Über Kamerun ins Halbfinale? Löw in der Zwickmühle, Goretzka will bleiben
25.06.2017, 11:06 UhrZieht die DFB-Elf ins Halbfinale des Confed Cups ein, ist das das Ende des Kreisliga-C-Prinzips. Der Bundestrainer weiß das, warnt aber erst einmal vor Kamerun. Derweil möchte Leon Goretzka bleiben - in Sotschi. Aber ob das auch für den FC Schalke 04 gilt?
Worum geht's?
Leon Goretzka gefällt's in Sotschi. Das Radisson Blu Paradise Resort & Spa ist ja auch nicht die schlechteste Adresse im Stadtteil Adler. Es liegt direkt am Schwarzen Meer, und wer über die Promenade entlang des Kiesstrandes spaziert, der erreicht nach einer guten halben Stunde das Olympiastadion Fisht, in dem die deutschen Fußballer heute (ab 17 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) in ihrem dritten und letzten Gruppenspiel beim Konföderationenpokal in Russland auf Kamerun treffen.
Der Bochumer in Diensten des FC Schalke 04 schafft die drei Kilometer vorbei an Restaurants, Cafés, Fressbuden, Karaoke-Bars und Schießbuden bestimmt auch schneller. Erst Recht, wenn er wie am Samstagmittag ein Segway nimmt; das sind diese Elektroroller mit nur einer Achse und zwei Rädern, die man im Stehen fährt. Und weil das alles so schön ist, möchten Leon Goretzka und seine Kollegen gerne noch ein wenig länger bleiben. Es sei schließlich "nicht das Verkehrteste auf der Welt, wenn man beim Essen aufs Meer guckt". Die Sache hat nur einen Haken: Will die DFB-Elf über diesen Sonntag hinaus in Sotschi verweilen, muss sie nicht nur das Halbfinale erreichen, sondern die Gruppe B auf Platz eins abschließen. Dann ginge es am Donnerstag gegen Mexiko. Der Zweitplatzierte spielt am Mittwoch in Kasan gegen Europameister Portugal.
Wie ist die Ausgangslage?
Das mit dem Halbfinale sollte klappen, auch wenn Joachim Löw das nicht gerne hört. "Das wird kein Selbstläufer, absolut nicht", hatte der Bundestrainer am Tag vor dem Spiel gegen den Afrikameister gesagt. Das mit dem Gruppensieg allerdings könnte eng werden. Nach dem 3:2 gegen Australien und dem 1:1 gegen Chile steht die deutsche Mannschaft auf Tabellenplatz zwei der Gruppe B. Die Chilenen haben ebenfalls vier Punkte, aber eine um einen Treffer bessere Tordifferenz (3:1 gegenüber 4:3) - und spielen heute zur gleichen Zeit in Moskau gegen Australien. Also müssten die Deutschen im Fall der Fälle um ein Tor höher gewinnen als die Chilenen. Wohl auch deshalb betonte Löw, dass es in erster Linie darum gehe, im Turnier zu bleiben. Dafür reicht ein Remis. Und auch bei einer Niederlage gegen Kamerun mit einem Tor Unterschied könnte es klappen - wenn Australien nicht gewinnt. Aber dann könnte Goretzka nicht mehr mit Blick aufs Meer speisen.
Wie ist die DFB-Elf drauf?
Deutschland: ter Stegen - Ginter, Rüdiger, Süle - Kimmich, Can, Rudy, Plattenhardt - Draxler, Demirbay - Werner
Kamerun: Ondoa - Mabouka, Ngadeu-Ngadjui, Teikeu, Fai - Zambo - Siani, Djoum - Bassogog, Moukandjo - Aboubakar. - Trainer: Broos
Schiedsrichter: Wilmar Roldan (Kolumbien)
Die Summer School des DFB hat sich nach Einschätzung ihres Trainers und vieler Experten mit dem Remis gegen Chile zu einer Mannschaft gemausert, die zu mehr fähig ist, als in Russland nur eine Nebenrolle zu spielen. Im Grunde hat Löw das ganz geschickt eingefädelt, hatte er doch unzählige Male darauf hingewiesen, dass es bei diesem Testlauf für die WM in einem Jahr nicht um Ergebnisse, sondern darum gehe, möglichst viele Spieler auf ein Niveau zu führen, dass sie befähigt, im nächsten Jahr dabei zu sein, wenn auch die Etablierten wieder an Bord sind. Und so will er zu seinem Versprechen stehen, möglichst allen Spielern den Genuss eines Confed-Cup-Einsatzes zu gönnen und sein Team wieder verändern. Andererseits verschieben sich die Maßstäbe, je länger das Turnier dauert. Irgendwann greift das Kreisliga-C-Prinzip nicht mehr, dass alle mitmachen dürfen, die auch beim Training waren und am Spieltag pünktlich am Platz sind. "Wir wollen mit aller Macht ins Halbfinale. Das ist mehr, als man erwarten konnte." Klingt nach einer Zwickmühle. Wechseln also ja, aber nicht über die Maßen, lautet die Maßgabe - spätestens im Halbfinale. "Das Gerüst muss dann stehen." Im letzten Gruppenspiel plane er "mit ein, zwei neuen Spielern". Auf jeden Fall ins Team zurückkehren werde Innenverteidiger Antonio Rüdiger, weil: "Seine Stärke ist das körperbetonte Spiel." Das sei gegen einen "enorm kampfstarken" Gegner gefragt. "Kamerun ist eine Mannschaft, deren Lieblingsbeschäftigung auf dem Platz das eins gegen eins ist." Und sonst? Ist Emre Can im Training umgeknickt. "Es könnte auch sein, dass Julian Draxler oder auch Jonas Hector mal pausieren und zum Beispiel Marvin Plattenhardt spielt." Ach ja, es könnte auch sein, dass Timo Werner in der Startelf steht. Aber wer weiß das schon?
Was machen die Kameruner so?
Nach dem 0:2 gegen Chile und dem 1:1 gegen Australien kann auch das Team des belgischen Trainers Hugo Broos das Halbfinale noch erreichen. Dafür muss heute allerdings ein Sieg mit mindestens zwei Toren Unterschied her. So ganz scheint Broos nicht daran zu glauben: "Wir haben eine sehr junge Mannschaft, die solche Turniere braucht, um besser zu werden." Wie Löw begreift er den Confed Cup als Experimentierfeld - mit dem kleinen Unterschied, dass er nicht Spieler wie Manuel Neuer, Mario Götze, Julian Weigl, Ilkay Gündogan, Marco Reus, Kevin Volland, Benedikt Höwedes, Jérôme Boateng, Mats Hummels, Thomas Müller, Sami Khedira, Mesut Özil, Toni Kroos und Marco Reus hat, die entweder verletzt sind oder sich ausruhen dürfen. Vielmehr muss Broos einen radikalen Umbruch moderieren. Nur der 36 Jahre alte Samuel Eto'o ist noch dabei. Außer ihm haben nur Stürmer Vincent Aboubakar von Besiktas und Amsterdams Torwart André Onana so etwas wie eine internationale Reputation. "Als ich Anfang 2016 nach Kamerun kam, fand ich dort ein sehr altes Team vor", sagt Broos. "Wir wussten: Dieses Team hat keine Zukunft. Also haben wir sehr intensiv gescoutet und fanden in verschiedenen europäischen Ligen viele junge Spieler, die einen modernen Fußball spielen können." Im Januar gewann Kamerun überraschend den Afrika-Cup. "Wir wollen hier in Russland zeigen, dass dieser Erfolg kein Zufall oder ein Unfall war."
War sonst noch was?
Goretzka war übrigens nicht alleine auf dem Segway unterwegs, Joshua Kimmich und Niklas Süle begleiteten ihn bei soliden 24 Grad und strahlendem Sonnenschein. Nun ist es so, dass Kimmich bereits für den FC Bayern spielt, Süle das ab der kommenden Saison tun wird - und Goretzka mit den Münchnern in Verbindung gebracht wird. Wechselgerücht heißt das wohl. Und, wie sieht's aus? "Dazu sage ich nix", sagte Goretzka, 22 Jahre alt. "Ich werde auch keine Wasserstandsmeldungen abgeben. Wenn Fakten da sind, werde ich es mitteilen." Weiß vielleicht der Bundestrainer mehr? Könnte sein. Aber auch Löw sagte nichts. Ja, er habe sich vor dem Confed Cup mit dem Mittelfeldspieler unterhalten. Gemeinsam hätten sie Szenarien durchgespielt. "Ich habe ihm einige Ideen mit auf den Weg gegeben." Welche, das verriet er nicht. Goretzka sei aber "intelligent genug, den richtigen Schritt zu machen. Man spürt, dass er sehr klare Gedanken hat, wie seine Zukunft aussehen soll." Vielen Dank für das Gespräch.
Quelle: ntv.de