Abstiegsplatz, fliegende Fäuste Hooligan-Attacke auf polnische "Bayern"
14.12.2021, 10:08 Uhr
Legia-Fans beim 1:0 gegen Bialystok, einem der wenigen Siege in dieser Saison.
(Foto: imago images/Newspix)
Legia Warschau ist das polnische Bayern München. Doch der Rekordmeister aus Polens Hauptstadt versinkt in dieser Saison im Chaos. Das Ergebnis sind ein Abstiegsplatz und die Profis verprügelnde Hooligans. Am Wochenende lauern die der Mannschaft auf.
Die Rückfahrt von einem verlorenen Auswärtsspiel ist nicht angenehm. Die Laune ist schlecht, die Mitspieler schweigen, manche üben vielleicht sogar Kritik an ihren Kollegen. Da kann sogar manchmal eine zweistündige Busfahrt, wie sie am Sonntag die Profis von Legia Warschau nach ihrer 0:1-Niederlage beim Ligakonkurrenten Wisła Płock zu verkraften hatten, zu einer nicht endend wollenden Reise werden.
Doch für die Legia-Profis entwickelte sich die Busreise aus Płock auch zu einer Horrorfahrt. Zu einer Fahrt, die die Spieler des Renommierklubs aus der polnischen Hauptstadt wohl eher froh waren, einigermaßen unversehrt überstanden zu haben. Denn aufgebrachte Fans, sofern man diese so nennen mag, sorgten kurz vor dem "Legia Training Center" in Książenice, einer Ortschaft vor den Toren Warschaus, für einen unfreiwilligen Zwischenstopp. Sie drangen in den Bus ein und zeigten den Spielern mit ihren Fäusten, was sie von deren Leistung auf dem Rasen hielten. Dies machte am Sonntagabend das Nachrichtenportal "Interia" publik.
Seitdem drängen immer mehr Details von diesem neuen Skandal im polnischen Fußball an die Öffentlichkeit. Demnach sollen sich die wütenden Legia-Hooligans in zwei Gruppen aufgeteilt haben. Eine wartete vor dem Trainingszentrum, die zweite Gruppe verfolgte den Bus. Am schwersten verletzt wurden bei dem Vorfall die ausländischen Profis Mahir Emreli, Rafa Lopes und Luquinhas, dessen Kopf laut Medienberichten mit Eisbeuteln gekühlt werden musste. Emreli und Luquinhas wurden zudem vom Mannschaftsarzt für die in dieser Woche stattfindenden letzten Spiele des Jahres freigestellt. Warum es ausgerechnet dieses Trio so schwer traf, weiß bisher keiner. Und vielleicht wäre die Anzahl der Opfer noch größer geworden, wenn nicht schon die Polizei auf dem Weg zum Tatort gewesen wäre. Und wenn man schon bei der Polizei ist: Laut der offiziellen Stellungnahme des Vereins, die erst Stunden nach dem Vorfall veröffentlicht wurde, soll der Bus von der Polizei eskortiert worden sein.
Exportschlager Hooligans
Vorfälle solche Art sind im polnischen Fußball, dessen Hooligans nach dem Bayern-Stümer Robert Lewandowski wohl der zweitbekannteste Exportschlager sind, nicht neu. Und dies schon gar nicht bei Legia Warschau. Die "Żyleta" (Rasierklinge) gehört zu den berüchtigtsten Kurven in Europa. 2011, ein Jahr vor der gemeinsam von Polen und der Ukraine ausgetragenen EM, sorgte bereits der Legia-Capo Piotr "Staruch" Staruchowicz weltweit für Schlagzeilen. Nach einer 2:3-Heimniederlage gegen Ruch Chorzów ohrfeigte er den damaligen Legia-Profi Jakub Rzeźniczak vor laufenden Kameras. Der Rechtsverteidiger war danach offenbar so eingeschüchtert, dass er beim späteren Prozess angab, nicht zu wissen, wer ihm ins Gesicht schlug. Vor vier Jahren wiederum warteten Legia-Hooligans auf den Mannschaftsbus, um dem Team mit ein paar "Klapsen" auf den Hinterkopf nach einer Niederlage beim Erzrivalen Lech Posen ins Gewissen zu reden. Doch im Vergleich zu den Ereignissen von Sonntag, soll der Vorfall von vor vier Jahren laut Augenzeugen beider Ereignisse harmlos gewesen sein.
Ein wahres Klagelied über Legia-Fans können auch Anhänger der Dortmunder Borussia singen. Bei dem Champions League-Gastspiel in Warschau 2016 hörte man von den Tribünen nicht nur "Jude, Jude BVB". Fernsehzuschauer in ganz Europa wurden Zeuge, wie Legia-Hooligans versuchten, den Block der Dortmunder zu stürmen. Was aber nichts mit Hass oder Abneigung gegen den Verein aus dem Ruhrgebiet zu tun gehabt haben soll. Angeblich wollte der harte Kern der "Żyleta", der zum Teil Verbindungen zur organisierten Kriminalität hat, damit von der Legia-Führung eine Beteiligung an den Einnahmen aus dem Fanartikel-Verkauf erpressen.
Ein unglaublicher Absturz
Diesmal jedoch sind die Ereignisse mehr als nur ein weiterer Gewaltausbruch von Legia-Hooligans. Vielmehr stellen sie den bisherigen Tiefpunkt in einer für den "besten Fußballverein Polens", wie sich Legia in den sozialen Netzwerken selbst rühmt, sportlich desaströsen Saison dar. Denn von den bisher 16 absolvierten Ligaspielen hat das "polnische Bayern München" nur vier Partien gewonnen. Alle restlichen 12 Spiele gingen verloren. Somit belegt der Klub, der in den letzten 10 Jahren sieben Meisterschaften und sechs Pokaltitel holen konnte, den unrühmlichen letzten Tabellenplatz. Da sind selbst die zwei Achtungserfolge, die Legia in dieser Saison in der Europa League gegen Spartak Moskau und Leicester City feiern konnte, kein Trost.
Es wäre aber zu einfach, diese Horrorsaison nur auf die Hooligans oder einfach irgendein Pech zurückzuführen. Vielmehr ist dieser dramatische Niedergang das Ergebnis einer seit Jahren missglückten Vereinspolitik, in deren Mittelpunkt Klubbesitzer Dariusz Mioduski steht. Seit einem Machtkampf mit seinen früheren Kompagnons ist der Geschäftsmann seit März 2017 alleiniger Besitzer des 1916 gegründeten Traditionsvereins. Was in der Vereinsführung zu Ruhe führte, gleichzeitig aber zum Abbau der fachlichen Kompetenz.
23 Trainer in 21 Jahren
Denn Mioduski entspricht eher dem Klischee des reichen Geschäftsmannes, der sich einmischt, aber keine Ahnung vom Fußball hat. Seit seiner alleinigen Verantwortungsübernahme 2017 verpflichtete der Verein laut "Transfermarkt.de" über 50 neue Spieler. Die in den Profikader beförderten Nachwuchsspieler sind da nicht mitgerechnet. Im gleichen Bereich bewegt sich dementsprechend die Zahl der Abgänge. Und auch was die Trainer angeht, herrscht bei Legia eine Fluktuation, gegen die selbst Hannovers Präsident Martin Kind wie ein großer Freund der Konstanz wirkt. Quasi jede Saison startete der Verein einen Neustart auf der Trainerbank, der manchmal schon nach wenigen Wochen endete.
Womit aber Mioduski eine gewisse traurige Tradition fortsetzte. Aleksandar Vuković, seit dem gestrigen Montag neuer und diese Saison bereits dritter Trainer des Hauptstadtvereins, ist der 23. Legia-Trainer in den letzten 21 Jahren. Was für Legia in dem Fall aber eine günstige Lösung ist. Der Serbe, der zuvor acht Jahre lang für Legia spielte, steht eh noch auf der Gehaltsliste des Vereins. Vuković wurde erst im September 2020 nach einem Jahr als Chefcoach entlassen und fand seitdem keinen neuen Job.
Schon heute ist sicher, dass Vuković seinen Stuhl im nächsten Sommer wird räumen müssen. Wunschtrainer Marek Papszun bekam von Raków Tschenstochau nicht die Freigabe. Doch ob überhaupt um eine gebeten wurde, ist fraglich. Laut Medienberichten soll der Pokalsieger der vergangenen Saison eine dementsprechende Anfrage aus Warschau nicht erhalten haben. Was nur passen würde zu einem Verein, der immer mehr im Chaos versinkt.
Quelle: ntv.de