
Hinter den Berlinern liegen schwierige Tage.
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Am Dienstag stirbt Hertha-Präsident Kay Bernstein überraschend. Schon wenige Tage später müssen die Berliner zum Auftakt der Rückrunde der zweiten Fußball-Bundesliga gegen Fortuna Düsseldorf ran. Es wird ein emotionaler Nachmittag.
Es klingt pathetisch: Aber es gibt Momente, da zeigt sich die besondere Kraft des Fußballs. Im Berliner Olympiastadion gab es an diesem bitterkalten Sonntagnachmittag gleich zwei davon. Am vergangenen Dienstag verstarb Kay Bernstein, Präsident von Hertha BSC, überraschend im Alter von 43 Jahren. Hinter den Blau-Weißen liegen seither Tage des Schocks, der Erschütterung, des Schmerzes. Und so versammelten sich die Hertha-Fans zum Rückrunden-Auftakt gegen Fortuna Düsseldorf vollends im Zeichen der tiefen Trauer.
Vor dem Stadion war deshalb nichts, wie es sonst eigentlich ist. Das Blumenmeer, das sich auf dem Vorplatz des Stadions noch am Abend der Todesmeldung gebildet hatte, es wuchs in den vergangenen Tagen trotz der winterlichen Temperaturen immer weiter an. Schon Stunden vor dem Spielbeginn war es auf den Wegen ins Stadion voll, in den Blicken einiger zeigte sich die Leere. Einige kamen mit weißen Rosen ins Stadion, die sie selbst blau gefärbt hatten. Andere hefteten sich schwarze Schleifen an den Hertha-Schal. Auf einem Kiosk war "Bernstein für immer" gesprüht worden.
Den Auftakt dieses schwierigen Tages bildete ein Trauermarsch. Rund 7000 Menschen liefen vom Theodor-Heuss-Platz über die Geschäftsstelle bis zum Olympiastadion. Es wurde nicht viel gesprochen. Wer sich unterhielt, sprach leise. Unter ihnen waren nicht nur Hertha-Fans, sondern auch Fan-Vertreter anderer Klubs - sie kamen aus Dortmund, aus Hamburg und sogar Fans von Union Berlin waren zu sehen. Schon am gesamten Wochenende gab es Trauerbekundungen aus Fußballdeutschland. Besonders bewegend aus Karlsruhe, das eine lange Fanfreundschaft mit den Berlinern pflegt. Dort sangen Fans die Hertha-Vereinshymne "Nur nach Hause".
Eine kurze Rede lässt Tränen fließen
Auch im Inneren blieb die Suche nach Normalität vergebens. Auf der Ehrentribüne, dort wo Bernstein normalerweise saß, hing seine ikonische Hertha-Jacke über der Stuhllehne. Auf dem Sitz lagen ein blau-weißes Blumengesteck und ein Megafon. Es war jahrelang sein Werkzeug: Bernstein war Anfang der 90er-Jahre Mitgründer der Berliner Harlekins und auch Vorsänger der Ultra-Gruppe. Die Leinwände zeigten aus dieser Zeit schwarz-weiß Bilder von ihm - und später auch als Präsident. Es gab kein Programm, keine laute Musik. Stattdessen wurde vor dem Anpfiff eine Andacht für Bernstein aus der Stadion-Kapelle live ins Innere übertragen und gemeinsam gebetet.
Die 42.902 Zuschauerinnen und Zuschauer taten derweil vor allem eines: Sie schwiegen andächtig. Es war zu jeder Sekunde zu spüren, wie sehr der Verein trauert. Die gespenstische Stille wurde zum ersten Mal, der erste besondere Moment, beim Einlaufen der Mannschaften durchbrochen. Die Fans, die Ostkurve, streckten ihre Schals in die Höhe und sangen die Vereinshymne "Nur nach Hause". Man könnte meinen, bei einigen einen Kloß im Hals hören zu können.
Besonders emotional wurde es jedoch unmittelbar vor Anpfiff - der zweite besondere Moment. Stadionsprecher Fabian von Wachsmann verlas vor der Schweigeminute eine kurze Rede, die kaum zwei Minuten dauerte. In wenigen Worten erklärte von Wachsmann, der seit 1996 Stadionsprecher von Hertha ist und so manch schwierigen Moment begleitet hat, weshalb dieser Verein so schwer von dem Tod seines Präsidenten getroffen war. Denn eigentlich war Bernstein ja nur anderthalb Jahre im Amt gewesen. Doch mit seiner Vision, dass der Fußball den Menschen gehören sollte, hatte er viele blau-weiße Wunden aus der schwierigen Windhorst-Ära geheilt.
"Du hast uns erinnert, warum wir unseren Klub lieben"
"Lieber Kay, es bricht uns das Herz", sagte von Wachsmann, "die Lücke, die du hinterlässt, (...) wird nicht zu schließen sein." "Mit deiner unvergleichlichen positiven Energie hast du unserem Verein seine wahre Identität zurückgegeben." Bernstein habe vereint, statt zu spalten. "Du hast uns erinnert, warum wir unseren Klub lieben." Von Wachsmann, dessen Stimme immer dünner wurde, schloss seine Rede mit: "Lieber Kay, du wirst in unseren Herzen immer weiterleben." Seine Stimme brach nun vollends, das gesamte Stadion fing den trauernden Stadionsprecher mit tröstendem Applaus auf. "Wir bitten nun um eine Minute der Stille." In der Kurve wurde daraufhin eine einsame Pyrofackel entzündet.
Dieser wahrlich besondere Moment, er war auch nicht an den Spielern nicht vorbeigegangen. Kapitän Toni Leistner sprach nach dem Spiel über das, was passiert war und niemand glauben wollte. "Da ploppt am Dienstag irgendeine Nachricht auf dem Handy auf", sagte der sichtlich angegriffene Innenverteidiger. "Man will es gar nicht wahrhaben", erklärte er. "Man beschäftigt sich dann doch damit, den ganzen Abend, die ganze Nacht. Man kann nicht wirklich einschlafen, weil es unerklärlich ist."
In der Mannschaft habe in den Tagen danach eine Leere geherrscht, sagte Leistner weiter. Das Team sprach in den vergangenen Tagen viel, unter sich, mit Trainer Pal Dardai, mit einer Psychologin. Auch auf das, was im Olympiastadion passieren würde, sei die Mannschaft vorbereitet worden. Dass es viel Stille geben wird, dass nichts normal sein wird. "Man geht ins Spiel, man denkt, man ist auf alles vorbereitet", sagte Leistner, "aber dann hört man die Ansprache vom Stadionsprecher, da muss man sich natürlich die ein oder andere Träne verdrücken." Er habe die ersten Minuten mit Gänsehaut gespielt. "Aber: Das Team hat es im Großen und Ganzen gut aufgenommen."
Ausgerechnet Scherhant
Und doch gab es etwas Normalität: Auch Sportdirektor Benny Weber bescheinigte der Mannschaft, mit der Situation professionell umgegangen zu sein. Es sei gut gewesen, dass das Spiel schon jetzt kam. "Es war gut, dass wir schnell wieder in den Alltag gekommen sind." Hertha startete gut in die Partie, die durch viele Fouls zerfahren war. Doch bis das erste Tor fiel, dauerte es eine halbe Stunde. Erst in der 30. Minute war es Haris Tabakovic, der das andächtige Schweigen der Hertha-Fans während der Partie beendete. Der liebevoll "Fluppe" genannte traf sehenswert in den rechten oberen Winkel des Fortuna-Tors. Auch sein Jubel stand ganz im Zeichen Bernsteins. Tabakovic rannte zur Mittellinie, strecke erst das schwarze Trauer-Shirt und später den Zeigefinger in den Himmel.
Erst danach entwickelte sich ein richtiges Fußballspiel. Kurze Zeit später war Tabakovic jedoch der Pechvogel. In der 43. Minute setzte er seine Chance aus guter Position an den Pfosten der Düsseldorfer, den darauf anschließenden Konter versenkte Isak Johannesson im Tor der Berliner. Erst im Anschluss, kurz vor der Pause, ließ ausgerechnet Derry Scherhant das Olympiastadion jubeln und erzielte die 2:1-Führung (45.+1). Ausgerechnet, weil der 21-Jährige aus der Jugend der Hertha stammt und damit einer derjenigen ist, die sinnbildlich für Bernsteins "Berliner Weg" stehen. Die Vision, wieder mehr auf Spieler zu setzen, die auch bei der Hertha aufgewachsen sind.
Nach der Pause wurde die Partie dafür wieder umso zerfahrener. Düsseldorf bekam unmittelbar nach der Pause einen Elfer-Doppelschlag zugesprochen. Hertha-Innenverteidiger Marc-Oliver Kempf stellte sich im eigenen Sechzehner gleich zweimal nicht wirklich geschickt an. Sein Trainer rügte ihn dafür. So etwas dürfe nicht passieren, sagte Dardai. Dabei hatte Kempf sogar Glück im Unglück: Sein Pech war, dass es Schiedsrichter Robert Kampka mit der Foulauslegung besonders ernst nahm. Sein Glück war, dass Düsseldorfs Christos Tzolis nur den ersten Elfer verwandelte. Und so blieb es beim 2:2-Remis.
Ohnehin, das Ergebnis ist im Moment zweitrangig. Die Blau-Weißen auf den Rängen nutzten das Spiel, um sich nach und nach von Bernstein zu verabschieden. Eine Fangruppe nach der anderen hielt während der Partie ihr Banner hoch, um des verstorbenen Hertha-Präsidenten zu gedenken. Sportlich bedeutete das Remis, dass die Serie von zehn ungeschlagenen Spielen nicht gerissen war. "Ich glaube, eine Niederlage hätte sehr weh getan", sagte Leistner und schob hinterher: "Auch wenn es wichtigere Dinge als Fußball gibt heute Abend." Trainer Pal Dardai war unterdessen schon weiter. Schon vor dem Spiel mutmaßte er: Der schwierigste Moment komme auf die Hertha-Familie noch zu: die Beerdigung ihres Präsidenten Kay Bernstein.
Quelle: ntv.de