Fußball

CL-K.-o. und fiese Fettnäpfchen Im verrückten Derby versöhnt sich Schmidt mit Benfica

Vor dem Derby mächtig angespannt: Benfica-Coach Roger Schmidt.

Vor dem Derby mächtig angespannt: Benfica-Coach Roger Schmidt.

(Foto: IMAGO/Maciej Rogowski)

Roger Schmidt feiert mit Benfica Lissabon dank einer verrückten Schlussphase einen wichtigen Derbysieg und verschafft sich selbst eine kleine Atempause. Schmidt steht wegen des schwachen Abschneidens in der Champions League unter Druck.

Roger Schmidt ballte beide Fäuste und brüllte seine Freude heraus. Allein das ist schon außergewöhnlich, weil der 56-Jährige die Spiele von Benfica Lissabon normalerweise mit Ruhe und ohne große Emotionen verfolgt. Aber in diesem Moment hielt es selbst den Trainer nicht zurück. Schmidt also zog die Hände aus seinen Taschen, jubelte vor Glück, dann fielen ihm auch schon die ersten seiner Co-Trainer um den Hals.

Das Estádio da Luz bebte, wenige Meter von Schmidt entfernt rannten einige Benfica-Anhänger vor Freude auf den Platz. Auf den Tribünen schossen manchen Fans sogar die Freudentränen in die Augen. Sie alle feierten den Treffer des von Schmidt eingewechselten Casper Tengstedt, der Benfica am Sonntagabend in der neunten Minute der Nachspielzeit den 2:1-Sieg in einem verrückten Derby gegen Sporting Lissabon gebracht hatte. "Schöner als heute ist unmöglich", sagte Schmidt im Anschluss der Partie. "Es war sehr dramatisch." Es hätte jedenfalls nicht viel dramatischer sein können. Auch für ihn selbst.

Dieses verrückte Duell könnte eine Art Wende sein. Für Benfica steht jetzt die Länderspielpause an - und für Schmidt eine deutlich entspanntere Auszeit, als es noch vor dem Derby den Anschein gehabt hatte. Er selbst hat die Situation um Benfica zwar nie besonders besorgniserregend gesehen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass spätestens nach dem vorzeitigen Aus in der Champions League die kritischen Stimmen im Umfeld des portugiesischen Rekordmeisters lauter geworden sind. In den vergangenen Tagen war Schmidt nicht nur einmal gefragt worden, ob die Partie gegen Sporting über seine Zukunft entscheiden könnte. Er hat das verneint, geglaubt haben ihm das nicht alle. Schmidt aber blieb ruhig. Nach den Last-Minute-Toren von Tengstedt und João Neves (90.+4) ist Benfica nun plötzlich Tabellenführer und alles scheint für den Moment wieder gut. So ist Fußball. Schmidt weiß das. Aber was bedeutet das? Und wie konnte er so schnell in die Kritik geraten?

Der Transfersommer endet ernüchternd

Wer die bislang komplizierte Saison von Schmidt und Benfica verstehen will, muss zunächst einen Blick zurück werfen. Es ist nicht mal ein halbes Jahr her, als der deutsche Coach noch von mehr als 10000 Benfica-Fans auf dem Praça do Marquês de Pombal lautstark gefeiert wurde. Der Ex-Coach von Bayer Leverkusen hatte Benfica den ersten Meistertitel seit vier Jahren beschert, die Anhänger lagen dem Deutschen zu Füßen. Der Tenor war fast überall gleich. Schmidts Fußball? Ein Offensivspektakel! Seine Taktik? Aufregend! Die Vorstellungen seiner Mannschaft? Spektakulär! Dann kam der Transfersommer, und für den stolzen Klub lief längst nicht alles wie gewünscht. Den zu Leverkusen abgewanderten Topscorer Alejandro Grimaldo bekam Benfica nicht adäquat ersetzt. Nach dem späten Wechsel von Torjäger Gonçalo Ramos zu Paris Saint-Germain fehlt den Portugiesen zudem ein Angreifer von Champions-League-Format. Diese Transfers liefern einen ersten Erklärungsansatz. Dann folgt das erste Saisonspiel.

Benfica verliert bei Boavista Porto mit 2:3. Anschließend kritisiert Schmidt öffentlich den bisherigen Stammkeeper Odysseas Vlachodimos, der seinen Coach danach zur Rede stellt. Schmidt nimmt den ehemaligen deutschen U-Nationalspieler aus dem Tor, kurz vor Ende der Transferfrist verkauft Benfica ihn an Nottingham Forest. Trotz des Torwarttheaters liefert Benfica in der Liga danach ergebnistechnisch ab. Das Problem ist die Champions League. Schmidts Team verliert jedes der ersten vier Spiele, erst beim jüngsten 1:3 bei Real Sociedad San Sebastián gelingt der erste Treffer in dieser Spielzeit. Danach steht das vorzeitige Aus in der Vorrunde fest. Angesichts der starken Gruppe um die Basken und Inter Mailand kein Drama. Das Problem ist die Erwartungshaltung. Nach dem Erreichen des Viertelfinales in der Vorsaison hatten Fans und auch Klubpräsident Rui Costa in dieser Spielzeit von noch Größerem geträumt. Zumal der Klub nach den Abgängen von Grimaldo und Ramos ebenfalls viel Geld in neue Spieler investiert hatte.

"Wenn du dem Druck nicht standhalten kannst ..."

"Wenn du dem Druck nicht standhalten kannst, kannst du nicht Trainer von Benfica sein", sagte Schmidt am späten Sonntagabend nach dem Derbysieg gegen Sporting. Sein Team habe es von der ersten Sekunde an verdient zu gewinnen. "Wir müssen die Fans glücklich machen, und heute haben wir die Fans sehr glücklich gemacht." Das war in den Wochen vor dem Derby allerdings längst nicht immer der Fall. In der vergangenen Saison hatten die Anhänger den gebürtigen Sauerländer lange als den "großen Schmidt" gefeiert. Die Verehrung für den 56-Jährigen hatte mit Benficas beeindruckendem Offensivstil und noch viel mehr mit einer noch beeindruckenderen Erfolgsserie zu tun. Benfica lieferte Ergebnisse, Schmidt wurde dafür bejubelt.

Mit persönlicher Zuneigung hatte das wenig zu tun, viele Anhänger wissen bis heute nicht viel über den Deutschen. Schmidt ist kein großer PR-Spezialist und will das auch nicht sein. Der Coach ist rational und intelligent genug, um zu wissen, dass im Fußball letztlich immer nur die Ergebnisse zählen. Bleiben diese aber wie in der Königsklasse aus, braucht sich auch sein Kredit bei den anspruchsvollen Anhängern schnell auf.

Schmidt tritt ins Fettnäpfchen

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Ein Beispiel für das in dieser Spielzeit komplizierte Verhältnis zwischen Schmidt und den Fans ist das enttäuschende 1:1 zuhause gegen Casa Pia Ende Oktober. Anschließend hallten nicht wenige Pfiffe durch das Estádio da Luz, Schmidt wurde von Journalisten darauf angesprochen. "Um ehrlich zu sein, habe ich nach dem Spiel nicht mal Proteste bemerkt", sagte er. "Vielleicht ist das einer der Vorteile, wenn man kein Portugiesisch spricht." Eine unglückliche Aussage, die ihm einige Benfiquistas übel nehmen, weil sie sich wünschen würden, dass der Coach ihre Sprache spricht. Die Sportzeitung "A Bola" veröffentlichte danach einen Kommentar mit der ironischen Überschrift: "Wie pfeift man auf Deutsch?" Schmidt schert sich nicht um solche Dinge, er zieht sein Ding durch. Weil für ihn nur eines zählt: Siege. Diesem Ziel ordnet er alles unter, diese Mentalität impft er seinen Spielern ein. Der hochemotionale Erfolg gegen Sporting gibt ihm trotz aller Misstöne recht.

Überbewerten wollte er den Sieg aber nicht. "Nein, das ist kein neues Leben", antwortete er auf eine entsprechende Frage. "Das ist ein großer Sieg, das ist es." Nicht mehr und auch nicht weniger. Typisch Schmidt. "Wir zeigen bisher in der portugiesischen Liga, dass wir eine sehr gute Saison spielen. Unsere Leistung in der Champions League war nicht top. Aber man muss das große Ganze sehen." Das große Ganze jedenfalls zeigt, dass Benfica in der Liga nun wieder Erster ist. Auch, wenn sich das für manche Anhänger trotz des Jubels am Sonntagabend noch gar nicht so anfühlt. Schmidt dagegen wusste es sofort, weil ihm bewusst ist, dass es im Fußball letztlich nur auf die nackten Ergebnisse und nicht auf Emotionen ankommt. Obwohl auch er selbst für wenige Sekunden nicht anders konnte, als seine Freude mit geballten Fäusten herauszubrüllen.

Quelle: ntv.de

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