu erklären, dass er kein Zauberer sei. "Wir müssen weiter demütig arbeiten", sagte er. Doch nicht alle teilen das: Schon in der Halbzeit stellte Popsänger und FCK-Edelfan Mark Forster bei Sky den Spielmacher der Roten Teufel, Marlon Ritter, scherzhaft auf eine Stufe mit Toni Kroos und schlug ihn der DFB-Elf für die Heim-EM vor. Draußen vor dem Stadion sangen die Fans noch eine Stunde nach dem Abpfiff. So unterschiedlich können die Welten sein.
Quelle: ntv.de